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Warnung vor „Polizeistaat“

Gut zwei Monate vor der Parlamentswahl hat das türkische Parlament eine Verschärfung des Demonstrationsrechts und eine stärkere Kontrolle des Internets beschlossen. Mit der Mehrheit der islamisch-konservativen AKP verabschiedeten die Abgeordneten in Ankara zuletzt ein Gesetzespaket, das unter anderem der Polizei deutlich mehr Vollmachten einräumt.

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Die Beamten waren wegen ihres oft brutalen Vorgehens gegen Regierungsgegner häufig in der Kritik gestanden. Nach der Reform sollen Polizisten künftig in bestimmten Situationen auf gewalttätige Demonstranten schießen dürfen, ohne selber angegriffen worden zu sein. Durchsuchungen und Festnahmen sollen erleichtert werden.

Präsident Recep Tayyip Erdogan unterzeichnete das Maßnahmenpaket Ende vergangener Woche. Die Opposition warnte vor der Abstimmung vor einem „Polizeistaat“. In der Türkei wird am 7. Juni ein neues Parlament gewählt.

Sperrung von Websites ermöglicht

Die Telekommunikationsbehörde TIB soll zudem künftig auf Anordnung des Ministerpräsidenten oder zuständiger Ministerien Websites ohne Gerichtsbeschluss sperren lassen dürfen, wenn diese die „nationale Sicherheit“ oder die „öffentliche Ordnung“ gefährdet sehen.

Internetanbieter müssen die Anweisung zur Sperrung von Websites innerhalb von vier Stunden umsetzen. Innerhalb von 24 Stunden muss die Entscheidung einem Gericht zur Prüfung vorgelegt werden. Im September 2013 hatte das Parlament einer ähnlichen Gesetzesänderung zugestimmt. Das Verfassungsgericht hob die Verschärfung des Gesetzes jedoch wieder auf.

Kurdische Unruhen als Rechtfertigung

Die Ausweitung der Polizeibefugnisse rechtfertigte die AKP mit Unruhen im Oktober im kurdisch geprägten Südosten der Türkei, bei denen mindestens 40 Menschen starben. Aus Sicht der prokurdischen Oppositionspartei HDP gefährden die Reformen den Friedensprozess mit der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK).

Die Änderungen sehen unter anderem ein Vermummungsverbot bei Kundgebungen vor. Verstöße sollen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, wenn bei der Demonstration für Terrororganisationen geworben wird. Die Aufsicht der formell unabhängigen Richter und Staatsanwälte über die Polizei soll geschwächt werden. Das Tragen von Molotowcocktails, Steinschleudern und Feuerwerkskörpern bei Demonstrationen soll mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden.

Hitzige Debatten im Parlament

Während der Parlamentsdebatten war es zu Schlägereien zwischen AKP-Abgeordneten und der Opposition gekommen. Die Polizei gerät seit den regierungskritischen Protesten im Sommer 2013 wegen ihres brutalen Vorgehens immer wieder in die Kritik. Die Proteste wurden ausgelöst von Regierungsplänen, den Gezi-Park in Istanbul zu bebauen.

Menschenrechtsgruppen waren vor der Parlamentsabstimmung Sturm gegen die Sicherheitsreformen gelaufen. Die Organisation Human Rights Watch (HRW) kritisierte besonders, dass Polizisten bereits auf bewaffnete Demonstranten schießen dürfen, wenn diese versuchen, Gebäude oder Fahrzeuge anzugreifen. Die Regierung beharrte darauf, dass das neue Gesetz mit EU-Vorgaben vereinbar sei. Experten äußerten daran Zweifel. Die größte Oppositionspartei CHP hatte vor Verabschiedung des Gesetzes eine Klage vor dem Verfassungsgericht angekündigt.

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