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Täglich eine Milliarde Liter abgezapft

2001 hat die indische Regierung einen Bericht vorgelegt, der die Zahl der illegalen Wasserbohrlöcher in Delhi auf 200.000 schätzt. Mittlerweile dürften es nicht weniger geworden sein, der Handel mit dem illegal abgezapften Wasser ist zum Millionengeschäft geworden. Die städtischen Wasserwerke scheitern daran, ein funktionierendes Leitungsnetz aufzubauen - ein Vakuum, das die „Tanker-Mafia“ nutzt.

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Wie hoch die Zahlen sind, kann nur geschätzt werden, wie bei vielen illegalen Geschäften ist es nur eine Dunkelziffer. „Über eine Milliarde Liter werden jeden Tag abgezapft“, sagte der Aktivist Himanshu Takkar im Gespräch mit der „New York Times“. Der Wasserexperte arbeitet für das South Asian Network on Dams, Rivers and People - einem Forschungsinstitut, das sich mit der Wasserknappheit in der ganzen Region beschäftigt.

Enormer Wasserverbrauch

Insgesamt werden in Delhi jeden Tag drei Milliarden Liter Wasser verbraucht, ein Drittel der Versorgung funktioniert über die mobilen Laster, die illegal aus Bohrlöchern pumpen. Dabei gestaltet sich der Wasserverbrauch sehr unterschiedlich: Im Zentrum der Stadt ist der Pro-Kopf-Verbrauch bis zu zehnmal höher als in den Vorstädten und Slums.

Auch im Vergleich zu anderen indischen Städten gehört Delhi zu den „durstigeren“: Im Durchschnitt werden 363 Liter pro Kopf und Tag verbraucht, wie ein Grafik der britischen Zeitung „Daily Mail“ zeigt. In vielen europäischen Hauptstädten ist der Verbrauch geringer: In Wien etwa werden pro Einwohner durchschnittlich 130 Liter Wasser verbraucht.

Stark verschmutztes Grundwasser

Seit Jahren sind die Grundwasserspiegel Delhis im Sinken begriffen, besonders im Süden der Stadt - in Slumvierteln wie Sangnam Vihar liegt er nun um 40 Meter tiefer als noch vor zehn Jahren. Weil es keine Wasserleitungen gab, ließ die Regierung nach Wasser bohren. Durch die großen Mengen, die in den Armenvierteln abgezapft werden - auch von den Wasserhändlern - muss nun immer tiefer gebohrt werden.

Der Fluss Yamuna bei New Delhi

picturedesk.com/Roberto Moiola , Robert Harding

Delhis Hauptstrom, der verunreinigte Fluss Yamuna

Ein weiteres Problem ist, dass das Grundwasser der Stadt stark verschmutzt ist. Laut einem 2012 erschienen Bericht sind Eisen, Fluorid und Arsen in gesundheitsschädigenden Konzentrationen vorhanden. Am deutlichsten sichtbar wird die Verschmutzung an dem Fluss Yamuna, der mitten durch Delhi fließt. Oft ist die Wasseroberfläche mit Schaum bedeckt, verursacht von den Abfällen der Textilindustrie, die in den Fluss geleitet werden. Krankheiten, die durch verunreinigtes Wasser verursacht werden, sind weit verbreitet. Doch für viele Menschen ist der Yamuna die einzige Wasserquelle.

Wassernahversorgung mit dem Tankwagen

Wer es sich leisten kann, der kauft sein Wasser bei der „Tankermafia“. Tausende Tanklaster kreuzen durch Delhi, um den steigenden Bedarf an Wasser zu decken. Sie versorgen jeden, vom Gemüsehändler bis zur Stofffabrik. Als Organisation mit klassischen mafiösen Strukturen darf man sich das Geschäft aber nicht vorstellen: Meist sind es Kleinunternehmer, die einige Lastwägen besitzen und die Fahrer bezahlen, die „Tankerbosse“ untereinander arbeiten nicht zusammen. Sie kaufen das Wasser von Männern, die illegale Bohrlöcher betreiben.

Das System der illegalen Wasserhändler entstand Anfang der 2000er Jahre. Die städtischen Wasserwerke erkannten, dass ein Leitungssystem bei Delhis rasantem Wachstum unmöglich zu realisieren ist. Hatte die Stadt im Jahr 1960 noch etwas über zwei Mio. Einwohner, so leben heute schätzungsweise 20 Mio. Menschen in der Metropolregion Delhi, viele von ihnen in illegal errichteten Siedlungen.

Keine Infrastruktur für Slums

Während sich Parteien über neue potenzielle Wähler freuten, wuchs die Angst der innerstädtischen Eliten, dass die Wasserversorgung der Vorstädte mit Leitungen den Grundwasserspiegel Delhis deutlich senken würde. Man solle die illegal gebauten Siedlungen nicht auch noch mit Infrastruktur unterstützen, so das Argument der Gegner damals.

Frau mit Wasserkanister

Anindito Mukherjee

Wasserleitungen sind in den Vorstädten Delhis eine Seltenheit

Mit der Gründung des Delhi Jal Board (DJB) im Jahr 1998 änderten sich die Dinge: Man wollte erstmals die Suburbs mit kostenlosem Wasser versorgen, mit einem System aus Tankwägen und Bohrlöchern in den Vorstädten. Die Tankwagenfahrer erkannten schnell, dass aus dem „motorisierten Wassernetz“ Profit zu schlagen ist. Die Idee des DJB verselbstständigte sich, viele der staatlichen Tanker begannen auf eigene Faust Wasser zu zapfen und zu verkaufen. Heute liegt der Preis für eine Tankladung (5.000 Liter) bei gut 40 Euro. Krankenhäuser und Fabriken bezahlen aber deutlich mehr für das Wasser.

Regierungsmaßnahmen greifen nicht

Auch die neue Stadtregierung mit Avrind Kejrival an der Spitze konnte des Problems nicht Herr werden. Seit 2013 stellt die Antikorruptionspartei AAP - mit Unterbrechungen - den Regierungschef Delhis. Angetreten mit dem Versprechen, jedem Haushalt täglich 700 Liter Wasser zur Verfügung zu stellen, scheiterten die Bemühungen bisher. Laut „Daily Mail“ ist das DJB so eng mit der „Tankermafia“ verbunden, dass die Wasserknappheit künstlich aufrechterhalten wird, um Schmiergelder der Wasserhändler weiter an korrupte DJB-Beamte fließen zu lassen.

Hier offenbart sich das Dilemma Delhis: Ohne die „Tankermafia“ wären weite Teil der Stadt ohne funktionierende Wasserversorgung - das illegale Abzapfen lässt aber die ohnehin schon tiefen Grundwasserspiegel weiter sinken und verschärft so die Wasserknappheit. Der Ursprung des Geschäftszweiges liegt in der in Indien weit verbreiteten Korruption. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International liegt das bevölkerungsreiche Land weit abgeschlagen hinter anderen aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Südafrika und Brasilien.

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