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Profitable Eskapaden

An die 30 Jahre lang hat Carole White dichtgehalten, schließlich wollte sie sich das eigene Geschäft nicht ruinieren. Nun ist die Chefin der britischen Agentur Premier Model Management 64 und die Ära der von ihr betreuten Supermodels lange vorbei. Was also liegt näher, als aus den Anekdoten über die Laufstegstars von damals mit einem Klatsch-und-Tratsch-Buch Kapital zu schlagen?

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Noch näher liegt es, die kühnsten Erwartungen über das, was sich damals hinter den Laufstegen und in den Fotostudios abgespielt hat, zu übertreffen - und damit einen Bestseller zu landen, mit dem man etwas für den Lebensabend zur Seite legen kann: Schon vor der Veröffentlichung letzte Woche war „Have I Said Too Much? My Life in and out of the Model Agency“ (Habe ich zu viel verraten? Mein Leben in und abseits der Modelagentur) der Verkaufsschlager aus dem Bereich Memoiren/Autobiografie auf dem britischen Buchmarkt.

432-seitige Zeitreise in die Sorglosigkeit

Die 432 Seiten sind eine Zeitreise in das Herz der 90er Jahre mit ihrer heute anachronistischen „Was kostet die Welt“-Sorglosigkeit. White erwarb sich ihren Spitznamen als „Mama“ der Supermodels nicht von ungefähr. Sie betreute alle großen Namen des Business in Europa, und das von Anfang an: Naomi Campbell, Cindy Crawford, Christy Turlington, Claudia Schiffer, Linda Evangelista und viele andere mehr. Für White selbst war das erste Supermodel allerdings Susie Bick, heute Schauspielerin und Muse sowie Ehefrau des Sängers Nick Cave.

Linda Evangelista, Cindy Crawford, Naomi Campbell und Christy Turlington, 1991

picturedesk.com/Rex Features/Paul Massey

Evangelista, Crawford, Campbell und Turlington auf einer Versace-Schau 1991

Bick war hübsch (wie viele vor ihr) und als Model daher gefragt (wie viele vor ihr). Eines machte sie aber anders als alle vor ihr: Sie verwandelte ihre Eskapaden in Eigen-PR. Voller Bewunderung zeigte sich etwa der britische „Guardian“ in einer Buchrezension über die Anekdote, dass Bick selbst ein Topmodel anheuerte, um ihr eine Nacht lang in der Disco die Handtasche zu halten. Die Taktik ging auf: Absurde Sonderwünsche und geradezu obligatorische Unverlässlichkeit bedeuten auf dem Modelmarkt eine Reduktion des Angebots, also, wenn man es richtig anstellt: steigende Nachfrage.

Privatjets und tibetische Kerzen

White offenbart in dem Buch, wie sehr die Kapriolen der Models auch auf Berechnung beruhten. Als etwa einmal alle Terminpläne zusammenzubrechen drohten, mietete White für ein Model einen Privatjet. Bei 17.000 Pfund (nach heutigem Wert etwa 51.000 Euro) pro Auftrag, so White, sei das locker drin gewesen. Die vormals unübliche Reiseart sprach sich schnell herum. Die anderen Kolleginnen wollten nicht weniger wichtig scheinen - und schon war das Mieten von Privatjets zum neuen Standard im Geschäft geworden. Die Gagen stiegen in den Folgejahren auf bis zu 300.000 Pfund pro Auftrag.

Daneben konnten sich die Models aber tatsächlich erlauben, wonach ihnen gerade der Sinn stand - und das war laut White meist nichts Sinnvolles: Da gibt es etwa die Geschichte von einem namentlich nicht genannten Model mit Faible für Tibet, das bei einem Auftrag nicht um die Burg in die richtige Stimmung kommen wollte, bis es herausfand, was fehlte: eine bestimmte Art handgezogener tibetischer Kerzen. Und grün mussten sie sein. Das Mädchen bekam, was es wollte.

„Sie essen Tonnen. Und sie essen speziell.“

Wenn im Buch die dreckigste Schmutzwäsche gewaschen wird, fehlen Namen oder Andeutungen über die Identität der Models. Der Leser erfährt aber von Hollywood-Partys, bei denen persönliche Assistentinnen Hündchen retten mussten, die sich an „unbekömmlichen“ Substanzen gütlich getan hatten; von dem Auftrag, wegen Angst vor Dunkelheit die ganze Nacht in der Hotelsuite an der Seite des Models zu wachen, dabei aber keinesfalls die Toilette zu benützen; und von nächtlichen Ordern, eine Wagenladung Sexspielzeug in ein Londoner Hotel zu karren.

Einen erstaunlich breiten Raum im Buch nimmt das Essen ein, oder wie White selbst schreibt: „Das ganze Ding, dass Supermodels nicht essen? Blödsinn. Sie essen Tonnen. Und sie essen speziell.“ Das bedeutet in einem Fall etwa ein Faible für weiche Eier - und die Episode von einem Zornausbruch gegenüber dem Piloten eines, richtig, Privatjets, als ein Ei sich als etwas zu hart gekocht entpuppte. In einem anderen Fall musste es Curry vom Lamafleisch sein, und das beim Start einer Maschine auf dem Mailänder Flughafen.

Lieber zickig als desinteressiert?

Zumindest hätten die damaligen Models aber den Willen zum Erfolg gehabt, so White. Heute könne man einem Model versprechen: „Du kannst die Welt sehen, Geld verdienen, eine Sprache lernen, am Ende vielleicht in New York oder Paris wohnen und vielleicht sogar mit Leonardo DiCaprio schlafen“ - und trotzdem auf Desinteresse stoßen. Die Models damals seien vielleicht zickig gewesen, aber sie hätten ihren Beruf mit Herz und Seele gelebt. Mit dem Arbeitsethos ihrer Nachfolgerinnen wiederum gebe es ein Problem: „Da gibt es keinen.“

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