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Drohungen von beiden Seiten

Die Feuerpause in der Ostukraine scheint weitgehend zu halten. Auch wenn sich die Konfliktparteien am Sonntag bereits gegenseitig erste Verstöße gegen die seit Mitternacht (Ortszeit) geltende Waffenruhe vorwarfen. Die Feuerpause ist Teil eines Friedensplans, der am Donnerstag bei Krisengesprächen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ausgehandelt wurde.

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Obwohl die Führung in Kiew zunächst zurückhaltend mit einer Bewertung der Lage im Kriegsgebiet war, bereitet sie nun nach eigener Darstellung den Rückzug schwerer Waffen vor. Dmitri Kuleba vom ukrainischen Außenministerium machte jedoch deutlich, dass die Geschütze nur gleichzeitig mit den Waffen der prorussischen Separatisten abgezogen würden. „Das wird ein Test für alle, ob sie bereit sind, den Friedensplan umzusetzen“, sagte er Berichten zufolge.

Durch den Rückzug der Waffen soll eine entmilitarisierte Pufferzone im Konfliktgebiet entstehen. Militärsprecher Andrej Lyssenko betonte in Kiew, dass sich die Lage in der Ostukraine stabilisiere und die Kämpfe abgeflaut seien. Das hatten zuvor auch die Separatisten mitgeteilt.

Zwischenfall kurz nach Mitternacht

Völlig frei von Zwischenfällen war die Waffenruhe - vor allem gleich zu Beginn - nicht. Laut Behördenangaben wurden zwei Zivilisten bei einem Separatistenangriff getötet. Ein alter Mann und eine Frau seien rund 20 Minuten nach Inkrafttreten der Feuerpause beim Einschlag einer Grad-Rakete in dem Dorf Popasna in der Region Lugansk ums Leben gekommen, sagte der Regionalgouverneur Gennadij Moskal am Sonntag.

Separatistenführer Eduard Bassurin teilte Agenturen zufolge in der Nacht auf Sonntag mit, ukrainische Truppen hätten bei den Orten Debalzewe und Gorlowka sowie auf dem Donezker Flughafen die Aufständischen unter Beschuss genommen. Der Nationale Sicherheitsrat in Kiew berichtete von einem Verstoß gegen die Waffenruhe in den ersten 90 Minuten seit deren Beginn. Außenminister Pawlo Klimkin sagte in Kiew, die Regierung tue alles für eine stabile Feuerpause. Im Gebiet Lugansk blieb es nach Darstellung der Separatisten ruhig.

Waffenruhe offiziell verkündet

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte dem Militär um Mitternacht befohlen, die Kämpfe einzustellen, wie der Generalstab in Kiew mitteilte. Der Agentur Interfax zufolge sagte Poroschenko: „Ich will Frieden.“ In Donezk teilte Separatistenführer Bassurin laut Meldungen russischer Agenturen mit, die Waffenruhe habe begonnen. Auch die Aufständischen in Lugansk stellten zunächst das Feuer ein.

Ukrainische Soldaten parken Panzer

AP/Petr David Josek

Ukrainische Truppen brachten sich am Samstag nahe Debalzewe in Stellung

Bis zum Inkrafttreten der Feuerpause hatten sich ukrainische Truppen und prorussische Separatisten noch heftige Gefechte geliefert. Mehrere Menschen wurden dabei getötet. Beide Seiten sprachen Drohungen aus, sollte die Waffenruhe nicht halten. Poroschenko warnte, der Friedensprozess sei aufgrund der gespannten Lage bei Debalzewe in Gefahr. Die strategisch wichtige Stadt nordöstlich der Separatistenhochburg Donezk war bis zuletzt umkämpft. Nach Darstellung der Aufständischen sind dort Tausende ukrainische Soldaten eingekreist. Die Führung in Kiew weist das zurück.

Der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) war es nicht möglich, sich ein Bild von der Lage in Debalzewe zu machen. Die Rebellen hätten den Beobachtern den Zugang zur Stadt verweigert, sagte der Chef der OSZE-Beobachtermission in Kiew, Ertugrul Apakan, bei einer im Internet übertragenen Pressekonferenz. Er rief die Konfliktparteien zu einer weiteren Einhaltung der Waffenruhe auf.

Russischer Hilfskonvoi überquert Grenze

Mit Beginn der Waffenruhe schickte Russland den mittlerweile 14. Hilfskonvoi mit rund 1.800 Tonnen Ladung in das Krisengebiet. Mehr als 170 weiße Lastwagen mit der Aufschrift „Humanitäre Hilfe der Russischen Föderation“ überquerten Sonntagfrüh die Grenze zur Ukraine, wie der Zivilschutz mitteilte. Die Hilfsgüter, darunter vor allem Lebensmittel und Schulbücher, sollen in den Städten Donezk und Lugansk verteilt werden, die von prorussischen Separatisten beherrscht werden.

Rund 400 Mitarbeiter des russischen Zivilschutzes seien an Bord der Lastwagen, sagte Behördensprecher Oleg Woronow der Agentur TASS. Darunter seien neben den Fahrern auch Ärzte und Psychologen, die die Menschen im Konfliktgebiet betreuen sollen. Die Ukraine hatte Russlands Hilfskonvois bisher als Verletzung ihrer Souveränität kritisiert. Sie wirft dem Nachbarland vor, den Separatisten auf diese Weise Nachschub wie etwa Waffen und Munition zu bringen. Russland weist das zurück und begründet die Hilfe mit der humanitären Katastrophe, die auch von einer ukrainischen Wirtschaftsblockade des Donbass verschärft worden sei.

Erneuter Appell von Merkel und Hollande

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande hatten am Samstag noch einmal eindringlich an die Konfliktparteien appeliert, sich an das Minsker Abkommen zu halten. Sie telefonierten sowohl mit Poroschenko als auch mit Putin. US-Außenminister John Kerry telefonierte am Samstag mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow und forderte ihn zu einer „vollen Umsetzung“ der Minsker Vereinbarung auf.

Auch US-Präsident Barack Obama habe in einem Telefonat mit Poroschenko seine Sorge um die Lage in Debalzewe zum Ausdruck gebracht, hieß es aus Kiew. Sowohl Poroschenko und Obama als auch Poroschenko und das deutsch-französische Tandem kündigten an, sich über weitere Schritte in der Krise abzustimmen. Merkel und Hollande wollten bereits am Sonntag erneut mit Poroschenko telefonieren und sich über den Fortgang der Waffenruhe unterrichten lassen.

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