Ein Gentleman genießt und singt
Was vor vier Jahren als Musiktheaterprojekt in Wien begonnen hat, kommt nun ins Kino: Michael Sturmingers „Casanova Variations“ ist das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung mit Memoiren von Giacomo Casanova. Wieder schlüpft Hollywood-Star John Malkovich in die Rolle des in die Jahre gekommenen Lüstlings, dessen Lebensgeschichte Dirigent Martin Haselböck mit Musik aus dem Fundus der Mozart-Da-Ponte-Opern illustriert hat.
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Casanova kennt in dieser Mischung aus Historien-Biopic, Live-Oper und Fake-Dokumentation kein schlechtes Gewissen. Sein Credo lautet Viva la liberta - es lebe die Freiheit. Wiederholung tötet. Variationen - von Frauen, Sexualpraktiken und Aufenthaltsorten - halten jung und am Leben. Dementsprechend fast nostalgisch blickt Casanova in „Casanova Variations“ im Alter von 70 Jahren auf die Highlights seines Verführerlebens zurück.
Er erinnert sich an Frauen, die er doch noch in derselben Sekunde vergaß, in der er ihnen versprach, das nie zu tun. Er denkt an das 14-jährige Mädchen, das seinetwegen ins Kloster gesperrt wurde, an all die verheirateten Frauen und die gar nicht väterliche Liebe zu seiner Tochter. Doch er ist noch nicht bereit, auf eine letzte Liebe zu verzichten, und wenn er seine wertvollen Memoiren dafür eintauschen muss.
Die Hits aus Mozarts Opernkiste
Als Basis für Stück und Film zog Regisseur und Autor Michael Sturminger die von Giacomo Casanova ab 1790 verfassten mehrere tausend Seiten umfassenden Lebenserinnerungen „Histoire de ma vie“ heran. Sturminger stellt dem gealterten Verführer die deutsche Schriftstellerin Elisa von der Recke (Veronica Ferres) zur Seite, die ein reges Interesse an seinen Memoiren zeigt - und Casanova natürlich gleichzeitig unsterblich verfallen ist.
Über dieses dramaturgische Skelett spannte Martin Haselböck als musikalischer Leiter und Dirigent eine Hülle aus Opernarien der Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und seinem Librettisten Lorenzo da Ponte. „Don Giovanni“, „Cosi fan tutte“ und „Le nozze di figaro“ dienten dem Originalklangexperten Haselböck als herrliche Fundgrube für Musikstücke, die zu Casanovas Liebe und Leid passen.

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Gesungen wird quasi ein Best-of aus den Mozart-Da-Ponte-Opern
Kein Wunder: Nicht nur sah sich Casanova (ein Zeitgenosse Mozarts und Da Pontes) verschiedener Überlieferungen zufolge als Vorbild für „Don Giovanni“, auch in den anderen Opern findet sich passendes Material, wenn es in irgendeiner Form um Liebesverwirrungen, -schwüre und -kummer geht.
Einsatzteam mit Opernstimme
Die erzählte Handlung doppelt und überlagert sich permanent zwischen den Ebenen, wechselt vom historischen Epochenfilm, angesiedelt in einem böhmischen Schloss im 19. Jahrhundert, zu einer Opernaufführung auf der Bühne der Lissabonner Oper im Jahr 2013. Damit nicht genug: Beide Erzählstränge verschwimmen immer wieder mit einer dritten Ebene, einer Art Doku rund um die Aufführung, in der sich Malkovich wiederum selber als Hollywood-Star hinter der Bühne interpretiert.
Wo es den Schauspielerin - neben Malkovich und Ferres ist unter anderen auch Fanny Ardant an Bord - an sängerischen Fertigkeiten fehlt, doppeln sich deren Rollen, und ein hochkarätiges Sängerensemble springt ein. Allen voran der österreichische Bassbariton Florian Boesch, der als Malkovichs Alter Ego wie schon in der Musiktheaterproduktion hier erneut darstellerisch wie musikalisch brilliert. Andere Opernstars glänzen mit kleinen Auftritten, wie etwa Jonas Kaufmann, der sich als Graf Branicki mit Casanova duelliert.
Während die Sänger die Szene beherrschen, bleiben die Darsteller nicht untätig: Die Damen schmachten primär Casanova an, tuscheln kichernd, zupfen sich an den Stoppellocken und klimpern mit den Wimpern. Malkovich schmust sich derweil an ihren Hälsen entlang oder singt (neben seinem Alter Ego Boesch stehend) einfach mit. Erhebt er doch einmal alleine die Stimme, klingt sein Italienisch mindestens genauso sympathisch-holprig wie sein Gesang.

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Auch Opernstar Jonas Kaufmann hat einen Gastauftritt
Stolpern zwischen Spaß und Ernst
Mit dem Drehbuch ist Sturminger, gemeinsam mit Koautor Markus Schleinzer zumindest sprachlich ein Meisterstück gelungen. Poetisch und witzig verblüfft die Charakterzeichnung Casanovas, der in blumigen Worten seine ganz eigene Weltsicht erklärt. Weniger gut funktioniert dagegen die Verschränkung der Ebenen. Zwar sind die Übergänge bildlich gut gelungen (Kamera: Andre Szankowski), die Dramaturgie ist aber häufig verwirrend, die Stringenz bleibt auf der Strecke. Das Potpourri aus Historienfilm, Oper und Handlung hinter den Kulissen vermag zu keiner homogenen Einheit zu werden und hat vor allem im zweiten Teil so seine Längen.
Filmhinweis:
„Casanova Variations“ ist ab Freitag im Kino zu sehen.
Mit dem Ende des vom ORF koproduzierten Films ist dann aber auch Casanova am Ende seines Lebens angekommen. Quasi aus dem Sarg heraus singt er seinen letzten Minnesang - „Deh, vieni alla finestra“ („Feinsliebchen, komm ans Fenster“) - und Ferres illustriert das mit sehnsuchtsvollen Blicken aus der Kutsche. Ob Elisa von der Recke die Antworten gefallen haben, die sie gefunden hat bei ihrer Suche nach dem Mann hinter der Fassade? Casanova selbst bleibt süffisant-indifferent: „Welche Antwort erwarten sie von einem Gentleman?“
Sophia Felbermair, ORF.at
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