Mit der Kameradrohne ins Jenseits
Durch die Luft sausende Stühle, lebende Bäume und Wandschränke, die sich in die Unendlichkeit verlängern - welcher Film wäre besser für ein 3-D-Remake geeignet als der Kultschocker „Poltergeist“? Horroraltmeister Sam Raimi produzierte nun eine Neuauflage, Regie führte dabei Nachwuchstalent Gil Kenan. Und zumindest während des langsamen Filmbeginns stehen einem die Haare zu Berge.
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Der ganz kleine, dem Alltag abgeschaute Horror ist ja im Kino meistens unheimlicher als der große, der uns um jeden Preis beeindrucken will. Und so kommt die nachhaltig verstörendste Szene des neuen „Poltergeist“ auf den ersten Blick harmlos daher: Ein kleines Mädchen spielt selig im Garten. Mit den Fingern steckt es ein Stöckchen in den Rasen. Wieder und wieder. Denn jedes Mal bohrt sich das Holz – schwupp – von unten wieder nach oben.
Mit diesem kurzen Moment wissen auch diejenigen, die den ersten „Poltergeist“-Film nicht kennen, dass unter diesem sonnenbeschienenen Familienhaus etwas lauert. Etwas, das genug Energie hat, um Dinge ohne menschliches Zutun zu bewegen. Und nicht nur das.
Eine der erfolgreichsten Horrorserien aller Zeiten
Der 1982 von Steven Spielberg produzierte Ur-„Poltergeist“ unter der Regie von Tobe Hooper („Texas Chainsaw Massacre“) gehört mit 122 Millionen Dollar Einnahmen zu den erfolgreichsten Horrorfilmen aller Zeiten. Auf Teil 1 folgten zwei weitere, weniger gelungene Sequels. Nach dem dritten Teil verstarb die erst zwölfjährige Hauptdarstellerin Heather O’Rourke unter zunächst ungeklärten Umständen. Auch weitere Darstellerinnen und Darsteller kamen kurz nach dem Dreh zu Tode. Es wurde gemunkelt, das Projekt habe einen Fluch auf sich geladen, weil man im ersten Teil Horrorszenen mit echten Menschenknochen ausgestattet habe.

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Die Geräte schlagen erbarmungslos zurück
Soweit die Legendenbildung rund ums Kino. Mindestens ebenso gut taugen aber auch „echte“ Poltergeistphänomene, die immer wieder wissenschaftlich untersucht werden, zur Legendenbildung. Angesehene Wissenschaftler wie Freud-Schüler C. G. Jung schildern Fälle, in denen sie selbst Zeuge von Poltergeistaktivitäten geworden sein wollen – also angeblich Gegenstände beobachtet haben, die sich ohne erkennbare äußere Krafteinwirkung im Raum bewegten.
Horror der E-Geräte
Der aktuelle, von Samuel Raimi produzierte „Poltergeist“ nimmt seinen Spuk ebenfalls ernst. Ohne jede ironische Distanzierung setzt er da an, wo der Alltag unheimlich - weil für die meisten Menschen unverständlich - ist. Waren in den Geistergeschichten des 19. Jahrhunderts die neu entdeckte Elektrizität und der Magnetismus Quelle des Unheimlichen, so ist es 2015 die „smarte“ Elektronik: Handy, E-Book-Reader, Flatscreen-TV, Gamekonsole - kurz: alles, was flimmert und strahlt und möglicherweise auch Menschen verstrahlt.

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Clowns haben in Horrorfilmen noch selten Gutes bedeutet
Der „Poltergeist“ 2015 beginnt ganz klassisch mit der hoffnungsvollen Fahrt von Familie Bowen, bestehend aus den Eltern und ihren drei Kindern Kendra, Griffin und Maddison, zu ihrem neuen Heim. Das Haus liegt in den Suburbs einer von der Rezession gezeichneten Gegend im Mittleren Westen. Viele Domizile stehen leer, die Rollbalken der meisten Geschäfte bleiben geschlossen. Dafür stechen gigantische Starkstrommasten ins Auge, die eine Schneise quer durch die Siedlung ziehen. „Mama, hier kriegen wir alle Krebs“, ruft Teenager Kendra und spricht so erstmals Elektrosmogängste an, während das 3-D-Format mit dem Blick den Mast hinauf seine Schwindelwirkung entfaltet.
