Mogherini fordert offenes Russland
Das EU-Parlament hat nach dem Mord an dem russischen Oppositionsführer Boris Nemzow scharfe Kritik an Präsident Wladimir Putin und seiner Regierung geübt. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erklärte am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg, die russischen Bürger verdienten ein offenes und demokratisches Russland.
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Die Situation in Russland sei aber heute von regelmäßigen Schikanen geprägt, viele Menschen verließen das Land, weil sie in Freiheit leben wollten, zahlreiche andere lebten in Furcht. Die in den vergangenen Jahren ermordeten Journalisten, Rechtsanwälte und Menschenrechtsaktivisten seien als Staatsfeinde bezeichnet worden. Mogherini forderte Moskau auf, bei der Aufklärung des Nemzow-Mordes transparent zu ermitteln, um „das Klima des Misstrauens, des Hasses und der Intoleranz zu beenden“. Nemzow sei gegen den Krieg in der Ostukraine gewesen und habe auch Beweismaterial über die Beteiligung russischer Truppen gesammelt.
Lettische Abgeordnete: Teufelskreis der Diktatur
Die lettische EVP-Abgeordnete Sandra Kalniete sprach von einer „Agonie des Systems Putin“. Das könne aber mehrere Jahre andauern. Für die EU sei es wichtig, gemeinsame Gaskäufe zu machen. Sie begrüßte auch die jüngste Idee von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker für eine europäische Armee. Der Teufelskreis der Diktatur in Russland müsse durchbrochen, aber der Dialog mit den Bürgern aufrechterhalten werden.
Der sozialdemokratische deutsche Mandatar Knut Fleckenstein verurteilte den „feigen Mord“ an Nemzow. Die russische Regierung sei zu einer vollständigen Aufklärung verpflichtet. Er wolle sich nicht an Spekulationen beteiligen, „aber wir wissen, dass solche Morde immer dann geschehen, wenn das Umfeld dazu einlädt. Es gibt eine unglaubliche Propagandamaschine Moskaus, eine Verunglimpfung Andersdenkender“.
Duda spricht von „Angst und Schrecken“
Der polnische EU-Abgeordnete Andrzej Duda von den Konservativen und Reformern sagte, es stelle sich die Frage, ob Russland überhaupt noch eine Demokratie sei. Es habe „falsche Wahlen“ gegeben, die Verfassung werde nicht eingehalten, es gebe keine Bürgerrechte. Alles sei völlig von der Willkür der Behörden abhängig. Es herrsche „Angst und Schrecken“. Die Oppositionellen in Russland müssten ja „wahre Helden“ sein, denn wenn man sich mit der Wahrheit auseinandersetze, müsse man um sein Leben fürchten. Außerdem habe sich jüngst gezeigt, dass Putin sehr wohl schon vor einem Jahr den „geheimen Befehl gegeben hat, die Krim einzunehmen. Vor einem Jahr hat er aber behauptet, damit nichts zu tun zu haben.“
„Angemessener“ EU-Kurs gefordert
Der liberale niederländische Abgeordente Johanes Cornelis Baalen warf Putin vor, den Einfluss der Sowjetunion gegenüber den früheren Ostländern zurückgewinnen zu wollen. In Moskau fehle es an Rechtsstaatlichkeit. Die EU-Mandatarin Merja Kyllönen von den Linken/Nordischen Grünen bezeichnete die Stimmung in Moskau als nicht mehr akzeptabel. Menschenrechte, Demokratie und freie Meinungsäußerung würden in Frage gestellt. Es gehe darum, sich für Frieden einzusetzen.
Die Vorsitzende der Grünen, die Deutsche Rebecca Harms, warf Putin vor, Russland in die Vergangenheit zurückgeführt zu haben. Oppositionelle würden als Verräter gelten und würden wie Dissidenten behandelt. Es müsste einen angemessenen Kurs der EU gegenüber Russland geben, wobei gleichzeitig alles unternommen werden müsse, um die Kontakte zur Zivilgesellschaft aufrechtzuerhalten. Die Krise wurzle darin, dass Putin den „wahnsinnig aggressiven“ und für viele Bürger todbringenden Krieg gegen die Ukraine begonnen habe.
Schlagabtausch um Front National
Der französische EU-Abgeordnete der Front National, Jean-Luc Schaffhauser, wollte die allgemeine Kritik an Putin nicht teilen und meinte, es gebe Ärgere als Putin. Darauf antwortete der deutsche EVP-Mandatar Elmar Brok, er erwarte sich von jemandem, „von dem mir erzählt wird, er ist der Geldbriefträger zwischen Putin und Le Pen“, auch nichts anderes, „das ist vielleicht auch Bestandteil des Honorars, das sie von Putin für Ihre Partei erhalten haben“.
Das wiederum brachte Schaffhauser auf die Palme, er drohte mit Klage, wenn Brok nicht seine Anschuldigungen zurückziehe. Brok reagierte gelassen und sagte, er habe hier nichts behauptet, sondern nur „das Faktum dargelegt, dass das erzählt wird“. Schaffhauser hatte zuvor erklärt, Nemzow sei gar nicht der russische Oppositionsführer, das sei die kommunistische Partei mit 20 Prozent oder Schirinowski mit neun Prozent Anhängern. Dagegen könne Nemzow nur vier Prozent der Leute um sich scharen. Außerdem gebe es Ärgere als Putin, der noch zu den Gemäßigten gehöre, so der Mandatar der Front National.
Brok: „Verstehe sie weder mit noch ohne Kopfhörer“
Brok erwiderte, „das Problem ist, dass ich Sie (Schaffhauser, Anm.) weder mit noch ohne Kopfhörer verstehe, weil ich einfach ihre Aussagen nicht verstehe“. Wenn jemand vogelfrei als Vaterlandsverräter in Russland erklärt werde, wie bei Nemzow, „dann passieren solche Morde. Zufälligerweise ist von den Morden immer die Opposition betroffen, zufälligerweise kommen die Täter immer aus dem Kaukasus. Das ist ein nicht akzeptables System, das muss gebrandmarkt werden.“
Moskau verurteilt kritische EU-Parlamentsresolution
Russland kritisierte die nach dem Mord an Nemzow verabschiedete kritische Resolution des Europaparlaments als „unwahr“ und schädlich für die Beziehungen zwischen Europa und Moskau. Die Resolution, die der russischen Führung die Schaffung eines Klimas des Hasses und der Angst vorwirft, sei eine „absurde Zusammenstellung von Lügen und klaren Fehlinterpretationen“, erklärte der russische Außenministeriumssprecher Alexander Lukaschewitsch am Samstag. „Vermutungen“, der Mord an Nemzow könne politisch motiviert sein, seien „der Gipfel des Zynismus“.
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