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Stadtentwicklung von unten

Hamburg verschreibt sich bei der Stadtentwicklung Großprojekten wie dem Ausbau der Hafencity und dem Hoffnungsprojekt Olympia. Doch muss man auf Bezirksebene erkennen, dass große Veränderungen eine Reihe an kleinen partizipativen Maßnahmen verlangen, bei denen die Bürger eingebunden werden.

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Die Gentrifizierung des Kiezes St. Pauli ist ein Beispiel dafür, dass auch private Wohnprojekte die Beteiligung der Bürger aus dem Bezirk brauchen. Der Abriss der Esso-Häuser - ein 1960er-Plattenbau am Hamburger Spielbudenplatz - hat nicht nur eine gähnende Baulücke ins Zentrum der Reeperbahn geschlagen. Seit der bayrische Eigentümer dieser Wohnanlage alle Bewohner ausgesiedelt hat, um das Areal größer, schöner und damit wohl auch teurer zu bebauen, ist der soziale Frieden in dem Viertel gefährdet.

Straßenszene aus dem Carolinenviertel, Hamburg

Gerald Heidegger/ORF.at

St. Pauli und die Angst vor der Gentrifizierung

Der Bezirk fürchtet große Bürgerproteste auf der Straße. Auch wenn Hamburg seine letzte Bürgerschaftswahl in friedlichen Rahmenbedingungen über die Bühne gebracht hat, weiß man in der Stadt um das fragile soziale Gleichgewicht in bestimmten Vierteln.

Die Bürger sollen bei neuen Großprojekten besser eingebunden werden und ihre Wünsche und auch Befürchtungen formulieren können. Vor allem in Vierteln, in denen es viele sozial schwache Bewohner gibt - und die Gentrifizierung eben nicht nur die schicken, coolen Geschäfte mit sich bringt, sondern viel soziale Schieflage und steigende Mieten.

Bewohner sozial überrollt

Bereits letzten Oktober sammelten sich rund um das Reeperbahn Festival zahlreiche Bürgerinitiativen, die vor einer „Disneylandisierung“ des Kiezes warnten. Helene Fischer würde ebenso über die Reeperbahn ziehen und noch mehr Menschenmassen ins Viertel spülen wie auch die Alternative-Mainstream-Veranstaltungen. Viele fühlen sich sozial überrollt, und die zahlreichen Neubauprojekte, die gerade um die Hafenstraße aus dem Boden schießen, lassen bei manchem Bewohner das Gefühl entstehen, dass es mit der beschaulich gewordenen Gegenkultur bald ein Ende haben wird.

Bürgerversammlungim St. Pauli-Stadion

Gerald Heidegger/ORF.at

Bürgerversammlung September 2014 im Ballsaal des St.-Pauli-Stadions am Millerntor: Man fürchtet, dass St. Pauli bald zum „Disneyland“ wird.

Bürgerbeteiligung in der „PlanBude“

Mit dem Projekt „PlanBude“ will der Bezirk Hamburg-Mitte nun die Bürgerbeteiligung rund um die Neubebauung der Esso-Gründe vorantreiben. Der Bezirk und auch der Eigentümer der Liegenschaft nehmen mehr als 100.000 Euro in die Hand, um die Bürger vor der Ausschreibung des Planungsverfahrens zu Wort kommen zu lassen. Die Interessen von Bezirk und Bauherren sind so klar wie gegensätzlich: Der Bezirk möchte soziale Ruhe haben - der Bauherr braucht wiederum über die Bauordnung die Bürgerpartizipation, um die Bruttogeschoßfläche gegenüber dem Vorgängerprojekt ausweiten zu können.

Die bereits geräumten und von Einsturz bedrohten Esso-Häuser auf der Reeperbahn in Hamburg-St. Pauli.

picturedesk.com/Caro

Der Esso-Block und im Hintergrund die „tanzenden Türme“: So sah es vor dem Abriss 2014 im Herzen St. Paulis aus - für viele nicht schön, aber immerhin authentisch.

Im nächsten Schritt des Beteiligungsverfahrens wird auf dem Baugrundstück ein ganzes Containerdorf aufgestellt, bei dem die Bürger ihre Vorstellungen einbringen können. Erst danach soll der städtebauliche Wettbewerb ausgeschrieben werden. Auf dem Areal will der Bauherr immerhin 24.500 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche errichten.

Spielbudenplatz zur Zeit des Reeperbahnfestivals auf St. Pauli

Gerald Heidegger/ORF.at

Vom ehemaligen Esso-Block sind hip gestaltete Planken geblieben. Die wahre Dimension des Nachfolgeprojekts wird damit laut Kritikern verschleiert.

Im Moment verteidigt der sozialdemokratische Bezirksamtsleiter Andy Grote das Bürgerbeteiligungsmodell. Es wird sich aber noch zeigen, wie viele Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger tatsächlich im Planungsverfahren umgesetzt werden. Die Frage wird auch sein: Wird es im künftigen Nachfolgeobjekt zum Esso-Block finanzierbaren Wohnraum geben? Das wird vor allem all jene interessieren, die im letzten Jahr ihre Bleibe verloren haben und umgesiedelt wurden.

Gerald Heidegger, ORF.at

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