Der Schwarm soll zahlen
Aus den USA, wo es praktisch keine öffentliche Filmförderung gibt, schwappt ein Trend nach Europa: Immer mehr Filme werden mit Hilfe von Crowdfunding finanziert, zu Deutsch Schwarmfinanzierung. Mitte Mai startet die große US-amerikanische Plattform Kickstarter.com auch in der deutschen Version. Was ist dran am Trend, und wem nützt er wirklich?
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Mit dem Crowdfunding von Kulturprojekten ist es wie mit Frozen Yogurt oder Cup Cakes: Plötzlich ist das Wort in aller Munde, jeder weiß, was es ist, und alle wollen es machen. Und dennoch gab es Schwarmfinanzierung im Filmbereich schon lange vor Kickstarter und Co.
Das Wiener Gartenbaukino verkauft zum Beispiel seit 2010 symbolisch Ziegel, um notwendige Umbauten zu finanzieren. Wer spendet, dessen Name wird auf einer Messingtafel im Foyer eingraviert. Man darf sich ein bisschen als Bauherr oder Baufrau fühlen. Ähnlich im Wiener Filmmuseum, in dem man als förderndes Mitglied für einen gewissen, jährlich überwiesenen Betrag zu Sondervorführungen eingeladen wird oder Zugang zu anderen Goodies hat: Auf die Vorausleistung des Kulturförderers folgt das - nicht nur symbolische - Pay-back.

Crossing Europe
„The Long March“: Die Linzer Musikdoku kam durch Crowdfunding zustande
Vier Modelle des Crowdfunding
Das Prinzip ist beim Crowdfunding das gleiche, nur die Begriffe sind neu. Der oberösterreichische Digital-Media-Experte Wolfgang Gumpelmaier fasst die Spielarten des Crowdfunding im Gespräch mit ORF.at zusammen: „Es gibt vier unterschiedliche Formen des Crowdfunding. Erstens Reward-based, das heißt gegenleistungsbasiert wie Kickstarter und Startnext oder in Österreich Wemakeit.at. Für 20 Euro bekommt man das, für 40 das. Zweitens Equity-based, eigenanteilsbasiert. Die Crowd finanziert ein Start-up und ist am Gewinn beteiligt. Drittens Landing-based - da geht es um die Finanzierung von Unternehmen. Und viertens Donation-based. Das sind eigentlich Spenden. Die Gegenleistung ist das gute Gefühl oder eine Steuererleichterung.“

ORF.at/Maya McKechneay
Filmemacher Philip Huemer
Ein Großteil der Filmemacher praktiziert das gegenleistungsbasierte Modell. So wie der Linzer Tontechniker, Musiker und Filmemacher Philip Huemer. Er begleitete ein länderverbindendes Musikprojekt mit der Kamera und suchte erst, als abgedreht war, bei Startnext um die Finanzierung für Schnitt und Nachbearbeitung an: „Das Crowdfunding lief 2013 für 40 Tage“, erzählt Huemer bei einem Gespräch mit ORF.at in Linz. „Wir haben lange überlegt, welche Obergrenze wir setzen sollen. Wir wollten den Film auf gesunde Füße stellen. 3.500 Euro wären genug gewesen, um uns zu motivieren, den Film zu machen. Bei 3.900 Euro ist der Zähler dann stehengeblieben.“
Der Wettlauf um die volle Summe
Plattformen wie Startnext schreiben Einreichern vor, eine gewisse Laufzeit für ihr Projekt festzulegen und eine Zielsumme. Wird diese Summe im gesetzten Zeitrahmen nicht erreicht, überweist Startnext das bereits gesammelte Geld automatisch an die Einzahler zurück. Eine Wiener Filmemacherin, die namentlich nicht genannt werden will, erzählt, dass sie in dieser Situation selbst den Restbetrag eingezahlt habe, um das bereits gesammelte Geld nicht zu verlieren. Das sei eine übliche Praxis, bei der sich manche Filmemacher sogar verschuldeten.
Kickstarter.com ist die weltweit größte Crowdfunding-Plattform für kreative Projekte. Laut Angaben von Kickstarter haben bisher 8,6 Millionen Menschen mehr als 84.000 Kickstarter-Projekte unterstützt. Um ein Projekt zu starten, brauchte man bisher eine Niederlassung in den USA oder in Großbritannien. Seit dem 12. Mai 2015 gibt es Kickstarter auch in der deutschen Version. Für österreichische Einreicher genügt es jetzt, sich eine deutsche Steuernummer zu besorgen.
Oft funktioniert Crowdfunding aber auch bestens. Voraussetzung ist wahrscheinlich ein gewisses Talent, sich selbst zu verkaufen. Gumpelmaier nennt den Grazer Filmemacher Jakob M. Erwa als Musterbeispiel. Sein in Berlin gedrehter Psychothriller „HomeSick“, der heuer auf der Berlinale Premiere feierte, ist über Crowdfunding teilfinanziert. „Es gibt aber auch Nischenfilme, die sich mit ernsten Themen beschäftigen wie die italienische Dokumentation ,On the Bride’s Side‘, in der es um Menschenhandel geht. Die hatte ein ziemlich großes Budget und hat sich gut gemacht beim Crowdfunden mit um die 100.000 Euro Anteil.“
Der Rest des Budgets kann sich aus privaten oder öffentlichen Fördermitteln zusammensetzen. Barbara Fränzen, Leiterin der Filmabteilung im Bundeskanzleramt, sieht auf ORF.at-Nachfrage keine Probleme in der Kombination öffentlicher Fördermittel und Crowdfunding. Meistens, so Fränzen, werde die variable Summe des Crowdfunding im Herstellungsbudget als Rückstellungsposten deklariert.

