Österreich sieben Monate im Abseits
Die im Jahr 2000 von den EU-Partnern verhängten Sanktionen sind der dramatischste Akt in 20 Jahren EU-Mitgliedschaft Österreichs. Die gemeinsame Reaktion der 14 Länder sollte den Regierungseintritt der Haider-FPÖ verhindern. Dieses Ziel verfehlten sie. In Österreich wurden sie vielfach als Angriff der EU auf das ganze Land wahrgenommen. Einen Einfluss hatten sie über Österreich hinausgehend.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Von „Sanktionen“ war seitens der EU-Staaten offiziell nicht die Rede, auch die EU-Kommission hielt normale Arbeitsbeziehungen zur schwarz-blauen Regierung aufrecht. „Die Regierungen der 14 Mitgliedsstaaten werden bilaterale offizielle Kontakte auf politischer Ebene mit einer österreichischen Regierung, welche die FPÖ einschließt, nicht fördern oder akzeptieren“, hieß es in der Erklärung der portugiesischen Ratspräsidentschaft vom 31. Jänner 2000. Österreichische Kandidaten wurden für Posten in internationalen Organisationen nicht unterstützt, österreichische Botschafter in den EU-Hauptstädten nur auf technischer Ebene empfangen.
Bisher beispiellose Maßnahmen
Die Sanktionen blieben eine bisher einmalige und improvisierte Aktion in der Geschichte der europäischen Integration, welche letztlich auch die EU-Partner in Verlegenheit brachte. In Österreich lösten sie vielfach einen Solidarisierungseffekt mit der ÖVP-FPÖ-Koalition aus, die ihrerseits um einen „nationalen Schulterschluss“ bemüht war. Nach einem Weisenratsbericht, welcher die FPÖ zwar als „rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen“ qualifizierte, aber festhielt, „dass die österreichische Regierung für die gemeinsamen europäischen Werte eintritt“, hoben die 14 EU-Partner ihre Maßnahmen am 12. September 2000 auf.
Weder Silvio Berlusconi, der 2001 eine Regierung mit den Neofaschisten in Italien bildete, noch Viktor Orban, der zehn Jahre später in Ungarn seine umstrittenen Verfassungsreformen durchzog, mussten ähnliche Maßnahmen fürchten.
Weisenrat beurteilte Wirkung als kontraproduktiv
Der Weisenrat unter dem Vorsitz des finnischen Ex-Präsidenten Martti Ahtisaari beurteilte die Aktion der EU-14 durchaus differenziert. Die Maßnahmen hätten „nicht nur in Österreich, sondern auch in den anderen Mitgliedsstaaten das Bewusstsein für die gemeinsamen europäischen Werte gestärkt“, stellte das Gremium fest. Es empfahl letztlich die Aufhebung der diplomatischen Isolation Österreichs wegen ihrer kontraproduktiven Wirkung. „Die Maßnahmen haben schon jetzt nationalistische Gefühle im Land geweckt, da sie in manchen Fällen fälschlicherweise als Sanktionen verstanden wurden, die sich gegen die österreichischen Bürger richten.“
Um für künftige Fälle besser gewappnet zu sein, empfahl der Weisenrat, das seit 1997 bestehende Verfahren bei schweren und anhaltenden Grundrechtsverstößen nach Artikel 7 grundlegend zu überarbeiten, was auch geschah: Seit dem 2003 in Kraft getretenen Vertrag von Nizza sieht Artikel 7 ein Anhörungsrecht für den betroffenen Staat vor. Um festzustellen, „dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ besteht, reichten fortan vier Fünftel der EU-Staaten, vorher wäre noch ein einstimmiger Beschluss nötig gewesen - natürlich ist das betroffene Land dabei nicht stimmberechtigt.
Orban-Regierung als diplomatische Herausforderung
Gerade der Konflikt zwischen der EU und Ungarn um Orbans umstrittene Verfassungsreformen hat aber gezeigt, dass Artikel 7, der in letzter Konsequenz bis zum Entzug der Stimmrechte des betroffenen Landes per Mehrheitsbeschluss im EU-Rat führen kann, in der Praxis nicht ausreicht. Sowohl das Europaparlament als auch die damalige Justizkommissarin Viviane Reding drohten Orban mit dieser „Atombombe“, machten aber nicht von dem Verfahren Gebrauch. Letztlich führte Ungarn nach Vertragsverletzungsverfahren und auf politischen Druck der EU hin Änderungen an seinem Mediengesetz durch und hob die strittigsten Verfassungsbestimmungen wieder auf.
Frühwarnsystem in drei Stufen
„Was uns fehlt, sind besser entwickelte Instrumente, um die Lücken zwischen der ‚soft power‘ der politischen Überredungskunst, der Rolle der Kommission als Hüterin der Verträge und der ‚nuklearen Option‘ von Artikel 7 zu schließen“, sagte die damalige Justizkommissarin Reding. Im Lichte der Erfahrungen mit autoritären Tendenzen in Ungarn und Rumänien und nach Aufforderungen Deutschlands, Dänemarks, Finnlands und der Niederlande machte Reding im März einen Vorschlag für ein Frühwarnsystem gegen „systemische Bedrohungen“ der Rechtstaatlichkeit in den EU-Staaten.
Es soll ohne neue Vertragsbestimmungen auskommen und sieht drei Stufen vor: Die Kommission soll zunächst die Lage beurteilen und mit einem Land in Dialog treten, dann eine Empfehlung abgeben und schließlich bei Verzug eine weitere Empfehlung abgeben, die den Weg zum Artikel-7-Verfahren ebnen kann. Ob die Juncker-Kommission den Plan weiterverfolgt, ist offen. Im EU-Ministerrat wurde die Initiative im November verwässert. Die EU-Staaten wollen regelmäßig ein- oder zweimal im Jahr über Rechtsstaatlichkeit debattieren, wie der amtierende Ratsvorsitzende, Italiens Europastaatssekretär Sandro Gozi, sagte. Ziel sei „ein konstruktiver Dialog unter den Mitgliedsstaaten, um die Risiken einer Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit eher zu verhindern als anzusprechen“.
Link: