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Finanzströme entflechten

Rund 80 Milliarden Euro Steuereinnahmen sollen mit dem nächsten Finanzausgleich verteilt werden. Die Verhandlungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden begannen offiziell bereits Ende April, die intensive Phase steht nun ab Herbst bevor. Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) gab für einen Abschluss Zeit bis Mitte 2016. Denn er will mehr als nur die Gelder verteilen.

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Schelling strebt eine umfassende Reform des Finanzausgleichs an, und er fordert einen „dramatischen Umdenkprozess“. Zuständigkeiten und Verantwortung sollten zusammengeführt werden. Die wichtigsten Punkte auf seiner Agenda: eine begrenzte Steuerautonomie für die Bundesländer, eine neuerliche Zweckwidmung der Wohnbauförderung und eine stärkere Aufgabenorientierung. Als Verteilungsschlüssel soll weniger die Bevölkerungszahl und stärker Tätigkeiten der Länder wie Kinderbetreuung, Pflege und Bildung dienen. In der Praxis hieße das, dass Gelder etwa für die Kinderbetreuung nicht mehr über die Länder, sondern direkt vom Bund an die Gemeinden überwiesen werden.

Länder mit besserer Verhandlungsposition

Auch wenn sich einige Ländervertreter den vorgeschlagenen Neuerungen offen gegenüber zeigten, werden die Reformbemühungen beim Finanzausgleich dennoch eine harte Nuss sein. Denn auf eine Abgabe von Zuständigkeiten und damit verbunden möglicherweise geringeren Zahlungen reagierten die Länder schon zu Beginn mit einem klaren Nein. „Grundlegendes Problem des Finanzausgleichs ist, dass wenig über effiziente Leistungserbringung nachgedacht wird“, analysiert Ludwig Strohner von EcoAustria im ORF.at-Interview.

Finanzausgleich

Der zuletzt 2007 ausgehandelte Finanzausgleich sollte nur sechs Jahre gelten, wurde aber immer wieder verlängert. Ab 2017 soll der neue Finanzausgleich gelten. In Arbeitsgruppen zur Finanzierung der Krankenanstalten, der Pflege, zur Aufgabenorientierung, für transparentere Geldflüsse zwischen den Gebietskörperschaften und eine mögliche Steuerhoheit werden die Verhandlungen vorbereitet.

Bis auf reine Bundessteuern (Bankenabgabe) und reine Gemeindeabgaben (Grundsteuer, Kommunalsteuer) werden die meisten Steuern verteilt - zwei Drittel für den Bund, knapp 21 Prozent für die Länder, zwölf Prozent gehen an die Gemeinden. Durch komplexe Zu- und Abschläge bleibt aber den Ländern grundsätzlich mehr als dem Bund und den Gemeinden.

Das derzeitige Verteilungssystem sei für die Länder „per se kein schlechtes“, so Strohner. Länder und Gemeinden befänden sich in einer etwas besseren Verhandlungsposition bei Gesprächen über Verteilungsschlüssel, weil sie mehr Informationen darüber haben, wie sich die Kosten in einzelnen Bereichen entwickeln, wo Kosten gesunken sind, welche Aufgaben von geringerer Bedeutung sind. Strohner: „Das aufzugeben wird schwierig werden, vor allem in Hinblick auf Aufgabenorientierung und Abgabenautonomie.“

50.000 Transferbeziehungen

Auf Länderebene werden derzeit rund 63 Prozent der Abgaben nach Bevölkerungszahl zugeteilt, der Rest erfolgt über historisch entstandene Fixschlüssel. Für Strohner sind diese in dieser Form nicht mehr nachvollziehbar. Ökonomen sprechen sich deutlich für eine stärkere Aufgabenorientierung aus. Auch Gemeindebundpräsident Helmut Mödlhammer kritisierte die derzeitigen Regelungen als „zum Teil undurchschaubar“, viele Finanzströme würden wirr laufen.

Grafik zum Finanzausgleich

APA/ZfV/ORF.at

Finanzausgleich in Mrd. Euro (gerundet), 2013

* Vorwegabzüge; * * EU-Beitrag, Pflegefonds

Häufig kritisiert werden die intransparenten Transfers insbesondere zwischen Ländern und Gemeinden. Zwar werden rund 67 Prozent der Gelder an den Bund verteilt, mehr als 20 Prozent an die Länder und knapp zwölf Prozent an die Gemeinden. Laut dem Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ) gibt es hier durch zahlreiche Sonderregeln und Transfers aber Vorteile für die Länder - zulasten von Bund und Gemeinden. Experten gehen davon aus, dass bei dem Transfersystem zwischen Ländern und Gemeinden 50.000 Transferbeziehungen laufen. Das würde Bürokratiekosten im dreistelligen Millionenbereich kosten.

