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Gastronomie bleibt außen vor

Seit 1. April ist die Welt für Fleischkäufer in der EU etwas transparenter. Was beim Rindfleisch bereits seit Jahren gilt, ist nun auch für Schweine-, Geflügel-, Schaf- und Ziegenfleisch schlagend: Der Konsument muss sehen können, wo es herkommt - zumindest in manchen Fällen.

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Johann Schlederer haut gerne einmal auf den Tisch. Regelmäßig poltert der Chef der Österreichischen Schweinebörse gegen die vermeintlichen Totengräber der Schweinemast im Land. Als etwa Kardinal Christoph Schönborn vor drei Jahren zum Fleischverzicht in der Fastenzeit geraten hatte, kam die Retourkutsche postwendend: Schlederer forderte die Bauern im Gegenzug zum Kirchensteuerboykott auf. Im Moment ist er aber über eine neue EU-Regelung nicht besonders glücklich.

Seit 1. April muss in der gesamten EU auf verpacktem Frischfleisch ein Etikett über Aufzuchts- und Schlachtland des Tieres informieren. Anders als bei Rind- und Kalbfleisch bleibt der Geburtsort aber weiterhin im Dunkeln. Hier hätten sich in Brüssel die Ferkelzüchter aus den Niederlanden, Dänemark und Deutschland durchgesetzt, so Schlederer, der sich um die heimischen Züchter sorgt. Tierschützer wie der Gründer und Präsident von Vier Pfoten, Helmut Dungler, kritisieren darüber hinaus, dass so nicht ersichtlich sei, wie weit ein Tier zwischen Geburts- und Aufzuchtsort transportiert wurde.

2.200 Euro für Essen außer Haus

Mehr noch als diese fehlende Information stört Schlederer wie auch Tierschützer, dass die neue Regelung die Gastronomie außen vor lässt. Wie bisher ist es jedem Gastwirt selbst überlassen, ob er seine Gäste über die Fleischherkunft informiert oder nicht - egal, ob Dönerstandler oder Gourmettempelbesitzer. Damit bleibt bei einem großen Teil des in Österreich konsumierten Fleisches die Herkunft weiterhin im Dunkeln. „Das von der Kennzeichnung betroffene Fleisch ist ja nur ein Teil des tatsächlich konsumierten Fleisches. Immer mehr Menschen essen außer Haus, der Trend zu Fertigprodukten hält an“, so Dungler.

Zwar fehlen Zahlen, die aufschlüsseln, wie viel der jährlich über 520.000 Tonnen Fleisch die Österreicher zu Hause oder auswärts essen. Die Dimensionen lassen sich aber zumindest erahnen. Ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt gibt laut dem Strategieberater RegioPlan jährlich über 2.200 Euro für das Essen außer Haus aus. Für den Einkauf frischer Lebensmittel nehmen die heimischen Haushalte dagegen im Schnitt gerade einmal knapp 1.700 Euro in die Hand, so die Agrarmarkt Austria (AMA).

Warnung vor „Rohrkrepierer“

Schlederer will deshalb eine verpflichtende Herkunftsangabe „von der Würstelbude bis zur Großkantine“. Ansonsten werde die Kennzeichnungspflicht ein „Rohrkrepierer“. „Wenn man bei den Großversorgern überprüft, wie viel etwa vom Rind ausländischer Herkunft ist, kommt man auf rund 50 Prozent beim Fleisch für den Gastrobereich“, so der Schweinebörsenchef.

Für Schweinefleisch, das rund zwei Drittel des österreichischen Fleischverbrauchs ausmacht, hat der Bauernvertreter zwar keine konkreten Zahlen, er vermutet aber eine ähnliche Verteilung. Womöglich liegt der Anteil hier sogar noch ein Stück höher, als von Schlederer angenommen. Laut Statistik Austria wurden 2013 fast 40 Prozent des gesamten in Österreich verbrauchten Schweinefleischs aus dem Ausland importiert - bei Rindfleisch waren es nicht einmal 30 Prozent.

