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„Religion nur als Mittel zum Zweck“

Der Sturz des früheren irakischen Diktators Saddam Hussein ist mehr als zwölf Jahre her, aber seine Diktatur wirft offenbar lange Schatten. Anhand zweier Beispiele zeigt sich erneut: Kader aus Husseins Regime spielten und spielen eine zentrale Rolle im Aufstand gegen die Regierung bzw. dürften die wesentlichen Weichen für den Expansionskrieg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gestellt haben.

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Das prominenteste Beispiel ist Issat Ibrahim al-Duri, Husseins früherer Stellvertreter und der letzte lebendige Repräsentant des alten Regimes, der vor knapp einem Monat getötet wurde. Duri war 2003 untergetaucht und hatte die Führung von Husseins Baath-Partei im irakischen Untergrund übernommen. Außerdem kommandierte er eine Aufständischenmiliz.

Izzat Ibrahim ad-Duri und Saddam Hussein

Reuters

Duri (links) mit dem 2006 hingerichteten Diktator Hussein

Von offizieller Stelle hieß es, Duri sei bei Kämpfen östlich der irakischen Hauptstadt Bagdad erschossen worden. Seine Gefolgsleute dementierten die Todesmeldung erst, die TV-Sender al-Arabija und Iraqi News zeigten jedoch Bilder einer blutüberströmten Leiche, bei der es sich um jene Duris handeln sollte.

Zuletzt wurde der Leichnam, nachdem er erst in der Hauptstadt Bagdad in einem gläsernen Sarg durch die Straßen getragen worden war, dem Gesundheitsministerium zur Untersuchung übergeben. Die britische „Daily Mail“ veröffentlichte Bilder davon. In einem Artikel zu seinem Tod bezeichnete die britische BBC Duri als eine der „Schlüsselkräfte“ hinter dem Aufstieg des IS.

Der „Kopf“ des IS-Kriegs in Syrien

Ein weiteres Beispiel: Hadschi Bakr, dem der „Spiegel“ zuletzt als einem weiteren „Mastermind“ des Terrors ein ausführliches Porträt widmete. Ihn nannte das deutsche Nachrichtenmagazin sogar einen „Kopf“ des IS. Bakr alias Abu Bakr al-Iraki, mit richtigem Namen Samir Abed al-Mohammed al-Chleifaui, war schon im Vorjahr von schiitischen Milizionären in Syrien erschossen worden. Zuvor sei es er gewesen, der den „Masterplan zur Machtübernahme in Syrien“ entworfen habe. Bakr sei „der wichtigste IS-Stratege“ gewesen, „die Religion nutzte er nur als Mittel zum Zweck“, schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin.

Eigentlich inkompatible Ideologien

Das dürfte er mit Duri gemeinsam haben. Der war früher Kommandant des Revolutionären Kommandorats und bis zuletzt Kopf der Baath-Partei, einer Partei mit nationalistischer, panarabischer, sozialistischer und säkularer Ideologie - nicht unbedingt kompatibel mit der radikalen Interpretation der islamischen Lehren durch den IS.

Sarg mit Izzat Ibrahim al-Douri

AP/Hadi Mizban

Die Leiche Duris wurde in einem gläsernen Sarg durch Bagdad getragen

Nach den Angriffen des IS auf die Städte Mossul und Tikrit im Vorjahr soll Duri die Menschen aufgerufen haben, sich der Dschihadistenmiliz anzuschließen. „Es gibt nur wenige Zweifel daran, dass Beamte und Militärs aus der Saddam-Ära eine Schlüsselrolle darin gespielt haben, aus dem IS die militärische Kraft zu machen, die sie ist“, analysierte die BBC kürzlich. Die Rolle, die er nach der Hussein-Ära hatte, sei nicht zu unterschätzen gewesen. Gemeinsam mit einem harten Kern Baath-Treuer habe Duri maßbeglich den Aufstand gegen die irakische Regierung angestachelt.

