„Marschiert weiter!“
Große Überraschungen sind heuer bei der Oscar-Verleihung ausgeblieben: vier Preise für den Favoriten „Birdman“, vier für den zweiten Favoriten „Grand Budapest Hotel“ - alles wie erwartet. Auch unter den Showeinlagen fanden sich keine echten Highlights. Aufhorchen ließen nur politische Statements.
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Bereits im Vorfeld waren die Medien voll von Zitaten aufgebrachter Branchenkenner. Weiß und männlich seien die Oscars - und würden damit die Realität Hollywoods widerspiegeln. Bei den Regisseuren - auch in den Sparten Animation und ausländischer Film - trat in der Nacht auf Montag eine reine Männerriege an. Alle zehn nominierten Drehbuchautoren waren Männer, ebenso alle Komponisten und Kameraleute. Nur eine Frau mischt unter den Dokumentarfilmern mit. Die Amerikanerin Laura Poitras ging in „Citizenfour“ dem ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden und seiner Aufdeckertätigkeit nach und wurde dafür mit einem Oscar ausgezeichnet.
Standing Ovations für Frauenrechtsappell
Den Oscar für die beste weibliche Nebenrolle erhielt Patricia Arquette. Sie spielt in Richard Linklaters Langzeitprojekt „Boyhood“ eine alleinerziehende Mutter, die für ihre Kinder durch dick und dünn geht und sich in einer männlich dominierten Welt durchsetzen muss. Arquette kämpfte bei ihrer Ansprache mit den Gefühlen - und das hatte nicht nur mit dem Preis zu tun. Sie richtete einen emotionalen Aufruf für Frauenrechte an das hochkarätige Publikum, was Stars wie Meryl Streep zu stehenden Ovationen und Bravo-Rufen motivierte.

APA/EPA/Paul Buck
Patricia Arquette lieferte bei der Gala einen flammenden Appell für die Gleichstellung der Frauen
„Dank an jede Frau, die ein Kind geboren hat, einen Steuerzahler und Bürger dieser Nation“, sagte Arquette. Und: „Wir haben für gleiche Rechte für jeden gekämpft. Nun ist endlich unser Moment gekommen - für gleiche Löhne und gleiche Rechte für Frauen in den Vereinigten Staaten von Amerika!“ Der Kameraschwenk ins Auditorium zeigte, dass Arquette damit 50 Prozent des Publikums aus dem Herzen sprach.
Der „weißeste“ Oscar
Bei Schwarzen schaut die Oscar-Bilanz ähnlich aus wie bei Frauen - sowohl bei den Nominierungen als auch bei den Preisen. Der Moderator des Abends, „How I Met Your Mother“-Star Neil Patrick Harris, thematisierte das schon in der ersten Minute des Abends mit einem absichtsvollen Versprecher - aus „brightest“ wurde „whitest“ -, bevor er sich selbst korrigierte: „Heute Abend ehren wir die Besten und Weißesten, äh, Weisesten Hollywoods.“ So manchem im Dolby Theatre blieb das Lachen sichtlich im Halse stecken.
„Aktuelles“ Bürgerrechtsdrama
Als große Hoffnung galt das US-Bürgerrechtsdrama „Selma“ in der Kategorie „Bester Film“ - eine Hoffnung, die sich nicht erfüllte. Immerhin wurde als bester Song „Glory“ aus dem Film prämiert. Als das Lied von John Legend und Common vorgetragen wurde, flossen im Publikum Tränen. David Oyelowo, der in „Selma“ Martin Luther King darstellt, weinte. Der Song wurde während der vergangenen Monate bei Protestkundgebungen gesungen.

Reuters/Mike Blake
John Legend und Common bei ihrer Darbietung von „Glory“
Legend sagte in seiner Dankesrede, dass die Diskriminierung von Schwarzen beileibe nicht nur ein historisches Thema sei: „‚Selma‘ ist aktuell, weil der Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit gerade jetzt stattfindet. (...) Es sind heute mehr Schwarze unter Kontrolle der Justiz als zu Zeiten der Sklaverei 1850. Leute, die zu unserem Lied marschieren, sollen wissen, wir sind bei euch. Marschiert weiter!“
Inarritu widmet Preis jungen Einwanderern
Ein weiteres politisches Statement kam in allerletzter Minute. Der mexikanische Regisseur Alejandro Gonzalez Inarritu hatte seine Oscar-Dankesrede für den besten Film - „Birdman“ - schon gehalten, da griff er sich erneut das Mikrofon. Er widme seinen Preis auch den jungen Immigranten der USA: „Ich bete dafür, dass sie mit derselben Würde und demselben Respekt behandelt werden wie diejenigen, die vor ihnen kamen und diese unglaubliche Einwanderernation aufgebaut haben“, sagte er mit seiner Trophäe in der Hand.
„Zwei Mexikaner hintereinander, das ist doch verdächtig“, meinte der sichtlich überwältigte Inarritu bei einem seiner drei Ausflüge auf die Bühne. Im Vorjahr war sein Landsmann Alfonso Cuaron mit dem Regie-Oscar für „Gravity“ ausgezeichnet worden. „Vielleicht ändert die Academy nächstes Jahr ihre Bestimmungen“, scherzte der 51-Jährige, der nach eigenen Angaben am Oscar-Abend jene langen, weißen Unterhosen trug, die Michael Keaton in einer kultverdächtigen Szene von „Birdman“ zur Schau gestellt hatte.
Preise breit gestreut
Damit holten die zwei meistnominierten Filme auch die meisten Preise: Je vier Trophäen gab es für Wes Andersons „Grand Budapest Hotel“ und Inarritus „Birdman“, wobei Letzterer in den Kategorien „Bester Film“, „Bester Regisseur“, „Beste Kamera“ und „Bestes Originaldrehbuch“ triumphierte. „Grand Budapest Hotel“, das wie „Birdman“ mit neun Nominierungen in das Preisrennen gegangen war, reüssierte wie erwartet in den Gestaltungskategorien. So gab es Preise sowohl für das beste Kostüm- und Produktionsdesign als auch für Make-up/Frisuren und für die beste Filmmusik.

Reuters/Mario Anzuoni
Inarritu freut sich über seine „Birdman“-Oscars
Auffällig breit wurden die Preise heuer verteilt. So holte abseits von „Birdman“ und „Grand Budapest Hotel“ nur das Musikdrama „Whiplash“ von Jungregisseur Damien Chazelle mehrere Preise (Nebendarsteller, Schnitt, Tonmischung). Für den achtfach nominierten Thriller „The Imitation Game“ gab es lediglich eine Zuerkennung für das beste adaptierte Drehbuch, während Clint Eastwoods sechsfach genanntes Scharfschützendrama „American Sniper“ einzig mit seinem Tonschnitt überzeugen konnte.
Bitter war die Bilanz für „Boyhood“: Im Vorfeld als stärkster Konkurrent von „Birdman“ in den Königskategorien genannt, holte das außergewöhnliche Langzeitprojekt von Richard Linklater nur einen von sechs möglichen Oscars, jenen für Arquette als beste Nebendarstellerin. Als bester Hauptdarsteller wurde Eddie Redmayne für die Rolle des Physikers Stephen Hawking in „The Theory of Everything“ ausgezeichnet, als beste Hauptdarstellerin nach vier erfolglosen Nominierungen Julianne Moore, die in „Still Alice“ eine Alzheimerkranke darstellt.
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