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Vernichtung mit Chlor

Mit drastischen Maßnahmen geht Frankreich gegen die Verschwendung von Lebensmitteln vor: Der Großhandel darf unverkaufte Nahrungsmittel künftig nicht mehr wegwerfen, wie das Parlament in Paris am Donnerstagabend in seltener Einmütigkeit beschloss.

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Insbesondere wird es den Händlern im Lebensmittelbereich verboten, ihre unverkaufte Ware für den Konsum ungeeignet zu machen. Ein Abgeordneter prangerte es als „skandalös“ an, dass zum Beispiel Chlor über Mistkübel mit noch nutzbaren Lebensmitteln des Großhandels verteilt werde. Damit wollen Händler verhindern, dass die Lebensmittel noch genutzt werden.

Das nun beschlossene Maßnahmenbündel sieht vor, dass die Händler jegliche Verschwendung vermeiden müssen: Unverkaufte Ware soll gespendet, als Tiernahrung genutzt oder als Kompost für die Landwirtschaft verwendet werden. Supermärkte mit einer Fläche von über 400 Quadratmetern werden verpflichtet, ein Abkommen für Lebensmittelspenden mit einer karitativen Organisation zu schließen. In der Schule soll zudem Unterricht gegen die Verschwendung von Lebensmitteln in den Lehrplan aufgenommen werden.

Für Kritiker sinnlose Auflage

Der Handel kritisierte, dass die Maßnahmen ihr Ziel verfehlten, denn der Großhandel sei lediglich für fünf Prozent der verschwendeten Lebensmittel verantwortlich. Zudem sei der Großhandel bereits jetzt der größte Spender und arbeite eng mit Hilfsorganisationen zusammen.

Älterer Mann durchwühlt Müllcontainer

Reuters/Eric Gaillard

Ein 87-jähriger Franzose durchsucht gemeinsam mit anderen Menschen in Nizza einen Müllcontainer nach Lebensmitteln (Archivbild aus dem Jahr 2013)

Jeder Franzose wirft jährlich im Durchschnitt 20 bis 30 Kilogramm Lebensmittel weg, was insgesamt einem Wert von zwölf bis 20 Milliarden Euro pro Jahr entspricht. Die nun von der Nationalversammlung beschlossenen Maßnahmen sind Teil eines Gesetzesentwurfs zum Energiewandel von Umweltministerin Segolene Royal.

EU-Appell an Mitgliedsstaaten

Die sozialistische Regierung in Paris hatte sich 2012 zum Ziel gesetzt, die Lebensmittelverschwendung bis 2025 zu halbieren. In den vergangenen Wochen präsentierten Abgeordnete der Regierung 39 Vorschläge, um die Lebensmittelverschwendung einzudämmen. Einer der Vorschläge lautete, dass Franzosen in Restaurants nicht verzehrtes Essen in „Doggy Bags“ mitnehmen sollen.

Frankreich folgt damit dem Beispiel Belgiens, das im Vorjahr als erstes europäisches Land ein ähnliches Gesetz verabschiedete. Die EU hatte in der Vergangenheit an die Mitgliedsstaaten appelliert, das Ablaufdatum bei Produkten wie Kaffee, Reis, Nudeln, Hartkäse und Marmelade abzuschaffen - als einen Schritt, um die Lebensmittelverschwendung einzudämmen.

1,3 Mrd. Tonnen landen weltweit im Müll

Jährlich landen laut UNO-Angaben 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Abfall. Das ist rein rechnerisch etwa viermal so viel, wie nötig wäre, um das Hungerproblem in der Welt zu lösen. Laut dem UNO-Welthungerbericht vom Oktober 2012 hat jeder Achte nicht genug zu essen - insgesamt sind das rund 870 Millionen Menschen. Allein die in den Industrienationen weggeworfene Menge von 300 Millionen Tonnen jährlich würde - theoretisch - reichen, diese Menschen zu ernähren.

Ein Teil der Nahrungsmittel wird weggeworfen, obwohl er noch essbar wäre - und vieles verdirbt aufgrund unzulänglicher Bedingungen. Würde der Verlust der Nahrungsmittel insgesamt eingedämmt, könnten auch die Preise sinken, hieß es. In vielen armen Ländern müssen die Menschen mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Essen ausgeben.

Wie viel Europäer wegwerfen

Durchschnittlich wirft der Studie zufolge jeder Europäer und Nordamerikaner jedes Jahr zwischen 95 und 115 Kilogramm Essen weg. In Teilen Afrikas und Asiens liegt die Abfallmenge zwischen sechs und elf Kilogramm pro Kopf. In Entwicklungsländern geht ein Großteil der Nahrung bereits am Beginn der Versorgungskette verloren - etwa durch unzureichende Erntetechnik, Insekten, mangelnde Kühlung und schlechte Lagerbedingungen.

Die Verschwendung von Lebensmitteln könnte nach Ansicht von UNO-Experten durch einfache Maßnahmen eingedämmt werden. Sie fordern zum Beispiel, dass Kunden auch die weniger perfekt geformten Früchte kaufen sollten. Außerdem solle das Haltbarkeitsdatum nicht immer so streng gesehen werden.

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