„Als frommer Muslim akzeptabel“

Dazu war Duri, der selbst eine säkulare Aufständischenmiliz kommandierte, offenbar auch eine Allianz mit dem radikalislamischen IS recht. In deren Rahmen dürften Geld, Waffen und Material verschoben worden sein. Schon im Vorjahr hatte es in Medienberichten, unter anderem in der „Süddeutschen Zeitung“ unter dem Titel „Der Geist von Saddam“ geheißen, irakische Kurdenpolitiker verdächtigten Duri, als „Mastermind“ hinter den IS-Offensiven zu stecken.

Obwohl Baathist, gelte er auch als frommer Sunnit und habe beste Kontakte zu den Stämmen mit Tausenden Kämpfern. Duri sei „als frommer Muslim“ für die ultrareligiösen Dschihadisten „akzeptabel, zumindest in einem taktisch gedachten Zweckbündnis“, schrieb die Zeitung im Juni 2014. Der Terror gehe nicht nur vom IS aus, es handle sich in Wahrheit um einen „Sunnitenaufstand“.

Steigbügelhalter des „Kalifen“

Nichts mit Religion am Hut hatte laut „Spiegel“ auch der frühere Offizier aus Husseins Kader, Bakr. Er sei Oberst im irakischen Militärgeheimdienst gewesen, mehr als 20 Jahre „hatte er (…) gelernt, wie man mit einem System aus flächendeckender Überwachung und fein dosiertem Schrecken eine Bevölkerung im Griff hält“. Nach Bakrs Tod fanden sich in seinem unscheinbaren Haus zahlreiche Pläne und Skizzen für den Kampf in Syrien.

Er sei „absolut kein Islamist“ gewesen, gleichzeitig aber habe er den „Kalifen“ des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, an dessen Spitze „intrigiert“. Bakr wie Duri dürften beide die „enorme Zugkraft des Dschihad, die zu Tausenden aus aller Welt strömenden Radikalen“ für ihre Ziele benutzt haben. Der sicherheitspolitische ThinkTank Global Security berichtete anlässlich des Todes Duris von einer Art Zweckbündnis zwischen unterschiedlichen Milizen und dem IS, in dem Geld und Waffen hin und her geschoben würden.

Husseins „Kreuzkönig“ mehrfach für tot erklärt

Mehrfach hatten sich in den letzten Jahren Meldungen, Duri sei gefangen genommen oder sogar getötet worden, als falsch herausgestellt, schon 2004 und 2005. In Wirklichkeit wurde er noch 2007 im Untergrund zum Baath-Chef gewählt. Im Vorjahr erklärte der deutsche Publizist und frühere CDU-Politiker Jürgen Todenhöfer nach einer Art Lokalaugenschien in der Stadt Mossul in einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, der IS spiele im irakischen Aufstand nur die Nebenrolle. Der würde hauptsächlich von Duris FNPI getragen, die Gruppe sei von den USA „jahrelang systematisch totgeschwiegen worden, obwohl er ihr Hauptfeind war. Er hat sie letztlich aus dem Irak vertrieben“, so Todenhöfer damals. Schon 2013 hatte der britische „Daily Telegraph“ vom „Comeback“ Duris berichtet, als der plötzlich als „spirituelle Galionsfigur“ eines Aufstands mit dem Ziel, Husseins Baath-Partei wieder an die Macht zu bringen, in Erscheinung getreten war.

Im bekannten US-Kartenspiel mit den gesuchten Köpfen des irakischen Baath-Regimes war Duri der Kreuzkönig. Die Stadt Tikrit, nahe der Duri ums Leben gekommen sein soll, war erst kürzlich aus den Händen des IS befreit worden. Im Irak und in Syrien kontrollieren die Extremisten weite Landstriche, sind aber zuletzt durch Gegenoffensiven mit ausländischer Unterstützung unter Druck geraten.

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