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Bewaffnete „aus Nachbarland“

Bei einer Polizeiaktion gegen bewaffnete Albaner in der mazedonischen Stadt Kumanovo an der Grenze zu Serbien und dem Kosovo sind am Samstag laut Innenministerin Gordana Jankulovska fünf Polizisten getötet und rund 30 weitere verletzt worden. Die Polizei lieferte sich den ganzen Tag lang heftige Gefechte mit angeblichen Terroristen. Auch Sonntagfrüh waren noch immer Schüsse zu hören.

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Die Kämpfe zwischen Polizisten und Mitgliedern der bewaffneten Gruppe gingen auch am Sonntag weiter. Berichten zufolge wurden weitere Polizisten verletzt. Hubschrauber kreisten über der Stadt. Die Innenministerin berichtete bei einer Pressekonferenz am Samstagabend in Skopje, dass es auch aufseiten der Angreifer Tote gegeben habe, ohne konkrete Zahlen zu nennen. Über verletzte Zivilisten hatte das Innenministerium zunächst keine Informationen. Nach Angaben Jankulovskas plane die Gruppe Angriffe auf staatliche Institutionen.

Hunderte Einwohner der drittgrößten Stadt in Mazedonien flüchteten inzwischen über die Grenze nach Südserbien, wo ebenfalls Albaner wohnen. Belgrad hat zusätzliche Sonderpolizeikräfte in Richtung Grenze in Marsch gesetzt und für Sonntag eine Sitzung des Sicherheitsrats einberufen. Die EU zeigte sich über die bewaffnete Auseinandersetzung besorgt und rief zum Ende des Blutvergießens auf. Die mazedonische Regierung erklärte Sonntag und Montag zu landesweiten Trauertagen.

Hubschrauber und Panzer im Einsatz

Am Samstagnachmittag hatte Jankulovskas Stellvertreter Ivo Kotevski mitgeteilt, dass Polizeikräfte am frühen Morgen gegen „gut bewaffnete Terroristen“ vorgerückt seien. Die Bewaffneten seien „aus einem Nachbarland“ nach Mazedonien eingedrungen, so Kotevski. Die albanische Nationale Befreiungsarmee (Ushtria Clirimtare Kombetare, UCK) wies die Behauptungen zurück. Es handle sich um eine ausschließlich in Mazedonien wirkende Einheit, hieß es in einer am Samstag von der kosovarischen Tageszeitung „Bota Sot“ veröffentlichten UCK-Aussendung.

Die bis zu 70 Mann starke Gruppe habe sich mit Unterstützung örtlicher Albaner in der Region versteckt und Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und eine Militärkaserne geplant, sagte Kotevski weiter. Etwa 30 Angreifer sollen sich laut Medienberichten mittlerweile der Polizei gestellt haben.

Polizei mit schwerem Gerät in Stadt vorgerückt

Die Polizei brachte bei ihrem Einsatz in Kumanovo schweres Gerät zum Einsatz. Durch die Straßen rollten Panzerfahrzeuge, über den Dächern kreisten Hubschrauber. Mehrere Gebäude sollen in Brand geraten sein.

UCK bekannte sich zu Aktion

In einer von der kosovarischen Zeitung „Bota Sot“ veröffentlichten Aussendung erklärte sich am Nachmittag die UCK für die Geschehnisse in Kumanovo verantwortlich. UCK-Kämpfer hätten in den Morgenstunden mazedonische Polizeikräfte angegriffen, die seit Tagen „Terror auf die Zivilbevölkerung“ ausübten, hieß es in der Aussendung.

Von offizieller Seite gab es hierzu keine Bestätigung, auch das mutmaßliche Herkunftsland der Gruppe wurde bisher noch nicht bekanntgegeben. Zuvor war davon die Rede gewesen, dass es sich bei den Bewaffneten um Albaner handle. Zweitgrößte Bevölkerungsgruppe in Kumanovo sind Albaner. Die Stadt war mit gepanzerten Fahrzeugen abgeriegelt worden, über dem Ort kreisten Hubschrauber. Augenzeugen berichteten von heftigen Schusswechseln. Die Polizei brachte Bewohner aus dem Kampfgebiet und verhängte am Samstagnachmittag eine Ausgangssperre über die Stadt.

