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Doppelter Städteblick

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts führte sowohl Wien als auch Budapest zu einer städtebaulichen Blüte. In Wien begann mit dem Bau der Ringstraße der Weg in Richtung einer modernen Metropole. Rund 200 Kilometer donauabwärts eiferte Budapest der großen Schwester nach.

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„Der Traum von Budapest war es, nicht nur eine zweite, sondern die parallele Hauptstadt zu werden.“ Dieser Satz findet sich in der Broschüre zur aktuellen Fotoausstellung im Architekturzentrum im Wiener Ringturm, die seit Dienstag für Besucher geöffnet ist. Auf 300 Fotos verfolgt die Schau die parallelen Entwicklungen von Wien und Budapest in der Gründerzeit.

In Wien wird der Beginn dieser Epoche gemeinhin mit dem Bau der Ringstraße in Verbindung gebracht. Deren Eröffnung jährt sich am 1. Mai zum 150. Mal. Jubiläumsausstellung soll die Fotoschau aber keine sein, sagte Kurator Adolph Stiller am Montag. Ganz zufällig dürften Stiller und Kokurator Mate Tamaska den Zeitpunkt aber doch nicht gewählt haben. Schließlich passt die Ausstellung laut Stiller „genau zum Thema“.

Aufbruch Richtung Metropole

„Der Bau der Wiener Ringstraße markierte damals den Aufbruch von der befestigten Stadt zur Metropole“, so Stiller - eine Entwicklung, die Budapest in ganz ähnlicher Weise vollzog. Gleiches gelte für die Regulierung der Donau, die in Budapest und Wien mit wenigen Jahren Abstand erfolgt sei. „Zwillingsschwestern der Gründerzeit“ werden Wien und Budapest in der Ausstellung genannt - ein Eindruck, den die Präsentation der Fotos zu verstärken weiß.

Ausstellungshinweis

Die Fotoausstellung „Donaumetropolen Wien - Budapest - Stadträume der Gründerzeit“ im Wiener Ringturm läuft von 21. April bis 5. Juni. Sie kann Montag bis Freitag von 9.00 bis 18.00 Uhr bei freiem Eintritt besucht werden.

Die Begleittexte sind sowohl auf Deutsch als auch auf Ungarisch verfasst - die Schau soll im Herbst auch in Budapest gezeigt werden.

Sie orientiert sich an klassischen Fotoalben, Passepartouts gleich umgibt der schwarze Hintergrund die Reproduktionen. Paarweise stellten die Kuratoren die Fotos in zehn Themenfeldern einander gegenüber - auf der einen Seite Wien auf der anderen Budapest. In den meisten Fällen wählten sie nicht nur ähnliche Motive aus, sondern bemühten sich um eine identische Perspektive und Bildkomposition. Wer nur schnell hinschaut, hat oft das Gefühl, auf Bilder derselben Stadt zu blicken. Tatsächlich zeigen sich bei näherer Betrachtung die teils feinen - manches Mal auch gar nicht so kleinen - Unterschiede zwischen den beiden Städten.

An oder neben der Donau

„Donaumetropolen“ überschrieben Stiller und Tamaska die Ausstellung. Und tatsächlich kommt die Verschiedenheit der beiden Städte gerade in diesem Aspekt besonders stark zum Vorschein. „Wien liegt neben der Donau, Budapest an ihr entlang“, schreibt Tamaska in der Ausstellungsbroschüre. Das mag nach einer lapidaren Beobachtung klingen, hatte aber auf die Entwicklung der beiden Städte maßgeblichen Einfluss.

Budapester Ansicht vom Gellertberg aus, 1910er Jahre

BTM Kiscelli Muzeum

In Budapest fließt die Donau durch die Stadt - und nicht nur daran vorbei

Bereits der Bezeichnung „Donaumetropole“ komme eine unterschiedliche Bedeutung zu, sagte Tamaska beim Pressegespräch am Montag. Bei Wien verbinde sich damit die Bedeutung als jahrhundertelange mitteleuropäische Hauptstadt - in Budapest stehe die städtebauliche Aufgabe im Vordergrund. Anders als Wien wurde die ungarische Hauptstadt in der Gründerzeit tatsächlich rund um den Fluss geplant und erweitert. In Wien markierte die Donau bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts teilweise noch die Stadtgrenze. Kurz vor der Jahrhundertwende war Floridsdorf sogar als Hauptstadt für Niederösterreich im Gespräch. Erst 1904 sei die Eingliederung nach Wien erfolgt, informiert eine der Bildunterschriften.