Botschaft: Konsum killt
Schon in der ersten Nacht im neuen Heim hört die Familie Kratzgeräusche hinter den Wänden. Und nicht nur das: Auch die elektronischen Geräte beginnen zu leben. Bläuliche Displays von Pads und Pods flackern im Takt einer ungehörten Musik aus dem Jenseits. Irgendetwas liegt in der Luft. Es sirrt, knistert und rauscht, während sich die Bowens unruhig in den Betten wälzen. Regisseur Kenan fügt nun eine Szene ein, die im originalen, von Spielberg mitgeschriebenen Drehbuch aus dem Jahr 1982 noch nicht existierte. Er folgt nämlich dem Familienvater ins Shopping Center.
Vater Bowen ist, wie der Zuseher aus einem Gespräch mit der Maklerin erfährt, seit Kurzem arbeitslos. Die ersten beiden Kreditkarten, die er an der Supermarktkasse vorlegt, sind überzogen und gesperrt. Erst die dritte funktioniert, die er - in dieser erniedrigenden Situation mühsam um Haltung bemüht - der Kassiererin mit den Worten reicht: „Die hier ist mein Talisman.“
Mit der Enthemmtheit des Verzweifelten kauft nun Mr. Bowen neben dem notwendigen Werkzeug noch ein neues iPhone für Tochter Kendra und eine iPad-gesteuerte Flugdrohne für Sohn Griffin. Im Film scheint es, als sei erst durch diese irrationale Handlung der Fluch losgetreten: Gerade der auf Kredit erworbene Besitz wird sich in den folgenden anderthalb Stunden gegen seine Besitzer richten. Konsum killt.
Wunderkind mit Faible für unheimliche Häuser
Die klar formulierte politische Botschaft, die sich auch am Ende des Films manifestiert, unterscheidet ihn von seinem 80er-Jahre-Vorgänger. Und auch, wenn diverse Kritikerplattformen den neuen „Poltergeist“ verreißen: In dieser Hinsicht ist er seinem Vorbild überlegen. Andererseits entwickelt die Inszenierung mit fortschreitender Handlung einen gewissen Übereifer.
Kenan ist 38 Jahre alt. Noch als Student wurde er von Spielberg aufgrund seines wunderschönen Noir-Kurzfilms „The Lark“ entdeckt und vom Fleck weg für die Regie des in Vorbereitung befindlichen Animationsfilms „Monster House“ engagiert. Seither gilt Kenan als Hollywoods Wunderkind mit Faible für unheimliche Häuser. In „Poltergeist“ merkt man, dass der Regisseur sich auskennt: Er zitiert die winkende Trauerweide aus Jack Claytons Spukhausklassiker „The Innocents“ (1961) ebenso wie Mark Z. Danielewskis großartigen Haunted-House-Roman „House of Leaves“ (2000).
Und doch wirkt manches überambitioniert. Nach dem ersten Drittel des Films überstürzen sich die Ereignisse. Ist man eben noch dabei, die Stöckchenszene zu verarbeiten, verwelken schon wenige Meter daneben die frisch gepflanzten Blumen der Familie. Griffins Comic-Heftsammlung bildet - als Pendant zu den gestapelten Küchenstühlen im Original - vor dem Kinderzimmer eine Pyramide. Doch kaum hat man einen Blick darauf geworfen, folgt der nächste „Knaller“.
Überambitioniert: Feuerwerk der Effekte gegen Ende
Vielleicht muss man bei einem Blockbuster mit 35 Millionen Dollar Budget derart dicht arbeiten - aber schade ist es dennoch, denn der Film „Poltergeist“ entfaltet seine unheimliche Wirkung gerade dann, wenn er sich Zeit lässt. Zu neuer Konzentration findet er erst, wenn mit dem Briten Jared Harris („Mad Men“, „I Shot Andy Warhol“) ein überzeugend raubeiniger Geisterjäger die Szenerie betritt. Das Haus der Familie hat sich inzwischen in ein blinkendes Elektronikmeer verwandelt. Ein Forscherteam der Universität hat noch den letzten Winkel mit Kameras, Sensoren und LCD-Monitoren bestückt, sodass sich Familie Bowen auf dem Sofa zusammendrängt wie auf dem rettenden Floß, umspült von hochpreisiger Technik.
Im Finale spitzt sich schließlich alles zu: Die nagelneue Flugdrohne wird mit einer Handycam ins Jenseits geschickt, um die Schwester zu retten - eine äußerst obskure Szene, die eher planlos im Nirwana strandet. Retten könnte da schon eher die Anpackermentalität des Geisterjägers, der mit analogen Waffen – einem Seil und seinem starken Willen – ganz ohne Kabel, Akkus und Batterien den Kampf gegen die virtuellen Monster aufnimmt.
Maya McKechneay, ORF.at
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