Crossing Europe
Regietrio aus dem Berliner Underground: Jörg Buttgereit, Andreas Marschall, Michal Kosakowski (v. l. n. r.)
„German Angst“: Eine treue Fanbase ist Gold wert
Beim Crossing-Europe-Filmfestival in Linz lief der Berliner Horror-Episodenfilm „German Angst“, der ebenfalls zu rund einem Drittel über Startnext finanziert ist. Die drei Regisseure, Jörg Buttgereit, Andreas Marschall und Michal Kosakowski genießen in Horrorfan-Kreisen Kultstatus. Kosakowski, der auch Produzent ist, beschreibt im Gespräch mit ORF.at das gemeinsame Vorgehen beim Crowdfunding: „Wir haben die Kampagne im Sommer 2013 auf Startnext.de gestartet. Ziel waren 30.000 Euro für die Entwicklung und Teile des Trailers. Mit dieser Summe wollten wir später weitere Investoren an Land ziehen.“
Für Kosakowski ging die Taktik auf. Erster Anschub sei die Werbung in Sozialen Medien gewesen, aber erst durch den persönlichen Kontakt sei es zu konkreten Einzahlungen gekommen: „Man muss viel telefonieren und in der Öffentlichkeit auftreten. Wir haben zum Beispiel in der Z-Bar in Berlin Mitte unsere drei Trailer präsentiert und eine lange Diskussionsrunde gemacht. Allein durch dieses Event haben sich 30 bis 40 Prozent der Gesamtsumme lukriert.“

Crossing Europe
„German Angst“: Gerade im Low-Budget-Genrefilm mit starker Fanbase kann Crowdfunding greifen
Vom Crowdfunder zur Filmfigur
Die größte Kunst sei es, so Kosakowski, richtig vorauszuplanen: „Man muss unbedingt Geld für Gadgets zurücklegen, also für das, was die Einzahler am Ende bekommen: Bei uns waren das T-Shirts, Blue-ray-DVDs, Pin-Buttons, Poster, Originaldrehbücher, Requisiten. Und - ganz wichtig - das Porto muss man auch einkalkulieren.“ Ein einzelner Fan, der 3.500 Euro einzahlte, flog zum Dank mit dem Team zur Filmpremiere nach Helsinki.
Wer glaubt, das - oder die Nennung in den Danksagungen des Abspanns - sei schon die höchste Würde, die einem Crowdfunder zuteil werden kann, irrt. In Andrew Bujalskis US-Indie-Komödie „Computer Chess“ (2013) gibt es eine Figur mit Namen „Reini Urban“. Tatsächlich ist dieser Name inspiriert von einem österreichischen Systemtechniker, der sich am Crowdfunding beteiligte. Und der so im Abspann dieses sympathischen Lowtech-Schwarz-Weiß-Films ein kleines Stück Unsterblichkeit errang.
Maya McKechneay, ORF.at
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