Luftangriffe „erster Schritt“
Nachdem türkische Kampfjets am Freitag nach langem Zögern Stellungen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien angegriffen haben, stimmt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sein Volk nun auf einen längeren Kampf gegen die IS-Miliz ein. Die Luftangriffe seien nur ein „erster Schritt“ gewesen, sagte der Staatschef am Freitag. Weitere würden folgen.
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Das gelte auch für kurdische und linke Extremisten. Alle militanten Gruppen müssten ihre Waffen niederlegen oder mit Konsequenzen rechnen. Erdogan reagierte auf die Eskalation der Lage an der Grenze zu Syrien und im Südosten der Türkei, wo es diese Woche mehrere Anschläge gab, die mutmaßlich auf das Konto des IS und kurdischer Rebellen gehen.
Er habe den USA außerdem versichert, dass sich die Türkei an der Bekämpfung des IS beteiligen werde, so Erdogan weiter. Er bestätigte zugleich Medienberichte, dass die von den USA angeführte Militärallianz künftig vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik im Süden der Türkei Angriffe auf die Extremisten fliegen darf. Die türkische Luftwaffe beteilige sich zudem an Luftangriffen der US-geführten internationalen Koalition, gab das türkische Außenministerium Freitagabend bekannt.
„Aktive“ statt „passive Verteidigungsstrategie“
Damit können die USA die IS-Hochburgen wesentlich schneller und effektiver angreifen, als bisher von Jordanien, vom Irak oder von den Golfstaaten aus. Sie können außerdem Kampfhubschrauber einsetzen. „Die Luftangriffe heute Früh und die Maßnahmen gegen heimische terroristische Gruppen sind präventive Maßnahmen gegen Angriffe auf die Türkei von innen oder von außen“, sagte ein türkischer Regierungsmitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters. Die bisher passive Verteidigungsstrategie werde in eine aktive geändert.
Alle am Freitag angegriffenen IS-Ziele seien zerstört worden, sagte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu am Freitag. Der Schwenk in der bisherigen Politik gegenüber dem IS folgt nach einem dem IS zugeschriebenen Attentat im grenznahen Suruc am Montag, dem 32 Menschen zum Opfer fielen. Zudem lieferten sich am Donnerstag türkische Truppen mit IS-Milizionären über die Grenze hinweg ein Feuergefecht, bei dem ein Soldat und ein IS-Kämpfer getötet wurden. Am Freitagabend flogen türkische Kampfjets Angriffe auf IS-Stellungen jenseits der Grenze.
Für Damaskus „inakzeptabel“
„Wer uns Schaden zufügt, muss den zehnfachen Preis zahlen“, drohte Davutoglu. Zuvor hatte US-Präsident Barak Obama mit Erdogan telefoniert und nach Angaben des Weißen Hauses besprochen, wie die türkische Grenze zu Syrien sicherer werden und der Zustrom von ausländischen Kämpfern für den IS eingedämmt werden könne. Die Entscheidung für die Luftschläge sei auf einer Sicherheitskonferenz am Donnerstag getroffen worden, hieß es seitens der türkischen Regierung.
Die syrische Regierung kritisierte die Angriffe der Türkei in Syrien postwendend. „Syrien kann auf seinem Boden keine türkische Aktion akzeptieren“, sagte Vizeaußenminister Faisal al-Mekdad am Freitag nach Angaben der regierungstreuen Nachrichtenseite al-Watan. Die Türkei müsse die Souveränität Syriens respektieren.
Großeinsatz im ganzen Land
Zugleich mit den Angriffen auf IS-Stellungen gingen türkische Sicherheitskräfte bei Razzien in Istanbul und anderen Städten massiv gegen mutmaßliche Anhänger des IS sowie der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor. In einer Erklärung beschuldigte die Regierung den IS erstmals offiziell, den Selbstmordanschlag in Suruc verübt zu haben. Der IS selbst bekannte sich nicht zu der Tat.

APA/EPA/Dicle News Agency
Auslöser der türkischen Neuausrichtung war der nach türkischen Angaben vom IS verübte Bombenanschlag im südtürkischen Suruc am Montag mit 32 Toten
Bisherige Haltung ohne erhoffte Wirkung
Die sunnitische Türkei habe den sunnitischen IS lange relativ unbehelligt gelassen, weil sie ihn als nützlichen Gegner des Regimes von Baschar al-Assad angesehen habe, schreibt der US-Sicherheitsberater The Soufan Group. Jedoch habe der IS meist andere von der Türkei unterstützte Rebellengruppen angegriffen und nicht die Assad-Armee.
Zudem habe sich die von Ankara ebenfalls erhoffte Schwächung der Kurden im Irak und Syrien durch den IS in ihr Gegenteil verwandelt: Die Kurden seien mit US-Unterstützung durch den Kampf mit der Terrormiliz noch gestärkt worden. Schließlich sei Ankara auch die Gefährdung der inneren Sicherheit der Türkei und damit der wirtschaftlich bedeutsamen Tourismusbranche durch den IS klar geworden.
Regierung unter Druck
In der Tat sieht sich die türkische Regierung innenpolitisch mit dem Vorwurf konfrontiert, kaum oder zu schwache Maßnahmen gegen den IS-Terror unternommen zu haben. Vermutlich Tausende Ausländer sind in den vergangenen Jahren über die Türkei nach Syrien eingesickert, um für den IS zu kämpfen. Viele Kurden, die in der betroffenen Region leben, werfen der Regierung vor, den IS aus taktischen Gründen heimlich zu unterstützen, um die Kurden zu schwächen.
Nach dem Anschlag in Suruc kam es in mehreren Großstädten wiederholt zu Zusammenstößen zwischen Regierungskritikern und der Polizei. In Istanbul warfen Demonstranten Präsident Erdogan und seiner konservativ-islamischen Regierungspartei AK auch am Freitagabend vor, den IS zu unterstützen. Die Polizei ging mit Tränengas und Gummigeschoßen gegen die Menschen vor. Proteste gab es auch im überwiegend von Kurden bewohnten Südosten des Landes und in der Hauptstadt Ankara.
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