Wendepunkt für Bürgerrechtsbewegung
Am Samstag wird US-Präsident Barack Obama in der US-Kleinstadt Selma zu den Feierlichkeiten anlässlich des „Bloody Sundays“ („Blutiger Sonntag“) erwartet. Tausende Bürger, Aktivisten und Politiker wie etwa Ex-Präsident George W. Bush gedenken in Selma des Wendepunkts für die US-Bürgerrechtsbewegung. Rassismus ist in den USA allerdings auch noch heute allgegenwärtig.
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Vor 50 Jahren, am 7. März 1965, machten sich 600 Bürgerrechtler auf den Weg von Selma in die Hauptstadt des US-Bundesstaats Alabama. In Montgomery wollten sie, nach dem ein junger Schwarzer von der Polizei bei Demonstrationen erschossen worden war, für das Wahlrecht für Schwarze demonstrieren. Zwar hatte der Civil Rights Act 1964 die Rassentrennung in den Südstaaten verboten, Diskriminierung war in den USA aber weiterhin weit verbreitet. Im Wahlrecht gab es gerade in südlichen US-Bundesstaaten für Afroamerikaner hohe Hürden. In Selma hatten damals 300 der 15.000 schwarzen Bürger die Erlaubnis zur Stimmabgabe.

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An der Edmund-Pettus-Brücke wurden die Demonstranten von der Polizei brutal zusammengeschlagen
Die Demonstranten kamen nicht weit: An der Stadtgrenze stoppte die lokale Polizei den Protestzug. Bei der Edmund-Pettus-Brücke, benannt nach einem ehemaligen US-Senator und hohen Mitglied des Ku-Klux-Klans, eskalierte die Situation. Nachdem sich die Teilnehmer weigerten, den Protestmarsch aufzulösen, prügelten die Polizisten brutal auf sie ein, auch Tränengas wurde eingesetzt. Über 50 Personen wurden verletzt. Die Bilder wurden im Fernsehen übertragen und sorgten landesweit für Empörung. Der Tag ging als „Bloody Sunday“ in die Geschichte ein.
King führte Marsch nach Montgomery
Es folgten zwei weitere Märsche. Am 9. März wollte der Bürgerrechtler Martin Luther King etwa 2.000 Demonstranten von Selma in die rund 80 Kilometer entfernte Stadt Montgomery führen. Um eine erneute Konfrontation mit der Polizei zu vermeiden, ließ er die Gruppe vor der Edmund-Pettus-Brücke allerdings wieder umdrehen. In der Zwischenzeit gab es auch landesweit immer mehr Proteste.

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King führte am 21. März einen Protestmarsch mit rund 25.000 Teilnehmern an
Der dritte Marsch am 21. März unter der erneuten Führung Kings und unter dem Schutz der Bundespolizei erreichte schließlich nach fünf Tagen mit insgesamt 25.000 Personen Montgomery. Im August desselben Jahres unterschrieb Präsident Lyndon B. Johnson das neue Wahlrechtsgesetz (Voting Rights Act). In der Folge konnten sich Millionen Schwarze erstmals als Wähler registrieren lassen.
Obama bedankte sich bei Demonstranten
Obama soll bei den Gedenkfeiern, bei denen er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern die Spitze eines Gedenkmarsches anführen soll, die Generation seiner Kinder aufrufen, „die Fackel zu übernehmen, die die Demonstranten von Selma uns hinterlassen haben“. Er war bereits 2007 in Selma, als junger, aufstrebender Senator von Illinois, gemeinsam mit dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton und dessen Frau Hillary, mit der er damals um die Präsidentschaftskandidatur des US-Demokraten ritterte.

