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Studie mit Schönheitsfehlern

Hip-Hop und Rap brachten 1991 die größte musikalische Revolution in der Geschichte des Pop. Das behaupten britische Forscher vom Imperial College London und der Queen Mary University in der Zeitschrift „Open Science“. In der Studie analysierten sie etwa 17.000 Lieder, die zwischen 1960 und 2010 in den US-Charts waren, mit Hilfe einer Software. Doch ihre Ergebnisse haben einige Schönheitsfehler.

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Und einen weiteren Umbruch machen die Forscher 1983 mit der weiten Verbreitung von Drum-Computern und Synthesizern aus. Hier habe es eine Wende gegeben, und Musik sei für einige Jahre eintöniger und selbstähnlicher geworden.

1986 als eintönigstes Jahr

Die Talsohle habe diese Entwicklung im Jahr 1986 erreicht, für die Forscher die musikalisch fadeste Phase in der Popgeschichte. Die dominanten Stile New Wave und Disco hätten mit ihrer ähnlichen Instrumentierung und ähnlichem Aufbau zu dieser Homogenisierung beigetragen. Als dritten Stil nennen die Autoren Hardrock, bei dem die einzelnen Songs ebenfalls sehr ähnlich strukturiert seien. Einen generellen Trend zur Vereinheitlichung der Popmusik sehen die Forscher nicht. Ab Mitte der 1980er Jahre habe sich die musikalische Vielfalt bis etwa 2010 wieder erholt, schreiben sie.

Das Vorurteil, dass Songs sich im Laufe der Geschichte einander immer ähnlicher wurden, sei Nonsens, meint Armand Leroi vom Londoner Imperial College. „Jeder glaubt, dass es einmal eine goldene Ära der Musik gegeben hat - und meistens war das, als man etwa 17 Jahre alt war.“

Wird Musik oder Musikgeschmack gemessen?

Allerdings hat die Studie gleich mehrere Schönheitsfehler. Nur Nummern aus den US-Charts zu analysieren heißt, dass eigentlich weniger die Entwicklung des Pop sondern vielmehr die des US-Musikmassengeschmacks unter die Lupe genommen wurde. Und auch hier hapert es: 1986 waren kaum Disco- oder New-Wave-Nummern an der Spitze der US-Charts. Bei Hardrock schafften es nur Bon Jovi und Van Halen. Tatsächlich herrschten in diesem Jahr vor allem klassischer Pop - von Madonna über die Bangles bis zu Janet Jackson - und soulige Balladen von Whitney Houston und Lionel Ritchie vor. „Sledgehammer“ schaffte es ebenso an die Chartspitze wie die US-Version von Falcos „Rock me Amadeus“

Kaum Rap-Hits im Jahr des Rap

1991 war genau ein echter Rap-Song an der Spitze der Charts: „Efil4zaggin“ von N.W.A für genau eine Woche. Tatsächlich sehen auch andere Musikexperten 1991 als ein Wendejahr der populären Musik an, aber aus einem völlig anderen Grund. Mit dem Erscheinen von „Nevermind“ von Nirvana wurde die Verweigerungshaltung plötzlich salonfähig und konsumierbar, der Widerspruch von Mainstream und Underground verschwand.

Auch Mike Brocken, Musikprofessor an der Liverpool Hope University, meldete im „Guardian“ seine Zweifel an. Mit so einer reinen Datenauswertung könne Popmusik nicht gemessen werden. Die Frage, wie sie rezipiert wird, die ökonomischen und politischen Hintergründe und die Subkulturen müssten ebenfalls herangezogen werden. „Eine derart formalistische Musikanalyse hilft uns nicht weiter.“ Die Beatles hätten ihrem Publikum etwas mitgeteilt, ob sie das mit A-Dur oder A-Moll gemacht hätten, sei eigentlich egal.

Forscher wollen weiter graben

„Bestimmt werden einige Leute nicht einverstanden sein mit unserer wissenschaftlichen Herangehensweise und sie für zu beschränkt halten für ein so emotionales Thema“, wird Erstautor Matthias Mauch in einer Mitteilung der Queen Mary University zitiert. Dennoch spricht er von einem „Durchbruch“ bei der Bewertung von Musik: Zum ersten Mal könne man Musik in großem Rahmen vermessen, meint er. Er ist übrigens Informatiker.

Er und seine Kollegen wollen nun die US-Charts bis mindestens in die 1940er Jahre zurückverfolgen - „allein schon, um zu klären, ob 1955 tatsächlich - wie viele behaupten - das Geburtsjahr des Rock ’n’ Roll war“.

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