Ermittler haben Lubitz’ Krankenakt
Sollte die ärztliche Schweigepflicht für Angehörige sensibler Berufsgruppen gelockert werden? Die Diskussion über diese Frage gewinnt vor dem Hintergrund der Germanwings-Katastrophe an Fahrt. Die Piloten wehren sich dagegen.
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Der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer forderte eine Lockerung der Schweigepflicht für sensible Berufe: „Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein“, sagte Fischer der „Rheinischen Post“. Der Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek (CDU) schlug eine Expertenkommission vor, die die Frage klären solle, wie mit ärztlichen Diagnosen bei Menschen in besonders verantwortungsvollen Berufen wie Piloten umzugehen sei.
Der 27 Jahre alte Kopilot des Unglücksfluges 4U9525, Andreas Lubitz, soll seinem Arbeitgeber nach Erkenntnissen der Ermittler eine Erkrankung verheimlicht haben. Für den Tag des Absturzes in Südfrankreich war er krankgeschrieben.
„Arbeitgeber dürfen wir gar nichts melden“
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach betonte in der „Bild“-Zeitung, wenn Leib und Leben anderer Menschen gefährdet seien, sei „der Arzt verpflichtet, den Arbeitgeber über die Arbeitsunfähigkeit des Mitarbeiters zu informieren“. Weiter sagte er: „Dies gilt ganz besonders im Fall psychischer Erkrankungen und einer möglichen Selbstmordgefahr.“
Dem widersprach Hans-Werner Teichmüller, der Präsident des deutschen Fliegerarztverbandes: „Dem Arbeitgeber dürfen wir gar nichts mitteilen. Da haben wir gar keine Berechtigung zu“, sagte Teichmüller am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. In diesem Fall hätte der Arzt lediglich das Luftfahrtbundesamt informieren dürfen. Die deutsche Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, aber auch Personalvertreter in Österreich hatten bereits kurz nach dem Unfall vor „Schnellschüssen“, etwa bei Änderungen der Abläufe im Cockpit, gewarnt - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Piloten: Hilfe nur bei Schweigepflicht möglich
Außerdem wehrt sich die Pilotenvereinigung Cockpit klar gegen einen Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Der Präsident der Pilotengewerkschaft, Ilja Schulz, sagte der „Rheinischen Post“ (Dienstag-Ausgabe), derlei Anregungen könne es nur von Menschen geben, die mit der Branche nicht vertraut seien.
Nur bei einer Schweigepflicht könne der Arzt „echte Hilfe anbieten“. „Wenn mein Arzt von der Schweigepflicht entbunden ist, werde ich ihm gegenüber kein Problem ansprechen, weil immer die Angst vorm Fluglizenzentzug mitschwingt“, warnte Schulz. Er reagierte auf jüngst erhobene Forderungen, die ärztliche Schweigepflicht für Menschen in bestimmten Berufen zu lockern.
„Nur eine Momentaufnahme“
Vor dem Hintergrund der Tragödie hatte es auch Forderungen nach regelmäßigen psychologischen Untersuchungen für Piloten gegeben. Auch das lehnte Schulz ab. „Davon halten unsere Psychologen überhaupt nichts, weil das auch nur eine Momentaufnahme ist“, sagte er der „Rheinischen Post“. Nach „einschneidenden Erlebnissen“ könne sich der Zustand eines Menschen in kürzester Zeit ändern. Viel wichtiger sei die schon heute etablierte kontinuierliche Betreuung, etwa das Simulatortraining. Wer psychisch instabil sei, falle dabei auf.
Mehrere Sicherheitsfragen offen
Die Entdeckung der zerrissenen Krankschreibung in Lubitz’ Wohnung und die Tatsache, dass er früher wegen Suizidgefährdung in Behandlung war, wirft dennoch Sicherheitsfragen für die Luftfahrtbranche auf. Reicht es, sich auf das Verantwortungsbewusstsein des Piloten zu verlassen, wenn bei bestimmten Krankheiten Lizenzentzug und der Verlust des gut dotierten Jobs droht? Arbeitspsychologen weisen darauf hin: Für viele Piloten steht mehr als ein Job auf dem Spiel, sondern ihre über alles geliebte Fliegerei - so wie bei Lubitz. Weltweit gibt es mehrere Abstürze, bei denen der „erweiterte Suizid“ als Ursache vermutet wird.
Patient muss Beruf nicht nennen
Ärzten und Krankenkassen sind jedenfalls die Hände gebunden. Sie dürfen den Arbeitgeber nicht auf eigene Faust informieren, auch wenn ihr Patient in einem Hochrisikoberuf arbeitet und die Diagnose noch so alarmierend ist. „Der Patient muss dem Arzt ja nicht einmal seinen Beruf nennen, und auch der Kassenärztlichen Vereinigung werden nur anonymisierte Daten übermittelt“, sagte ein Sprecher der Ärztekammer Nordrhein.
„Das würde vollkommen gegen den Datenschutz verstoßen“, bestätigte ein Sprecher der Krankenkasse Barmer GEK in Wuppertal. „Das ist der Kern des besonders geschützten Vertrauensverhältnisses von Arzt und Patient. Der Arbeitnehmer trägt die Verantwortung. Wenn er es nicht erzählt, erfährt es der Arbeitgeber nicht.“ Eine Ausnahme bildet die fliegerärztliche Untersuchung. Ihr müssen sich die Berufspiloten einmal im Jahr unterziehen, und bei Nicht-Bestehen schützt dort keine ärztliche Schweigepflicht. Aber für psychologische Untersuchungen - so betonte der Präsident des Fliegerarztverbandes, Teichmüller - seien die Fliegerärzte nicht ausgebildet.
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