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2007 war Obama bereits in Selma, damals noch als Senator
„Ich bin hier, weil ihr marschiert seid. Ich bin hier, weil ihr alle euch für mich geopfert habt.“ Dass mit Obama schließlich erstmals ein Afroamerikaner zum US-Präsidenten gewählt wurde, war für viele Schwarze damals ein Zeichen dafür, dass sich doch einiges verändert hat.
Diskriminierung in den USA allgegenwärtig
Mittlerweile gibt es allerdings auch viel Ernüchterung. Von den 535 Abgeordneten waren 2014 nur 46 schwarz. Diskriminierung ist in den USA weiter alltäglich. Vergangenes Jahr ist es etwa zu heftigen Protesten gekommen, als in Ferguson (Bundesstaat Missouri), ein junger schwarzer Mann von Polizisten erschossen worden war. Viele Afroamerikaner sind der Meinung, dass das kein Einzelfall ist - und jüngst gab ihnen sogar US-Justizminister Eric Holder recht.
Holder warf der Polizei in Ferguson vor, diskriminierend zu agieren. So würden Schwarze übermäßig häufig mit Geldstrafen belegt - mit dem Ziel, die Kassen der Stadt aufzufüllen. Ein ausführlicher Bericht des Ministeriums habe „ungesetzliche Praktiken und Verletzungen der Verfassung“ ans Tageslicht gebracht, so Holder weiter. Das habe „nicht nur das öffentliche Vertrauen schwer untergraben, die Legitimität der Polizei ausgehöhlt und der Sicherheit der Einwohner geschadet“. Die Menschen fühlten sich außerdem ausgerechnet von denjenigen angegriffen, die sie eigentlich beschützen sollten.

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Im März 1965 kam es in den USA zu landesweiten Protesten rund um das Wahlrecht
„Selma ist jetzt“, sagte der Sänger John Legend bei der Oscar-Verleihung im Februar. Er hatte den Preis für den Song „Glory“ aus dem Film „Selma“ gewonnen und erinnerte dabei an die immer noch präsente Ungleichheit: Der Voting Rights Act, für den die Bürgerrechtler damals gekämpft hatten, sei heute in Gefahr. „Selma ist jetzt, weil der Kampf für Gerechtigkeit jetzt ist“, sagte Legend. „Marschiert weiter!“
Hohe Arbeitslosigkeit in Selma
Die Situation für die Bewohner in Selma ist laut dem „Wall Street Journal“ („WSJ“) weiterhin schwierig: Die Arbeitslosigkeit lag im Dezember bei 10,2 Prozent, fast doppelt so hoch wie im gesamten US-Bundesstaat Alabama. 42 Prozent der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, rund 80 Prozent davon sind schwarz. Es gibt zwar einen schwarzen Bürgermeister, und auch die Stadtregierung wird von Afroamerikanern dominiert, die weiße Bevölkerung besitze aber, so Stadtbewohner, die meisten der großen Geschäfte. „Es ist, als ob Selma von der Veränderung, die hier losgetreten wurden, nicht profitiert hätte“, so Senator Hank Sanders.
Es gebe aber auch einige junge Afroamerikaner, die wieder gezielt nach Selma ziehen würden und eine gewisse Aufbruchsstimmung mitbringen, so das „WSJ“ weiter. Zahlreiche Hersteller, darunter Autozulieferbetriebe und ein Pelletshersteller, konnten in die Stadt und das umliegende Gebiet gelockt werden. Die Stadt selbst sucht nach Möglichkeiten, die Innenstadt zu revitalisieren und kommt Firmengründern auch mit Steuererleichterungen entgegen.
Diskussion über Wahlrecht geht weiter
Die Diskussion über das Wahlrecht sei zudem noch nicht beendet, hieß es in der US-Zeitung „The Atlantic“. Der Supreme Court entschied 2013, dass die bisherige Determinierung, welche US-Bundesstaaten eine Änderung der Wahlregeln genehmigen lassen müssen, nicht mehr zeitgemäß sei und aktualisiert werden müsse. Zwei Jahre nach diesem Urteil hat der US-Kongress noch nichts Entsprechendes verabschiedet.
In mehreren Bundesstaaten wurden in den vergangenen Jahren Wahlgesetze verabschiedet, die nach Ansicht von Bürgerrechtsaktivisten die Stimmabgabe von Afroamerikanern und anderen ethnischen Minderheiten erschweren. Beobachter erwarten, dass Obama bei seiner Rede darauf besonders eingehen wird.
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