Kritik von Mikl-Leitner
Die von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) forcierten Abschiebungen von Flüchtlingen könnten ins Stocken geraten. Ungarns Premier Viktor Orban hat das Dublin-Abkommen, das die Zuständigkeit im europäischen Asylwesen regelt, suspendiert, berichtet die „Presse“. Damit können Flüchtlinge nicht mehr ins Nachbarland abgeschoben werden, auch wenn Ungarn für einen Fall zuständig ist.
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Ungarn wünsche sich ebenfalls eine europäische Lösung, aber „wir müssen die ungarischen Interessen wahren und unsere Bevölkerung schützen“, sagte Orbans Regierungssprecher Zoltan Kovacs gegenüber der „Presse“. Ungarn habe Kapazitäten für 2.500 Flüchtlinge und schon 3.000 untergebracht. „Das Boot ist voll“, das Land könne nicht noch weitere Zehntausende Dublin-Fälle annehmen, so Kovacs gegenüber der „Presse“. „Ungarn hat seine zur Verfügung stehenden Ressourcen erschöpft“, heißt es in einer Stellungnahme der Regierung in Budapest. Das habe es notwendig gemacht, „vor einer EU-Entscheidung Schritte zu setzen“.
Ungarn: Tausende kommen über Balkan-Route
Seit Anfang 2014 seien über Ungarn 100.000 Personen illegal eingereist, 60.000 davon dieses Jahr, so Kovacs gegenüber der „Presse“ weiter. Ungarn erwarte sich Solidarität von den europäischen Partnern. Alle würden nur auf das Mittelmeer schauen, doch über die Balkan-Route seien heuer mehr Flüchtlinge nach Europa gekommen.
Das Dublin-Abkommen regelt, dass Verfahren für Flüchtlinge in jenem Land vorzunehmen sind, über das sie in das Gebiet der Europäischen Union gelangt sind. Gibt also etwa ein in Österreich aufgegriffener Asylwerber an, über Ungarn ins Land gekommen zu sein, kann er von den österreichischen Behörden in den Nachbarstaat überstellt werden, da dieser laut EU-Regel für das Verfahren zuständig ist.
EU will Aufklärung über Pläne
Die EU-Kommission forderte Ungarn umgehend zur Aufklärung über seine Pläne auf. Ein solcher Schritt sei in den gemeinsamen Asylregeln der EU nicht vorgesehen, hieß es laut der Nachrichtenagentur Reuters am Dienstagabend von der Brüsseler Behörde. „Die Kommission hat Ungarn zu einer umgehenden Klarstellung über die Art und das Ausmaß des technischen Fehlers aufgefordert“, sagte eine Sprecherin. Zudem wolle die EU wissen, was dagegen getan werde, hieß es.
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) kritisierte das ungarische Vorgehen als „inakzeptabel“. In einem Telefongespräch mit seinem ungarischen Amtskollegen Peter Szijjarto am Dienstagabend sagte Kurz, dass das Vorgehen Ungarns „negative Auswirkungen“ haben werde. „Das kann Österreich nicht tolerieren“, so Kurz in dem Telefonat laut Außenministerium.
Auch Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka kritisierte die Ankündigung der ungarischen Regierung. Die Flüchtlingskrise könne nicht durch einseitige Schritte gelöst werden, sagte Sobotka am Dienstag laut der Nachrichtenagentur CTK. Es sei ein negatives Signal, das zeige, „dass Europa unfähig ist, mit der gegenwärtigen Flüchtlingskrise umzugehen.“
Mikl-Leitner: „Keine Einbahnregel“
Im heimischen Innenministerium reagierte man naturgemäß wenig erfreut. Man sei auf Beamtenebene wie elf andere Länder auch von Budapest am Dienstag über die Entscheidung, Dublin aus „technischen Gründen“ zu suspendieren, informiert worden, hieß es gegenüber der APA. Laut „Presse“ gilt die Suspendierung auf unbestimmte Zeit. Ungarn ist eine wichtige Station, weil hier die Südostgrenze des grenzkontrollfreien Schengen-Raums liegt.
Innenministerin Mikl-Leitner sagte gegenüber der APA: „Wer weiterhin ein Europa ohne Grenzen haben will, muss die Schengen-Regeln einhalten. Das heißt natürlich auch, an der Dublin-Regel festzuhalten.“ Österreich sei bereit, Ungarn in dieser schwierigen Situation zu helfen, etwa mit 40 Polizisten an der ungarisch-serbischen Grenze. „Klar ist jedoch, dass so eine Hilfe keine Einbahnregel sein kann“, so die Innenministerin.
Mikl-Leitner hatte vor Kurzem angeordnet, dass Dublin-Fälle bevorzugt behandelt werden und alle anderen Asylverfahren im Gegenzug zurückgestellt werden sollen. Laut „Presse“ sind seit Anfang 2015 von Österreich 620 Asylwerber nach den Regeln der Dublin-Verordnung in andere EU-Länder überstellt worden. Ein Viertel aller Asylwerber seien Dublin-Fälle, so das Innenministerium. Die meisten kämen aus Italien und Ungarn.
Slowakei gegen Asylquoten
Zwischen den EU-Staaten gibt es aktuell heftige Diskussionen über die Unterbringung von Asylwerbern und entsprechende Asylquoten. Das Thema soll auch auf dem EU-Gipfel am Ende der Woche behandelt werden. Dabei will die Slowakei zusammen mit Tschechien, Polen und Ungarn verbindliche Flüchtlingsquoten blockieren. Das erklärte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico am Dienstag im Parlament in Bratislava. Sein Land bekenne sich voll zu Solidarität bei der Lösung des Flüchtlingsproblems, bestehe aber weiterhin auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.
Sollte die von der EU-Kommission vorgeschlagene Quotenregelung angenommen werden, schließe er ein Referendum zu diesem Thema in seinem Land nicht aus, sagte Fico während einer Parlamentsdebatte über Flüchtlinge. Quoten seien „keine komplexe Lösung“, sie würden nur verursachen, dass das Problem „wie ein Bumerang zurückkehrt mit noch größerer Intensität“, so Fico. Schlepperbanden könnten sie gar als Einladung verstehen, denn Europa sei sichtlich bereit, immer weitere Flüchtlinge aufzunehmen, argumentierte er.
Streit zwischen Italien und Frankreich
Zwischen Italien und Frankreich gab es zuletzt heftigen Streit über Flüchtlinge, die von Italien nach Frankreich weiterziehen wollten. Hunderte Flüchtlinge warteten tagelang in der norditalienischen Grenzstadt Ventimiglia auf ihre Weiter- bzw. Einreise nach Frankreich und campierten dort. Sie wurden von der französischen Polizei immer wieder zurückgedrängt. Zuletzt entschärfte sich die Lage wieder etwas, viele Flüchtlinge sollen nach Österreich oder die Schweiz weitergezogen sein.
59.600 Flüchtlinge sind seit Jahresbeginn nach einer Fahrt über das Mittelmeer in Italien eingetroffen. Das sind mehr als im Vergleichszeitraum 2014, als 59.552 Migranten Italien erreicht hatten, berichtete der italienische Innenminister Angelino Alfano am Dienstag vor dem Parlament in Rom. Er äußerte die Hoffnung, dass bis Ende Juli 24.000 Flüchtlinge von anderen EU-Partnern aufgenommen werden, wie auf europäischer Ebene vereinbart. 78.000 Menschen werden zurzeit in Flüchtlingseinrichtungen in Italien versorgt.
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