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Säbelrasseln da wie dort

Die Supermachtansprüche Chinas, das unberechenbare Nordkorea und der Ukraine-Konflikt sind für die USA die derzeit größten Bedrohungsszenarien - laut Einschätzung der Armee größer als der radikalislamische Terrorismus, der jahrelang Mittelpunkt der Verteidigungsdoktrin war. Auf der anderen Seite reagiert Russland auf das Näherrücken der NATO an seine Grenzen - Spannungen schaukeln sich hoch.

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Zuletzt bezeichnete der designierte US-Generalstabschef Joseph Dunford Russland als „existenzielle Bedrohung für die Vereinigten Staaten“ und gemeinsam mit China „die größte Bedrohung für unsere nationale Sicherheit“. Die Atommacht Russland könnte - Stichwort: Annexion der Krim - die Souveränität von US-Verbündeten verletzten, erklärte der General vor dem Verteidigungsausschuss des Senats in Washington. Der derzeitige Kurs Moskaus sei „nichts weniger als alarmierend“.

An zweiter Stelle folge China, vor allem wegen seiner militärischen Präsenz im Südpazifik. Das heiße aber nicht, „dass wir China als Feind betrachten“. Die drittgrößte Bedrohung aus US-Sicht sei Nordkorea, da von dort aus Raketen das amerikanische Festland treffen könnten. „In der Nacht wach halten“ würden ihn allerdings Bedrohungen, die erst auftauchen könnten, zitierte die „Military Times“ Dunford, gegenwärtig Kommandant des Marineinfanterie-Korps (US Marine Corps).

Mehr als ein Jahrzehnt „Kampf gegen Terror“

Dass der General die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS), die weite Teile Syriens und des Irak kontrolliert und als größte terroristische Gefahr weltweit gilt, nicht als Priorität nennt, ist insofern bemerkenswert, als der „Kampf gegen den Terror“ („War on Terrorism“) jahrelang auf der Agenda der US-Streitkräfte ganz oben stand. Den hatte EX-US-Präsident George W. Bush unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärt.

Designierter US-Generalstabschef Joseph Dunford

Reuters/Yuri Gripas

Dunford sieht Prioritäten verschoben

US-Präsident Barack Obama hatte „Fighting Joe“ (so sein Spitzname) Dunford im Mai als Nachfolger für den scheidenden General Martin E. Dempsey nominiert. Er übernimmt die Funktion im Herbst. Auch Dempsey hatte zuletzt Bedrohungsszenarien gezeichnet und in einem Strategiepapier, das Anfang Juli an die Öffentlichkeit gelangte, Russland, China, Nordkorea und den Iran zu den größten möglichen Bedrohungen für die USA erklärt. Die USA hätten sich im letzten Jahrzehnt zwar eher auf dem Kampf gegen Terrornetzwerke konzentriert, so Dempsey. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass das Land in einen zwischenstaatlichen Krieg hineingezogen würde, nehme zu.

Theaterdonner gegen Sparkurs?

Zugleich zeigte sich Dempsey über einen schleichenden Machtverlust der Streitkräfte besorgt. „Unser vergleichsweiser militärischer Vorteil hat zu erodieren begonnen.“ Das derzeitige Sicherheitsumfeld sei „das unberechenbarste, das ich in 40 Dienstjahren erlebt habe“. Wiederum ganz ähnlich klang zuletzt Luftwaffenstaatssekretärin Deborah Lee James, die ebenfalls Russland zur Topbedrohung für die USA erklärt hatte.

Ein Motiv für das Zeichnen derartiger Szenarien mag sein, dass die Armeespitze mit Sparplänen der Regierung nicht einverstanden ist. Die US-Landstreitkräfte sollen bis Ende 2017 um 40.000 Soldaten und 17.000 zivile Angestellte verkleinert werden. „USA Today“ spekulierte über weitere 30.000 Stellenstreichungen. Die Truppenstärke solle auf 450.000 verkleinert werden - das gilt als Minimalwert. Auf dem Höhepunkt der US-Einsätze im Irak und in Afghanistan hatte die Truppenstärke laut „USA Today“ 570.000 betragen. Dempsey forderte ausreichend finanzielle Mittel, damit die USA ihrer „globalen Verantwortung gerecht“ werden könnten.

Moskau beklagt „Atmosphäre der Feindseligkeit“

Russland zeigte sich angesichts der Äußerungen aus Washington besorgt, aber auch betont gelassen. „Wir sind über die künstlich erzeugte Atmosphäre der Feindseligkeit besorgt, die nichts mit der Realität, den Plänen und Handlungen Russlands zu tun hat“, sagte Außenminister Sergej Lawrow. „Wir haben uns schon an die regelmäßigen Äußerungen aus Washington gewöhnt, in welchen aus der Sicht der USA die Bedrohungen dieser Welt als größer oder als eher zweitrangig eingeschätzt werden.“

Russlands Präsident Putin und US-Präsident Obama

Reuters/Andres Stapff

Ein Bild aus besseren Tagen: Putin und Obama beim G-20-Gipfel 2012 in Mexiko

Faktisch droht aber auch Moskau, und kündigte zuletzt an, sein Arsenal an atomwaffenfähigen Interkontinentalraketen auszubauen. Nach Angaben von Präsident Wladimir Putin sollen die Streitkräfte 2015 mindestens 40 neue Raketen erhalten. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warf Russland daraufhin ungerechtfertigtes nukleares „Säbelrasseln“ vor. Dieselben Worte verwendete US-Verteidigungsminister Ashton Carter, um wenige Tage später im Juni anzukündigen, die USA würden Waffen und schweres Gerät in den baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien und Polen stationieren. Die NATO verstärkt ihre Bodentruppenpräsenz in Osteuropa deutlich.

Deutliche Drohungen

Das wiederum werde Moskau nicht tatenlos hinnehmen, sagte Nikolai Patruschew, Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates. Das westliche Militärbündnis nähere sich in Staaten der ehemaligen Sowjetunion der russischen Grenze. Moskau könne das nicht ignorieren. Deutliche Warnungen gab es in Richtung Polen und Rumänien, sich am Raketenabwehrsystem der USA zu beteiligen. „Falls es ihnen gefällt, wegen eines US-amerikanischen Waffensystems ein Ziel zu sein, ist das ihre Entscheidung“, sagte der Vizechef des Sicherheitsrats, Jewgeni Lukjanow.

Gegenseitige Vorwürfe

Die USA und die NATO werfen Moskau vor, im ukrainischen Bürgerkrieg nicht nur die prorussischen Separatisten zu unterstützen, sondern auch aktiv in die Kämpfe einzugreifen. Putin bezeichnete die NATO-Osterweiterung und damit ihr Heranrücken an die Grenzen Russlands schon vor Jahren als Bedrohung und Provokation. Dezidiert warnte Moskau das westliche Militärbündnis vor einer Aufnahme der Ukraine. Der frühere russische Präsident Michail Gorbatschow nannte die Osterweiterung einen „Fehler“ und Bruch mit dem Geist der Vereinbarungen zwischen dem Westen und Russland nach dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wiedervereinigung.

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