WKÖ verweist auf Fertigprodukte

Für die Wirtschaftskammer (WKÖ) sind Schlederers Annahmen allerdings „objektiv nicht nachvollziehbar“ und „viel zu hoch“. Genaue Zahlen hat zwar auch die Interessenvertretung der Gastronomie nicht, sie weist aber in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber ORF.at darauf hin, dass viele Betriebe die Herkunft der Lebensmittel freiwillig kontrollieren ließen. Laut WKÖ haben etwa derzeit über 1.300 Betriebe das AMA-Gastrosiegel – „auf freiwilliger Basis und auf eigene Kosten“.

Eine verpflichtende Herkunftspflicht hält die WKÖ hingegen nur unter zwei Bedingungen für sinnvoll: Diese müsse in der gesamten EU gelten und zugleich auch alle verarbeiteten Produkte aus der Lebensmittelindustrie umfassen. „Der Gastronom kann selbstverständlich nur über das informieren, was auch auf der Verpackung steht“, so die WKÖ: „Oder bleibt ihm dann nur, überhaupt auf die Verwendung von Convenience-Produkten zu verzichten?“

Jede Menge Ausnahmen

Tatsächlich lässt die neue EU-Regelung nicht allein die Gastronomie unberührt. Fleisch, das offen an der Theke verkauft wird, und solches in Fertiggerichten ist nach wie vor von jeder Herkunftskennzeichnung befreit. Bei Faschiertem - auch bei verpacktem - muss nur zwischen EU-Land oder Nicht-EU-Land unterschieden werden. Und bei Fleischwaren wie Wurst und Schinken bleibt alles beim Alten, sprich: Herkunftsinformation zum Fleisch gibt es keine.

Eine Kennzeichnungspflicht, die all diese Produkte umfasst, mag der Gout der Unmöglichkeit umwehen. Aus der Welt ist sie aber nicht. In der Schweiz sind sowohl Industrie als auch Gastronomie seit mehr als einem Jahrzehnt zu Herkunftsangaben des Fleisches verpflichtet. Und auch in der EU zeichnet sich eine strengere Regelung am Horizont ab - zumindest wenn es nach dem Willen des EU-Parlaments geht. Im Februar unternahmen die Europaabgeordneten einen Vorstoß für eine bessere Kennzeichnung bei Fertigprodukten. Zwei Drittel der Parlamentarier stimmten für einen Gesetzesentwurf, der Fertiggerichtehersteller zu genaueren Angaben verpflichten soll.

Eine Frage der Kosten

Gegen den Vorstoß sträubten sich vor allem konservative und liberale Politiker. Deren Hauptargument: Eine Herkunftspflicht würde am Ende vor allem zu teureren Lebensmitteln führen. Die CDU-Europaabgeordnete Renate Sommer sprach von einer „unsinnigen, wirklich blödsinnigen Herkunftskennzeichnung“. Der Verbraucher, so Sommer, „will das nicht wirklich“. Und Konsumenten seien nicht bereit, die Mehrkosten durch solche Angaben zu zahlen, verwies Sommer auf eine Studie der EU-Kommission vom Dezember 2013.

Das Argument der Mehrkosten führt auch die Lebensmittelindustrie als Argument gegen eine Kennzeichnungspflicht ins Feld. Wie hoch diese tatsächlich ausfallen, ist aber durchaus umstritten. Besagte Studie der Kommission sieht den Kostenanstieg bei 15 bis 50 Prozent. Die französische Verbraucherschutzbehörde (UFC Que Choisir) rechnete dagegen im selben Jahr vor, dass der Preis - zumindest bei Fertigprodukten - kaum um mehr als ein Prozent steigen würde. Konkret bedeutet das: Die Fertiglasagne beim Supermarkt ums Eck würde statt 4,65 Euro 4,70 Kosten. In diesem Fall bliebe wohl nur ein Argument gegen mehr Transparenz: dass Unwissen manchmal auch ein Segen sein kann.

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