Gewinner und Verlierer

Strohner hält eine Aufgabenorientierung etwa im Gesundheitswesen, bei der Bildung und im Sozial- und Pflegebereich für sinnvoll. Im derzeitigen System vermisst er jedenfalls die Kontrollmöglichkeiten. Die einen bekämen etwa im Pflegebereich mehr, als sie im Verhältnis zum Altersschnitt der Bevölkerung brauchen, die anderen weniger. Für eine bessere Kontrolle schlägt er etwa einheitliche Qualitätskriterien und Benchmark-Vergleiche vor. „Der Bund sollte dabei die Aufsicht übernehmen“, so Strohner.

Auch KDZ-Geschäftsführer Peter Biwald hält den derzeitigen Bevölkerungsschlüssel für reformbedürftig. Das KDZ plädiert überhaupt für eine größere Reform im Sinne einer Aufgabenorientierung. Hier werden unterschiedliche Kriterien - von Einwohnern mit dem Anteil von Kindern, Älteren und Menschen mit Migrationshintergrund als Grundlage des Finanzausgleichs herangezogen. Auch das Umfeld sollte berücksichtigt werden: Liegt die Gemeinde im Tal oder am Berg? Wie dicht ist sie besiedelt? Er hält aber schon die Aufgabenorientierung in ausgewählten Bereichen für eine Herausforderung: „Große Reformen bedeuten Veränderung, und da gibt es meistens Gewinner und Verlierer.“

Grundsätzlich müsse es keine Verlierer geben, so AK-Wien-Chefökonom Markus Marterbauer im ORF.at-Interview. Denn für bestimmte Aufgaben und Schwerpunkte bekomme man auch mehr Geld: „Verlierer ist man auf Landesebene dann, wenn das eigene politische Ziel nicht mit denen des Bundes übereinstimmt und man etwa nicht zusätzlich in den Ausbau der Kinderbetreuung investieren will. Weil dann bekommt man auch nicht mehr Geld.“

Skepsis schon im Vorfeld

Kommt die Aufgabenorientierung tatsächlich, müssten die Verteilungsschlüssel ohnehin aufgeschnürt werden, um wieder Geld für andere Bereiche zu haben, so Marterbauer. Anders sieht das Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Dieser kann zwar einer Aufgabenreform „einiges abgewinnen“, weniger aber einer neuen Verteilung: „Es müsste sich bei den Aufgaben schon gravierend etwas ändern, dass man den Schlüssel ändert“, sagte er einige Tage nach dem offiziellen Start der Verhandlungen.

Mehr Widerstand kam im Vorfeld bereits aus Niederösterreich. Der dortige Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka (ÖVP) sprach sich gegen eine Aufgabenorientierung aus. Das sei zu komplex, „(...) dann haben wir nicht 50.000, dann haben wir ein paar Millionen Transferzahlungen. Das gerechteste ist pro Kopf ein Euro oder pro Kopf die gleiche Summe“ - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.

Mehr Sparanreiz durch Autonomie?

Noch größer sind die Meinungsverschiedenheiten bei einer möglichen Steuerautonomie. Die schwarz regierten Länder unterstützen Schelling bei seinen Zielen, die roten Länder wehren sich gegen einen möglichen Steuerwettbewerb. Doch auch Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) sagte schon vor Beginn der Verhandlungen, dass bei den Ländern zur Steuerautonomie Uneinigkeit herrsche: „Steuerautonomie klingt positiv - aber ehrlicherweise muss man dann auch dazu stehen, dass das einen Steuerwettbewerb unter den Bundesländern bedeutet.“ Schelling jedenfalls will eine Autonomie nicht „nur bei Bagatellsteuern“, sondern etwa bei Einkommens- und Körperschaftssteuer.

„Bürokratischer Overkill“

Welches Ausmaß diese Steuerautonomie einnehmen sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander. Strohner etwa wünscht sich bei der Abgabenautonomie der Länder ebenfalls größere Steuervolumen, wie etwa die Einkommensteuer, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Ländern zu erhalten: „Bei Einführung einer Abgabenautonomie würde ich darauf vertrauen, dass die Mittel sparsamer eingesetzt werden. Die Länder müssen damit den Wählern erklären, warum bei ihnen der Steuersatz so hoch ist und in anderen Bundesländern anders.“ Ähnlich argumentiert Biwald: „Wenn man auf der Länderebene die substanzielle Autonomie verstärken will, wird man um große Steuern wie die Lohnsteuer nicht herumkommen.“

Marterbauer hält eine Steuerautonomie auf Gemeindeebene für sinnvoll: „Mehr Spielraum im Bereich der Grundsteuer kann im Gegenzug das Angebot etwa in der Kinderbetreuung oder im Pflegebereich verbessern.“ Eine generelle Autonomie etwa auch bei Lohn- und Einkommenssteuer hält er allerdings für problematisch: „Unterschiedliche Lohnsteuersätze in den Ländern wäre auch ein absurder Verwaltungsaufwand für die Unternehmen, ein bürokratischer Overkill und Unsinn.“

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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