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Verdächtiger mit langem Strafregister

Nach den tödlichen Angriffen auf ein Kulturzentrum und eine Synagoge in Kopenhagen laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Zahlreiche schwerbewaffnete Polizisten haben am Sonntag ein in der Nähe gelegenes Internetcafe gestürmt und mindestens zwei Verdächtige festgenommen. Auch mehrere Wohnungen wurden durchsucht.

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Die Polizei führte in dem Viertel Noerrebro, in dem sie im Morgengrauen den mutmaßlichen Täter erschossen hatte, mehrere Razzien durch. Nach Überzeugung der Ermittler handelt es sich um den Mann, der offenbar als Einzeltäter beide Anschläge verübte. Die Polizei stützt sich unter anderem auf die Auswertung von Videomaterial aus Überwachungskameras.

Verdächtiger erst vor kurzem aus Haft entlassen

Der Mann sei den Ermittlern bekannt gewesen, hieß es bei einer Pressekonferenz Sonntagmittag. Die Identität des Mannes wollten Polizei und Sicherheitsbehörden zunächst aber nicht preisgeben. „Er kommt aus Kopenhagen, das ist alles, was wir sagen können“, sagte der Chef der dänischen Sicherheitsbehörde PET, Jens Madsen. Es handle sich bei dem Erschossenen um einen 22-jährigen gebürtigen Dänen, der in der Vergangenheit bereits wegen Gewaltdelikten, Bandenkriminalität und Waffenbesitzes mit der Polizei in Konflikt geraten ist.

Die dänische Zeitung „Ekstra Bladet“ berichtet, dass der 22-Jährige erst zwei Wochen vor den Angriffen aus der Haft entlassen worden ist. Dem Bericht zufolge wurde er im Dezember verurteilt, weil er ein Jahr zuvor in einem Kopenhagener Bahnhof einen 19-Jährigen ohne erkennbaren Grund niedergestochen hatte. Den Großteil der Strafe verbüßte er demnach durch die Untersuchungshaft. Laut dem Bericht, der auch vom Fernsehsender TV2 aufgegriffen wurde, gehörte der junge Mann einer Gang namens Brothas im Stadtteil Nörrebro an. Die dänischen Medien gaben den Namen des mutmaßlichen Täters mit Omar El-Hussein an.

Polizisten vor einem Internetcafe

Reuters/Leonhard Foeger

Das Internetcafe wurde abgeriegelt

Kein Hinweis auf extremistischen Hintergrund

Der Anschlag gegen das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ im Jänner in Paris könnte den Attentäter nach Einschätzung von PET zu den Taten inspiriert haben. Nichts deute bisher darauf hin, dass der Mann einen Komplizen gehabt habe, sagte Sicherheitschef Madsen, noch gebe es Hinweise darauf, dass der mutmaßliche Täter sich als Dschihadist in Syrien oder im Irak aufgehalten habe. Die Ermittler fanden eine Waffe, die die Tatwaffe sein könnte.

Am Samstagnachmittag hatte ein Angreifer zunächst Dutzende Schüsse auf ein Kulturzentrum abgefeuert, in dem eine Podiumsdiskussion über Meinungsfreiheit und Islam stattfand. Zu den Teilnehmern gehörte der französische Botschafter und der schwedische Künstler Lars Vilks, dessen Karikaturen des Propheten Mohammed Empörung in der muslimischen Welt auslösten. Dabei tötete der Schütze einen 55-jährigen Zuhörer und verletzte drei zum Schutz von Vilks eingesetzte Polizisten.

Taxifahrer gab entscheidenden Tipp

Danach floh der Mann in einem dunklen VW Polo, der später in Kopenhagen gefunden wurde. Er setzte seine Flucht in einem Taxi fort und ließ sich nach Hause in seine Wohnung fahren. Von dort aus dürfte er später zum Anschlag auf die Synagoge aufgebrochen sein. Dort erschoss er einen jüdischen Wachmann, konnte jedoch nicht in das Gebäude, in dem sich zu dem Zeitpunkt rund 80 Menschen aufhielten vordringen.

Karte von Kopenhagen

APA/ORF.at

Den entscheidenden Tipp bekamen die Ermittler in der Nacht vom Taxifahrer. Als die Beamten den Verdächtigen am frühen Sonntagmorgen vor dem observierten Haus in dem Stadtteil Noerreport nahe dem gleichnamigen Bahnhof angesprochen hätten, habe der Mann das Feuer eröffnet, berichtete die Polizei. Daraufhin hätten die Beamten zurückgeschossen und den Angreifer getötet.

Karikaturist als wahrscheinliches Ziel

Der Anschlag auf das Kulturzentrum könnte dem Karikaturisten Vilks gegolten haben. Dieser blieb unverletzt. Er hatte sich zusammen mit der Mitorganisatorin der Diskussion, Helle Merete Brix, in einem Kühlraum verschanzt. Unter den Besuchern war auch der französischen Botschafter Francois Zimeray. Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve machte sich am Sonntag von Marokko aus auf den Weg in die dänische Hauptstadt. Am Montagabend soll es in Kopenhagen am ersten Tatort eine Gedenkfeier für die Opfer geben.

Schock in jüdischer Gemeinde

Das zweite Opfer, ein 37-jähriger Wachmann, der die Menschen kontrolliert, die in die Synagoge zur Feier einer Bat Mizwa kamen, konnte vor seinem Tod noch die Anwesenden warnen. Als die ersten Schüsse fielen, habe er die Musik ausgemacht und alle aufgefordert, in den Keller zu gehen, erzählte seine Mutter. Später habe er Polizisten geholfen, die Anwesenden durch einen Notausgang zu Bussen zu bringen. Auch zwei Beamte wurden bei dem Anschlag verletzt.

Nach Angaben des Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde, Dan Rosenberg Asmussen, hatte die jüdische Gemeinde die Sicherheitsvorkehrungen nach den Terroranschlägen in Paris Anfang Jänner verstärkt. „Ich bin schockiert. Alle sind schockiert“, sagte Asmussen dem dänischen Fernsehen am Sonntag. „Das ist das, was wir immer befürchtet haben. Und das, wovor wir die ganze Zeit gewarnt haben, dass es in Dänemark passieren könnte.“

Netanjahu ruft Juden zur Auswanderung auf

Großbritanniens Premierminister David Cameron sicherte der dänischen Regierung volle Unterstützung im Kampf gegen den Terror zu. „Die Schüsse von Kopenhagen sind ein abstoßender Angriff auf die freie Meinungsäußerung und Religionsfreiheit“, sagte Cameron am Sonntag in einem Statement. Dänemark sei wie Großbritannien eine erfolgreiche Multi-Kulti-Demokratie. Der dänische Verteidigungsminister Nicolai Wammen bekräftigte, sein Land werde einer Terrorbedrohung nicht weichen.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief die Juden in Europa nach den Terroranschlägen in Kopenhagen zur Auswanderung in den jüdischen Staat auf. „Juden wurden auf europäischem Boden ermordet, nur weil sie Juden waren“, sagte er am Sonntag während einer Kabinettssitzung in Jerusalem. „Diese Terrorwelle wird weitergehen.“ Er wende sich an die Juden in Europa: „Israel ist eure Heimstätte.“ Auf die Anschläge in Paris im Jänner, bei denen auch vier Juden getötet worden waren, hatte Netanjahu bereits mit einem ähnlichen Aufruf reagiert.

Umstrittene Moschee distanziert sich

Die umstrittene dänische Grimhoej-Moschee in Aarhus distanzierte sich unterdessen von den Terrorangriffen in Kopenhagen. „Wir sind natürlich gegen jede Art von Gewalt und Terror gegen Unschuldige“, sagte der Vorsitzende der Moschee, Oussama Mohamad El-Saadi, der Zeitung „Jyllands-Posten“. Er sei traurig über die Ereignisse.

El-Saadi warnte vor einer pauschalen Verurteilung aller Muslime, falls es sich bei dem Täter um einen Muslim handle. „Wir sollten in dieser Gesellschaft keinen Hass aufeinander schüren“, sagte er. Aus dem Umfeld der Grimhoej-Moschee sollen viele der mutmaßlichen dänischen Dschihadisten stammen, die sich in Syrien und im Irak der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben.

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