Janukowitsch wieder aufgetaucht
Rund 35.000 Unterstützer des russischen Präsidenten Wladimir Putin zogen laut Angaben der Polizei am Samstag durch die russische Hauptstadt und demonstrierten gegen den prowestlichen Kurs der Regierung in Kiew. Der vor einem Jahr geflüchtete ehemalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch will unterdessen zurück in die Ukraine.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Viele Demonstranten schwenkten russische Flaggen und trugen das orange-schwarze Sankt-Georg-Band, das auch die Separatisten in der Ostukraine als Erkennungszeichen nutzen. „Putinismus für immer“, stand auf einem Schild, „Der Maidan ist eine Krankheit. Wir werden sie behandeln“ auf einem anderen. Auf einem Spruchband stand: „Ami, geh nach Hause - und nimm den Maidan mit.“ Fernsehberichten zufolge gab es ähnliche Kundgebungen auch in anderen russischen Städten.

AP/Ivan Sekretarev
Tausende gingen allein in Moskau auf die Straße
Druck für Teilnahme?
„Niemals“ werde es in Russland eine „Farbenrevolution“ geben wie in der Ukraine oder in Georgien, hieß es bei Reden auf einer Bühne in der Nähe des Kreml. „In diesen Tagen, in denen die Feinde Russlands mobilmachen, müssen wir fest an der Seite des russischen Präsidenten stehen“, sagte ein Redner. „Heimat - Putin“ und „Russische Krim“ skandierte die Menge etwa. Zu der Kundgebung für die Unterstützung des Krisengebiets Donbass hatten etwa 150 patriotische Organisationen aufgerufen.

Reuters/Sergei Karpukhin
Die Demonstranten in Moskau kamen mit vielen Parolen und Spruchbändern
Kremlkritischen Medien zufolge war in Betrieben und Schulen Druck für eine Teilnahme ausgeübt worden. Die russische Opposition wertet die Versammlung auch als „Einschüchterungsversuch“. Die Bevölkerung solle damit vor den „blutigen Folgen eines Machtwechsels“ gewarnt werden. Unter den Teilnehmern war auch der ukrainische Politiker Oleg Zarjow, der mit Separatisten auf der Sanktionsliste der EU steht.
Janukowitsch will in die Ukraine zurück
Der im Zuge des Machtwechsels vor einem Jahr geflüchtete ehemalige ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch schließt unterdessen eine Rückkehr in die Ukraine laut eigenen Angaben nicht aus. „Sobald sich eine Möglichkeit bietet, zurückzukehren, werde ich zurückkehren und alles tun, um das Leben in der Ukraine zu verbessern“, sagte er in einem am Samstag ausgestrahlten Interview des staatlichen russischen Fernsehens. „Wenn Gott mich am Leben gelassen hat, ist es vielleicht, weil er mich noch braucht.“
Janukowitsch floh am 21. Februar 2014 aus Kiew, nachdem bei Protesten gegen ihn innerhalb von drei Tagen in Kiew mehr als 100 Demonstranten erschossen worden waren. Janukowitsch begründete seine Flucht damit, er habe um sein Leben fürchten müssen. Wer die Schüsse auf die Demonstranten abgab, ist bis heute nicht geklärt. Janukowitsch betrachtet seine Absetzung als illegal und spricht wie die russische Regierung von einem Putsch. Er ist wegen Vorwürfen wie Unterschlagung von Interpol zur weltweiten Fahndung ausgeschrieben.
Gorbatschow: „Überflüssig“
Der russische Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow schloss ein Comeback Janukowitschs aus. „Ich denke, er hat sich überflüssig gemacht“, sagte der frühere Sowjet-Präsident am Samstag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Grundsätzlich liege eine mögliche Rückkehr in der Hand der Wähler. „Aber es hat sich (in Kiew) zu viel geändert“, meinte Gorbatschow. Der ukrainische Staatschef Petro Poroschenko forderte Janukowitsch unterdessen zur Rückkehr auf. Die Führung in Kiew will Janukowitsch unter anderem wegen Betrugs vor Gericht stellen. Moskau lehnt eine Auslieferung aber ab.
Ukraine fürchtet Angriff auf Mariupol
Unterdessen gehen die Auseinandersetzungen in der Ostukraine weiter. Die ukrainischen Streitkräfte werfen den prorussischen Separatisten vor, ihre Einheiten nahe der strategisch wichtigen Stadt Mariupol für einen Angriff zu verstärken. Es gebe laufend Truppenbewegungen und Sabotageakte, die Armee sei aber auf einen möglichen Angriff auf die Hafenstadt vorbereitet, sagte Militärsprecher Andrej Lissenko am Samstag.
Bereits am Freitag hatte das ukrainische Militär erklärt, russische Panzer und Kämpfer hätten unweit von Nowoasowsk südöstlich von Mariupol die Grenze passiert. Allerdings gab es an Ort und Stelle zunächst keine Hinweise auf zusätzliche Panzer und Soldaten aus dem Nachbarland. Eine Einnahme Mariupols durch die Separatisten könnte den in Minsk ausgehandelten Waffenstillstand endgültig zum Scheitern bringen.
Fast 200 Gefangene ausgetauscht
Vor gut einer Woche hatten die ukrainische Regierung und die Rebellen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk nach langen Verhandlungen einen Friedensplan unterzeichnet. Darin wurden neben der brüchigen Waffenruhe der Abzug schwerer Waffen, die Einrichtung einer Pufferzone und der Austausch von Gefangenen vereinbart. Am Samstag wurden bei Lugansk die ersten Gefangenen übergeben. 139 ukrainische Soldaten und 52 prorussische Separatisten wurden an der Frontlinie der jeweils anderen Konfliktpartei übergeben, wie örtliche Medien berichteten.
Einige der in der Stadt Scholobok übergebenen Soldaten waren verwundet, sie gingen mit Krücken. Poroschenko bestätigte im Kurzmitteilungsdienst Twitter den Gefangenenaustausch und bezeichnete die Soldaten als „ukrainische Helden“. Es war der größte Gefangenenaustausch in dem Konflikt seit Dezember. Scholobok liegt rund 40 Kilometer nordwestlich von Lugansk.
Dutzende Tote in Debalzewe
Mindestens 179 Soldaten sind laut Angaben der ukrainischen Regierung bei Kämpfen um die Stadt Debalzewe seit Mitte Jänner getötet worden. Weitere 81 Soldaten würden noch vermisst, teilte der Präsidentenberater Juri Birjukow am Samstag mit. Um Debalzewe war auch nach dem Friedensvertrag von Minsk heftig gekämpft worden. Am Mittwoch gab sich die ukrainische Armee nach wochenlangen Kämpfen geschlagen und zog sich aus der strategisch wichtigen Stadt zurück. Dabei sollen 20 Soldaten getötet worden sein.
Die Kämpfe gehen offenbar weiter. In Donezk war am Samstagmorgen erneut Artilleriefeuer zu hören. In Awdiiwka fünf Kilometer weiter nördlich wurden nach Polizeiangaben drei Zivilisten getötet. Die ukrainische Armee teilte mit, dass ein Soldat getötet und 40 weitere verletzt worden seien.
USA erwägen „zusätzliche Sanktionen“
Russlands „fortwährende Unterstützung“ für die Rebellen „untergräbt die internationale Diplomatie und die multilateralen Institutionen - die Grundlagen unserer modernen globalen Ordnung“, sagte US-Außenamtssprecherin Jen Psaki am Freitag. Die russische Regierung halte sich nicht an ihre Zusagen, sei für den Bruch der Waffenruhe mitverantwortlich und verletze internationales Recht, indem sie im Nachbarland „illegal interveniert“. Laut US-Außenminister John Kerry erwägen die USA und Großbritannien „zusätzliche Sanktionen“ gegen Russland. Er verurteilte das „äußerst schändliche Verhalten“ Moskaus im Ukraine-Konflikt.
In einer Erklärung zum Jahrestag würdigte Kerry den Mut der Ukrainer, die mit ihren Massenprotesten den Sturz Janukowitschs bewirkt hatten. In sehr persönlich gehaltenem Ton schilderte er, wie sehr ihn die ukrainische Bevölkerung inspiriert habe - Menschen, „die im Angesicht von Widrigkeiten und russischer Aggression“ nach einer demokratischen und europäischen Zukunft strebten. Kerry schloss mit den Worten „Glory to Ukraine“ - übersetzt ungefähr: „Die Ukraine soll hochleben.“
Links: