Informationsvakuum und Desinformation
Nachrichten aus Nordkorea sind fast immer ein Spektakel. Ob die Einführung der Kim-Jong-Un-Pflichtfrisur oder das von wilden Erklärungen umrankte Verschwinden des „Großen Führers“ im September 2014: Die unübersichtliche Faktenlage im isoliertesten Land der Welt hinterlässt ein Informationsvakuum, das geradezu lustvoll mit Gerüchten aufgefüllt wird.
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Schon der verstorbene Ex-Machthaber Kim Jong Il inspirierte die Fantasie des Westens. Mit seinem extravaganten Privatleben und dem absurden Führerkult rund um seine Person avancierte er in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Mischung aus gefürchtetem Diktator und kurioser Ulkfigur.

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Unfehlbar in Wirtschaftsfragen? Kim instruiert Fabriksarbeiter in Pjöngjang
Doch Blogs wie „Kim Jong-il looking at things“ waren nur die Wegbereiter für jenen Social-Media-Boom, der die Herrschaft seines Sohnes und Nachfolgers Kim Jong Un begleitet. Bizarre Meldungen ohne faktische Grundlage wie die „Kim-Jong-Un-Pflichtfrisur“ schaffen es bis an die Spitzen der internationalen Schlagzeilen und machen die Nordkorea-Berichterstattung besonders im Boulevard zu einer Mischung aus Gänsehautgenerator und Kuriositätenkabinett.
So zum Beispiel Kims Sucht nach Emmentalerkäse, die der Diktator seit seiner Schulzeit in der Schweiz hege. Glaubt man der britischen Boulevardpresse, sei die durch Kims Gusto verursachte Gewichtszunahme auch Grund für sein mysteriöses Verschwinden im Herbst 2014: durch die zusätzlichen Kilos und seine Liebe zu hohen Absätzen habe der Diktator sich beide Knöchel gebrochen. Emmentaler mit 45-prozentigem Fettanteil „bringe den prallen Diktator in ein frühes Grab“, so der „Daily Star“. Dies war allerdings nur eines der Erklärungsmodelle für seine Abwesenheit: Auch ein Putsch, die Entmachtung durch seine Schwester, Gicht, Diabetes oder Herzprobleme wurden vermutet. Was stimmt nun?
Kaum gesicherte Informationen
Laut Anna Broinowski, Filmemacherin und Autorin des Buches „The Director is the Commander“, ist ein Grund für Sensationalismus, Übertreibung und Verfälschung die Schwierigkeit, an gesicherte und zuverlässige Informationen aus dem isoliertesten Land der Welt zu kommen. Meldungen der landeseigenen Nachrichtenagentur Korean Central News Agency (KCNA) sind zu weiten Teilen Propaganda, Berichte neutraler Beobachter über den faktischen Zustand im Land eine Rarität. In diesem Informationsvakuum füllen Gerüchte bestehende Lücken, gezielter Desinformation werden Tür und Tor geöffnet, so Broinowski zum „Guardian“.

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Besonders gern inszeniert sich Kim als militärischer Führer
Als indirekte Bestätigung wirken laut der Autorin dabei auch die politische Realität und die absurde Kommunikations- und Ideologiepolitik des nordkoreanischen Staates. Propaganda, Masseninszenierungen, glorifizierender Führerkult und permanente Drohgebärden gegenüber dem Rest der Welt zeichnen ein Bild von einem Land, in dem selbst das Unmögliche nicht allzu abwegig erscheint.
Emmentaler und Schlangengift
Faktische Widerlegungen der Gerüchte hingegen bleiben im Strom der Neuigkeiten jedoch kaum hängen und werden zu Fußnoten. Dass Kim Jong Un seine Freundin Hyon Song Wol nach dem Dreh eines Sexvideos auf grausame Weise ermordet haben soll, verbreitete sich rasch. Ihr öffentlicher Auftritt auf Korean Central Television (KCTV) ein Jahr nach der vermeintlichen Tötung blieb der breiten Öffentlichkeit jedoch verborgen.
Die Hinrichtung von Kims Onkel, dem Vizevorsitzenden der Nationalen Verteidigungskommission, Jang Song Thaek, fand tatsächlich statt, erfolgte aber nicht wie medial behauptet durch ein Rudel von 120 ausgehungerten Hunden. Wie der Softwareentwickler und Blogger Trevor Powell herausfand, ließ sich die Geschichte auf den Satiriker Pyongyang Choi Seongho zurückführen. Dessen Social-Media-Post wurde von einem Hongkonger Boulevardblatt übernommen und fand so Eingang in die internationale Berichterstattung. Auch Kim Jong Uns Abhängigkeit von Emmentaler und sein Konsum von Schlangengiftwein als Aphrodisiakum muss schwer infrage gestellt werden.
Informanten von innen und außen
Doch woher kommen die Informationen aus dem abgeschottesten Land der Welt? Neben Politikern mit einer Agenda und Geheimdiensten produzieren auch Think Tanks, Akademiker, Experten und Journalisten Informationen über Nordkorea, so der Journalist Craig Silverman in seiner ausführlichen Analyse „Did You hear The One About North Korea?“. Dem Korea-Experten David Straub von der Universität Stanford zufolge gibt es dabei zahlreiche Gruppen und Personen, „die Äxte gegen Nordkorea zu schleifen hätten“.

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Der Diktator bei einem Besuch im Waisenhaus Pjöngjang
Auch der andauernde Kriegszustand zwischen Nord- und Südkorea bestimmt den öffentlichen Dialog über das Land. „Ich würde sagen, dass die bewusste Weitergabe falsch fabrizierter Information über Nordkorea an Journalisten durch Südkorea gängige Vorgehensweise bleibt, solange das Land existiert“, so Bruce Cumings, Professor für Geschichte an der Universität Chicago.
Geld für „Fakten“
Auch innerhalb der Grenzen des Landes gibt es Quellen. Flüchtlinge und Informanten innerhalb Nordkoreas werden für Einsichten in die „Black Box“ gut bezahlt. Gegen Bares, Elektronik oder Gutscheine geben meist Freunde, Bekannte oder Familie von Überläufern Informationen an Aktivisten im Ausland weiter. Kim Heung Kwang, der Gründer einer Dissidentengruppe, zahle für Informationen beispielsweise rund 50 bis 100 US-Dollar. Allerdings würden diese Informanten vor allem Einsicht in das tägliche Leben des „kleinen Mannes“ bieten.
Hunger nach mehr
Laut „Guardian“ füllen letzten Endes vor allem Soziale Medien und ein 24-Stunden-Nachrichtenzyklus im Netz die Informationslücke. Das Internet bedinge „einen exponentiellen Anstieg an Menschen aus aller Welt, die nicht einmal entfernt plausible Informationen über Nordkorea produzieren, verbreiten und konsumieren. Die etablierten Medien wiederum nehmen, was diese Leute sagen, und machen es zu Nachrichten“, so Straub. Es ist also vor allem der Hunger nach der nächsten skurrilen Sensationsmeldung, die die Gerüchteküche weiter brodeln lässt.
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