Ein Leben wie ein schlechter Film
Regisseur Tim Burton ist für seine skurrilen Fantasiefilme - von „Edward mit den Scherenhänden“ bis „Frankenweenie“ berühmt. In seiner aktuellen Produktion „Big Eyes“ erzählt er zur Abwechslung eine wahre Geschichte - über das Künstlerpaar Walter und Margaret Keane und von einem großen Kunstbetrug.
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Margaret - gespielt von Amy Adams - muss sich in den 1950er Jahren in San Francisco als geschiedene Alleinerzieherin mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Als Straßenkünstlerin porträtiert sie für wenig Geld Passanten und lernt dabei den charismatischen Walter Keane (Christoph Waltz) kennen. Der beeindruckt mit aufregenden Geschichten über sein Kunststudium und Boheme-Leben in Paris. Schnell erobert und heiratet er die junge Frau, die sich an seiner Seite endlich das ruhige biedere Leben erhofft, von dem sie immer geträumt hat.

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Walter (Christoph Waltz) fällt es leicht, Margaret (Amy Adams) zu becircen
Walter ist überzeugt vom künstlerischen Talent seiner Frau und versucht ihre Kinderporträts mit den unnatürlich großen Augen gemeinsam mit seinen eigenen Gemälden zu verkaufen. Schnell merkt er, dass Margarets Bilder viel mehr Anklang finden und gibt sich - anfangs eher versehentlich, später selbstverständlich - als Urheber ihrer Werke aus. Als „Big Eyes“ erfreuen sich die traurigen Kindergesichter bald größter Beliebtheit, und Walter gelingt ein großer Coup mit dem millionenfachen Verkauf von Kunstdrucken und Postkarten.
Eine Beziehung, gebaut auf einer Lüge
Burton konzentriert sich in seiner Verfilmung auf die Beziehung des Ehepaares und die Motive Margarets, sich der Lüge ihres Mannes zu fügen. Während er im Rampenlicht steht, Interviews gibt, mit Frauen flirtet und mit Stars feiert, produziert sie die Bilder am laufenden Band. Zuerst in einer Dachkammer, dann im Atelier des luxuriösen Hauses, das sich das Paar bald leisten kann. Von dem Betrug weiß nicht einmal Margarets Tochter Jane aus erster Ehe - für die Künstlerin das Schlimmste an ihrer Situation, wie sie in der Kirche beichten wird.
Hinweis
„Big Eyes“ ist ab Freitag in österreichischen Kinos zu sehen.
„Big Eyes“ erzählt aber viel mehr als nur die wahre Lügengeschichte. Gefangen in den Konventionen der Nachkriegsjahre ist Margarets Flucht vor ihrem ersten Ehemann ein Tabubruch, der ihr später verständnislose Blicke einbringen wird. Auf Jobsuche, von den Richtern, die ihr ihre Tochter wegnehmen wollen. Und dass eine Frau als Künstlerin Erfolg haben könne, das wird ihr ohnehin nicht zugestanden. Adams, für ihre Rolle mit einem Golden Globe für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet, lässt die Zerrissenheit und Unsicherheit von Margaret deutlich werden. Lange wird es dauern, bis sie sich gegen ihren Mann auflehnen wird, der sich immer mehr in seine fiktive Künstlerbiografie einlebt.
Die ganze Bandbreite der Bösewichtrollen
Waltz spielt seit Jahren ausgerechnet mit einem Lächeln die ganze Bandbreite an Bösewichtrollen auf und ab. Auch hier gelingt ihm einmal mehr der schöne Spagat zwischen charismatischem Verführer und Unsympathler. Hinter der glatten Fassade verbirgt er den cholerischen Egomanen, der schon einmal mit einer Gabel auf einen „New York Times“-Kritiker losgeht, der den „Big Eyes“-Gemälden jeden Kunstwert abspricht.
Generell blieb die Kunstszene - nicht nur im Film, sondern auch in der Realität - gegenüber dem Keane-Werk skeptisch. Der kommerzielle Erfolg mit den günstig verkauften Drucken war nicht jedermann geheuer. Andy Warhol, der zugab, sich von der Posterproduktion Keanes inspiriert haben zu lassen, war da anderer Meinung: „Ich finde, was Keane geschafft hat, ist grandios. Wenn es schlecht wäre, würden es nicht so viele Menschen mögen,“ so der Künstler - damals in der Annahme, dass die Bilder von Walter Keane stammten.
Spätes Outing als Urheberin
1970 trennte sich Margaret von ihrem Mann, outete sich als wahre Schöpferin der Bilder und verklagte Walter auf mehrere Millionen Dollar Schadensersatz. Obwohl sie Recht bekam, sah sie nie etwas von dem Geld. Bis heute malt die mittlerweile 94-jährige Künstlerin fast täglich die Gemälde mit den großen traurigen Augen, die sie als „das Tor zur Seele bezeichnet“. Dem Stil von Burton, der mit seinen dunklen und zugleich liebenswerten Animationsfilmen bekannt wurde, sind die Porträts nicht unähnlich - und schon in den 1990er Jahren, lange bevor er sich mit der Biografie der Künstlerin beschäftigte, gab er bei ihr ein Werk in Auftrag: ein Porträt seiner damaligen Freundin Lisa Marie Smith.

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Amy Adams mit der echten Margaret Keane
Mit „Big Eyes“ bewegt sich Burton dennoch weg von seinem verschrobenen Comicstil, wird realistischer und spart sich skurrile Überladungen zugunsten einer eher konventionellen Inszenierung. Dabei hätte die Geschichte diesbezüglich sogar noch mehr hergegeben, wie Margaret Keane in Interviews erzählte: „Walter war echt durchgeknallt. Er log so viele Jahre lang, dass er seine Lügen selber glaubte. Hätten wir sein Benehmen bei dem Prozess wahrheitsgetreu nachgestellt, dann hätte uns das niemand geglaubt.“
Sophia Felbermair, ORF.at
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