Passanten werden in Sicherheit gebracht

APA/EPA/Georgi Licovski

Die Polizei evakuierte Teile der Stadt Kumanovo

Die Zeitung „Utrinski vesnik“ (Onlineausgabe) berichtete, dass die Kämpfe in einer illegal gebauten städtischen Siedlung begonnen hätten. Dabei sei auch ein Haus in Brand gesetzt worden, so die Zeitung unter Berufung auf inoffizielle Kreise. Zahlreiche Einwohner von Kumanovo flüchteten im Laufe des späten Nachmittages in Richtung Serbien. Der Fernsehsender N1 berichtete über eine lange Wagenkolonne und zwölf Busse am Grenzübergang unweit der südserbischen, von Albanern bewohnten Kleinstadt Presevo.

Präsident unterbrach Moskau-Besuch

Der mazedonische Präsident Gjorge Ivanov unterbrach seinen Moskau-Besuch und kehrte nach Mazedonien zurück. Oppositionschef Zoran Zaev forderte indes Anhänger auf, ihre seit Dienstag anhaltenden Antiregierungsproteste in Skopje und mehreren anderen Städten wegen der aktuellen Situation zu unterbrechen. Es gelte, dass alle zusammen die Sicherheit und Stabilität Mazedoniens sichern, sagte Zaev laut Medienberichten.

Der Berichterstatter des Europaparlamentes für Mazedonien, Ivo Vajgl, erklärte unterdessen, dass die jüngsten Geschehnisse in Kumanovo einen Wendepunkt für Mazedonien darstellten. Eine weitere Eskalation der Geschehnisse würde nicht nur die Stabilität des Landes, sondern auch der Region gefährden, warnte Vajgl laut mazedonischen Medienberichten. EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn erklärte in einer Aussendung am späten Abend, eine weitere Eskalation müsse vermieden werden. Alle Beteiligten müssten Zurückhaltung zeigen, so Hahn.

Serbien bringt Spezialeinheit in Stellung

Die Kämpfe sorgen auch bei Mazedoniens Nachbarn für Unruhe. Belgrad entsandte am Samstag Polizeikräfte in die serbische Grenzregion zu Mazedonien. Die Anordnung dazu sei von Innenminister Nebojsa Stefanovic gekommen, meldete die serbische staatliche Presseagentur Tanjug. Regierungschef Aleksandar Vucic rief für Sonntag den Sicherheitsrat zusammen. RTS berichtete überdies, dass zugleich in der Sicherheitszone an der Grenze zum Kosovo 450 Angehörige einer serbischen Sonderpolizeieinheit stationiert worden seien.

Der serbische Außenminister und amtierende Vorsitzende der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Ivica Dacic, telefonierte laut einer OSZE-Aussendung vom Samstag mit seinem mazedonischen Amtskollegen Außenminister Nikola Poposki. Die Minister zeigten sich einig, dass die Stabilität Mazedoniens zentral für die gesamte Region ist. Dacic verurteilte die Gewalt in Kumanovo. OSZE-Vertreter werden das Land in der kommenden Woche aufsuchen.

Bedeutende albanische Minderheit

Die nationalistische Kosovo-Partei Vetevendosje (Selbstbestimmung), die drittstärkste Partei im Lande, verlangte den „Stopp der polizeilichen und militärischen Unterdrückung der Albaner in Mazedonien“. Auch jenseits der mazedonischen Grenze in Südserbien wohnt eine bedeutende albanische Minderheit, die traditionell auf Konfrontation zu Belgrad eingestellt ist.

Zwischen der slawischen Bevölkerungsmehrheit und den Albanern, die schätzungsweise bis zu 30 Prozent der Einwohner Mazedoniens stellen, kam es in der Vergangenheit immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Zuletzt wurden im Jahr 2001 bürgerkriegsähnliche Kämpfe nur durch Vermittlung der EU beendet.

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