Tauziehen um Verteilungsschlüssel
In der Frage von Flüchtlingsquoten in der EU zeichnet sich ein hartes Tauziehen ab. Mehrere Staaten wollen nur freiwillige Quoten akzeptieren, darunter viele osteuropäische sowie Spanien und Portugal. „Rund zehn Länder“ sind laut EU-Ratskreisen aus Brüssel für einen vorübergehenden, aber verbindlichen Verteilungsschlüssel, einige sind demnach noch unentschieden.
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Damit ginge sich nach Angaben eines ranghohen EU-Diplomaten knapp eine qualifizierte Mehrheit aus. Abstimmen würden lediglich 25 EU-Staaten, weil Großbritannien, Dänemark und Irland, die über Ausnahmeregeln verfügen, nicht mitmachen. Somit würde die Zustimmung von mindestens 14 Staaten, die 66 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, ausreichen.
Der tschechische EU-Botschafter Martin Povejsil kündigte gegenüber dem Onlineportal Politico jedoch bereits an, sich eines Tricks bedienen zu wollen, der es einem EU-Land erlaubt, eine Abstimmung nach den früher Regeln zu beantragen. Dann hätten alle EU-Staaten zusammen 352 Stimmen, die nach der Bevölkerungszahl gewichtet sind. Für eine qualifizierte Mehrheit der 25 Staaten wären dann 72 Prozent, also 223 von 309 Stimmen, nötig. Das zu erreichen wäre nach aktuellem Verhandlungsstand unmöglich, hieß es aus EU-Ratskreisen.
1.213 sollen nach Österreich kommen
Die EU-Kommission möchte 40.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland nach einem Quotenschlüssel auf die restlichen EU-Länder aufteilen. Als Folge der anhaltenden Kritik droht sich die Entscheidung über die Kommissionspläne nun bis in den Herbst zu verzögern. Österreich müsste 3,03 Prozent der umzusiedelnden Flüchtlinge aufnehmen, das entspricht 1.213 Personen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sprach sich für eine EU-Quote aus, mit der Österreich entlastet würde. Derzeit liegt der Anteil Österreichs an den Asylwerbern in der EU laut Innenministerium bei rund fünf Prozent.
Prinzipiell für eine fairere Aufteilung von Flüchtlingen sind auch Frankreich und Deutschland. Sie sprachen sich jedoch für eine Neuberechnung des Verteilungsschlüssels aus, sodass dieser bereits aufgenommene Flüchtlinge stärker einbezieht. Ähnlich äußerte sich zuletzt Mikl-Leitner. Zusätzlichen Belastungen für Österreich will sie nicht zustimmen.
Am Freitag hieß es aus EU-Ratskreisen in Brüssel zudem, die EU-Staaten wollen im Zuge der Diskussion über die Flüchtlingsquote auch die Rückführung von Migranten vorantreiben. Entsprechende Anstrengungen auf EU-Ebene müssten verstärkt werden.
Slowenien für freiwillige Aufnahme
Slowenien befürwortet eine freiwillige Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten für die Aufnahme von Flüchtlingen. „Slowenien setzt sich für das Solidaritätsprinzip, jedoch auf einer freiwilligen Basis, und für gegenseitige Hilfe zwischen den Mitgliedstaaten ein“, hieß es in der am Freitag verabschiedeten Position der slowenischen Regierung zur EU-Migrationsstrategie. Auch Estland plädierte am Freitag für eine freiwillige Aufnahme von Flüchtlingen.
Ungarn erwägt Schließung der Grenze zu Serbien
Die ungarische Regierung gab am Freitag bekannt, eine Schließung der Grenze zu Serbien zu erwägen. „Wir halten es nicht für richtig, dass sie uns die Flüchtlinge schicken, sie müssen auf serbischem Gebiet aufgehalten werden“, sagte Ministerpräsident Victor Orban. „Wir ziehen alle Optionen in Betracht, darunter die Möglichkeit einer vollständigen Schließung der Grenzen.“
Anstieg bei Route über Ägäis
Mehr als 100.000 Menschen hat ihre Flucht seit Beginn dieses Jahres über das Mittelmeer nach Europa gebracht. Das sind etwas mehr als im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres. Dramatisch stellt sich der Anstieg der Flüchtlingszahlen allerdings mit Blick auf das östliche Mittelmeer dar: Immer mehr Menschen versuchen über die Ägäis nach Europa zu gelangen.