Kein Wiener Ring in Budapest

„Hauptstraße Wiens ist der Ring, in Budapest ist es die Donau“, steht unter einem anderen Bildpärchen. Es zeigt auf der einen Seite das Wiener Rathaus, auf der anderen das ungarische Parlament. In Wien sind, neben dem Rathaus, auch Parlament oder Hofburg auf die Ringstraße ausgerichtet. In Budapest schaut mit dem Parlament das wohl monumentalste Gebäude der Stadt auf keine Prachtstraße sondern den Fluss.

Vielleicht liegt es auch an der besonderen Stellung der Donau, dass Budapest eine Straße wie der Ring fehlt. Zwar wurden auch in der ungarischen Hauptstadt die Stadtmauern geschleift und durch eine Ringstraße - die Kiskörut (kleiner Ring) - ersetzt. Und ein Stück weiter stadtauswärts anstelle eines versandeten Kanals ein weiterer Boulevard - die Nagykörut (großer Ring) - angelegt. Doch keiner der beiden Ringstraßen kam die Bedeutung einer Prachtstraße im Stile des Wiener Rings zu.

Eine Schneise durch die Stadt

Diese Funktion erfüllte in Budapest noch eher die Sugarut (Radialstraße). Heute trägt sie den Namen Andrassy ut, ihr Verlauf ist aber noch der gleiche: vom Zentrum stadtauswärts. Bereits 1841 thematisierte der ungarische Nationalheld und Unabhängigkeitskämpfer Lajos Kossuth in einem Aufsatz, was Pest brauche, um zu einer würdigen Hauptstadt zu werden. Einer seiner Vorschläge: eine Radialstraße „von der Kettenbrücke bis zum Stadtwäldchen“. Genau so wurde die Sugarut schließlich ab 1871 gebaut. 25 Jahre später wurde direkt unter ihr die erste Linie der Budapester Metro eröffnet - die weltweit drittälteste U-Bahn.

Wenn Budapest manchmal als Paris des Ostens bezeichnet wird, dann ist das auch in der über zwei Kilometer langen Radialstraße begründet. Die Prachtstraße erinnert an die berühmte „historische Achse“ der französischen Hauptstadt. Die Sugarut läutete auch das Ende des mittelalterlichen Stadtkerns von Pest ein. In Wien umgab der Ring mit seinen Prachtbauten den ab dem Mittelalter gewachsenen Stadtkern - und sicherte damit auch seinen Erhalt. Die Radialstraße schlug sich dagegen einer Schneise gleich durch die Altstadt. Rund um die Jahrhundertwende verschwand das mittelalterliche Zentrum von Pest fast zur Gänze.

Trennende Geschichte

„Die Stadträume sind nicht einfach die Bühne des Gesellschaftslebens, sie sind ein Teil davon“, so Tamaska. Unter dem Eindruck der weiteren Geschichte der beiden Städte gewinnt diese Einschätzung noch einmal an Bedeutung. Sowohl Wien als auch Budapest waren im 19. Jahrhundert als Hauptstädte eines Großreichs konzipiert worden. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs verloren beide diese Rolle, wurden zu Hauptstädten kleiner Nationalstaaten.

Noch einmal 27 Jahre später trennte die Nachkriegsordnung für Jahrzehnte die letzten Bande zwischen den beiden Metropolen. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mag manch neues Band geknüpft worden sein - von Geschwisterstädten lässt sich aber kaum mehr sprechen. Umso spannender gestaltet sich der Blick zurück - in eine Zeit, als Österreich und Ungarn noch vereint und Budapest und Wien tatsächlich Zwillinge waren.

Martin Steinmüller, ORF.at

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