Wie originell sind Anleitungen?
Mit dem Grad der Komplexität technischer Geräte nehmen auch die Schwierigkeiten zu, diese Geräte im Fall des Falles zu reparieren. Die dazu nötigen Anleitungen werden von vielen Firmen unter Verweis auf das Urheberrecht immer öfter unter Verschluss gehalten.
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Früher sei es üblich gewesen, dass Produkte mit Bauplänen und Servicedokumentationen für Reparaturen ausgeliefert werden, so der Gründer des US-Reparaturnetzwerks iFixit, Kyle Wiens, gegenüber ORF.at. Doch im Laufe der Zeit habe das immer mehr abgenommen. IFixit, das sich darauf spezialisiert hat, Reparaturanleitungen und dazupassendes Reparaturwerkzeug im Netz anzubieten, müsse dabei sehr genau darauf achten, keine Dokumentationen der Hersteller online zu stellen, um nicht geklagt zu werden.
„Diese ständige Drohung schränkt sehr ein, was wir tatsächlich publizieren können“, so Wiens. Die verfügbaren Gratisanleitungen werden von der Community oder iFixit daher meist selbst verfasst. IFixit versteht sich als Vertreter einer Bewegung, die auf Reparatur statt Neukauf setzt. Dadurch würden einerseits Jobs gesichert und Ressourcen geschont, andererseits müsse jeder Nutzer das Recht haben, sein Gerät auch reparieren oder modifizieren zu können.
Reparaturstellen als Verkaufsabteilungen
Die Praxis, Reparaturanleitungen und Schaltpläne nicht zu veröffentlichen, gebe es auch im EU-Raum, so Sepp Eisenriegler, Geschäftsführer des Reparatur- und Servicezentrums R.U.S.Z - und das, obwohl es auf Basis von EU-Gesetzen und nationalen Normen durchaus die Verpflichtung gebe, Servicedokumentationen zu publizieren. Stattdessen würden oft nur noch bestimmte Servicestätten mit Informationen versorgt.

iFixit unter cc-by-sa
IFixit zeigt Schritt für Schritt, wie Nutzer defekte Geräte selbst reparieren können
Diese seien aber „der verlängerte Arm der Verkaufsabteilung“ und daher nur bedingt daran interessiert, Geräte auch wirklich zu reparieren, ist Eisenriegler überzeugt. Kritiker bemängeln, dass die Hersteller auf diesem Weg auch den nachgelagerten Markt für Reparaturen für sich selbst absichern beziehungsweise den Reparaturmarkt „diktieren“.
Inhalt unterliegt nicht dem Urheberrecht
Laut Juristen ist das Urheberrecht bei Reparaturanleitungen nur bedingt anwendbar. Grundsätzlich ist zwischen Inhalt und Aufmachung zu unterscheiden. Der Inhalt, also die explizite Anleitung nach der Art „Stecken Sie Schraube B in Gewinde F“, kann demnach analog zu wissenschaftlichen Darstellungen nicht urheberrechtlich geschützt werden. Bei der Aufmachung, also den Formulierungen und etwaigen Illustrationen, kommt es auf den Grad der Originalität und damit der Kreativität des Werks an, ob dieses dem Urheberrecht unterliegt - wobei es hier durchaus entgegenlaufende Ansichten gibt.
Bildanleitungen Werke der bildenden Kunst?
Laut dem Rechtsanwalt Albrecht Haller kann die Formulierung und Gestaltung einer Anleitung zwar grundsätzlich originell sein, doch sei das Urheberrecht tatsächlich nur sehr selten anwendbar. Diese Auffassung vertritt auch sein Kollege Alfred Noll, wobei gerade kunstvoller ausgestaltete Anleitungen wie etwa jene von Ikea womöglich auch Werke der bildenden Kunst sein könnten, so Noll - das müsste im Fall des Falles aber ausjudiziert werden.
Für den Obersten Gerichtshof (OGH) ist die für den Urheberschutz unabdingbare Orginalität bei Reparaturanleitungen „eher auszuschließen“. Das Justizministerium wiederum ist der Ansicht, dass der Text einer Anleitung gar nicht „besonders“ kreativ sein muss, damit er schützbar ist - hier gebe es auch europarechtliche Vorgaben. Wie weit es tatsächlichen kreativen Spielraum gebe, sei aber im Einzelfall zu klären.
„Totschlagargument“ Urheberrecht
Eine Berufung auf das Urheberrecht kann laut Justizministerium allerdings schnell nach hinten losgehen: So könne aus kartellrechtlicher Sicht daraus der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begründet werden. Laut Noll könnten Firmen ihrerseits mit dem Argument des unlauteren Wettbewerbs gegen online publizierte Anleitungen vorgehen. Viele Hersteller würden aber nur ungern von sich aus mit dem Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs argumentieren, weil dann jeder schnell hellhörig werde und genauer hinschaue.
Beim „Totschlagargument“ Urheberrecht würden „die Leute schnell die Finger davon lassen“, so Noll weiter. Das Urheberrecht werde oft vorgeschoben und missbraucht, meint auch Haller, auch wenn es gar nicht anwendbar sei. Mit dem Urheberrecht würden bestimmte Mindeststandards gezogen, auf die sich der Urheber berufen kann - er müsse aber nicht. „Ein Urheber kann jederzeit etwas ohne Einschränkungen für bestimmte Nutzungszwecke herausgeben, wenn er das will.“
Nutzer dürfen eigene Anleitungen online stellen
Laut den von ORF.at befragten Juristen kann ein Nutzer für eine selbst erstellte Reparaturanleitung auch auf Basis einer offiziellen, womöglich wegen ihrer Aufmachung urheberrechtlich geschützten Anleitung nicht juristisch verfolgt werden. Ein Nachbau ist also möglich. Es gebe allerdings keinen Anspruch, die nötigen Infos für eine Reparatur zu erhalten. Anspruch habe der Nutzer eines Geräts nur auf die für den üblichen Gebrauch notwendigen Informationen.
Reparaturwerkstätten haben laut Judikatur durchaus ein Anrecht auch auf herstellereigene Infos wie die Bedeutung interner Fehlercodes. Mit Reparaturanleitungen und Servicedokumentationen haben sich die Gerichte bis dato noch nicht direkt beschäftigt - angesichts der aktuellen Debatte über die geplante Obsolesenz von Geräten, also die absichtliche Verringerung der Lebensdauer, bleibt abzuwarten, wie lange das so bleibt.
Nadja Igler, ORF.at
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