Bereits im vergangenen Jahr hatten dreimal so viele Flüchtlinge wie im Jahr zuvor die Fahrt durch die Ägäis gewagt. Heuer wird sich diese Zahl noch einmal vervielfachen. Zum Vergleich: Von Jänner bis August 2014 kamen knapp 21.000 Flüchtlinge über die Ägäis nach Griechenland. 2015 waren es laut der griechischen Küstenwache bereits im ersten Quartal über 40.000.
Hilflose Behörden
Vor einem Jahr hatte das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) bereits von einer „humanitären Krise“ gesprochen - und an die EU appelliert, mehr Hilfe für die Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. In den vergangen Monaten verschärfte sich die Lage auf dem griechischen Festland und den Ägäis-Inseln noch einmal. Örtliche Medien berichten von dramatischen Zuständen. Die Helfer der humanitären Organisationen seien erschöpft. In vielen Fällen müssten die Flüchtlinge im Freien schlafen.
Die Behörden scheinen der wachsenden Zahl an Flüchtlingen hilflos gegenüberzustehen. „Die Schlepper bringen Menschen direkt in den Hafen hinein“, so ein Offizier der Küstenwache von Chios. Die Ägäis-Insel liegt rund zehn Kilometer von der türkischen Küste entfernt. Nach Angaben des Bürgermeisters von Chios, Manolis Vournous, kamen allein im Mai 3.400 Flüchtlinge auf der Insel an.
Großteil der Flüchtlinge noch in Italien
Auch die neuesten Zahlen der UNO machen deutlich, dass die „östliche“ mittlerweile fast gleichauf mit der „zentralen Mittelmeer-Route“ liegt. Laut dem UNHCR landeten 54.000 Menschen nach ihrer Flucht über das Mittelmeer an der italienischen Küste. Das sind zwar immer noch 14.000 mehr als in der Ägäis, doch im Vergleich mit dem vergangenen Jahr zeigt sich ein deutlich verschobenes Bild.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA
Noch 2014 kamen über 75 Prozent der rund 220.000 Flüchtlinge über die „zentrale Mittelmeer-Route“ nach Europa. Italien war damit für viele Flüchtlinge das erste Ziel in Europa - auch wenn am Ende etwa in Deutschland in den vergangenen Jahren rund viermal so viele Menschen Asyl beantragten wie in Italien. Das Flüchtlingsthema kocht in dem Mittelmeer-Land dennoch in regelmäßigen Abständen hoch.
Unterschiedliche Routen
Dass dabei Flüchtlinge zusehends die Fahrt über das östliche Mittelmeer wagen, ist für die EU-Grenzschutzbehörde Frontex auch ein Ergebnis der veränderten Zusammensetzung der Flüchtlingsströme. Bei den Menschen, die über die Türkei nach Griechenland kommen, handle es sich in erster Linie um Kriegsflüchtlinge - die meisten von ihnen versuchten, dem Konflikt in Syrien zu entkommen. In Italien landen laut Frontex hingegen überwiegend Menschen aus den südlich der Sahara gelegenen Ländern, die vor der Armut in ihrer Heimat fliehen.
Die Bezeichnung „Wirtschaftsflüchtling“ greift aber auch für viele dieser Menschen zu kurz. So machte erst am Montag die UNO auf die verheerende menschenrechtliche Situation im ostafrikanischen Eritrea aufmerksam. „In Eritrea herrscht nicht das Recht, sondern die Angst“, heißt es im Bericht einer dreiköpfigen UNO-Ermittlergruppe unter Leitung des australischen Experten Mike Smith. Fast 360.000 Eritreer sind laut UNO-Angaben derzeit als Flüchtlinge in Europa registriert. Die meisten von ihnen setzten ihren Fuß in Italien auf europäischen Boden.
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