Tausende Gefangene in 13 Jahren
„Mit 10. Dezember 2014 unterhält das Verteidigungsministerium in Afghanistan keine Gefängnisse mehr und behält keine Gefangenen mehr in Haft“, hat das Pentagon kürzlich verlautbart. Die Vollzugsmeldung mag sich simpel geben - die Problematik dahinter war es nicht. Die Frage der Gefangenen in US-Haft wurde für die USA zu einer der größeren Aufgaben vor dem Ende des Kampfeinsatzes am Hindukusch.
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Eingeholten Fahnen, feierlichen Reden und militärischem Zeremoniell zum Trotz: Die Schließung der afghanischen Kommandozentrale der amerikanischen und NATO-Truppen war nicht der letzte Akt der US-Mission am Hindukusch. Die USA und Afghanistan regelten in mehreren Abkommen nicht nur, wie viele US-Soldaten zukünftig im Land bleiben dürfen. Die Vereinigten Staaten willigten auch ein, ab 1. Jänner niemanden mehr auf afghanischem Boden in Haft zu halten. 13 Jahre nach dem Beginn der US-Offensive mussten sich die USA damit einem Problem stellen, das tief in die Geschichte des Afghanistan-Krieges zurückreicht.
Haft ohne Anklage und Prozess
Hunderte Aufständische und mutmaßliche Terroristen hatten US-Truppen in den Jahren nach ihrem Einmarsch im Herbst 2001 gefangen genommen. Viele von ihnen landeten in einem Gefangenenlager auf dem Luftwaffenstützpunkt Bagram, der größten US-Militärbasis in Afghanistan. Zu Hochzeiten hielt die Armee in dem Komplex über 600 mutmaßliche Taliban- und Al-Kaida-Kämpfer fest - ähnlich wie in Guantanamo auf Kuba und Abu Ghraib im Irak ohne Anklage und Prozess. Und wie in den beiden anderen Gefangenenlagern soll es auch in Afghanistan zu schweren Misshandlungen und Folter gekommen sein.
Im November 2009 wurde das Militärgefängnis unter dem Namen Haftanstalt Parwan in einen neuen Komplex außerhalb der Militärbasis verlegt. Im März 2012 einigten sich die USA und Afghanistan auf die Übergabe des Gefängnisses an die afghanischen Behörden. Präsident Hamid Karzai hatte die Übernahme aller US-Gefängnisse in Afghanistan zu einer Voraussetzung für eine Partnerschaft der beiden Staaten nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen gemacht. Ein Jahr später waren alle der insgesamt über 3.000 Gefangenen im Land an die afghanischen Behörden übergeben - ausgenommen rund 50 Insassen im Bagram-Gefängnis. Die Männer ohne afghanische Staatsbürgerschaft blieben weiterhin unter Aufsicht der US-Armee.
Noch Dutzende Ausländer in Haft
Je näher das Ende der US-Mission kam, desto dringender wurde in den vergangenen Monaten die Frage, was mit den inhaftierten Ausländern in dem Lager nördlich von Kabul geschehen soll - wenn die Möglichkeiten auch begrenzt waren: Sie könnten in ihre Heimatländer überstellt, der US-Justiz vorgeführt oder nach Guantanamo gebracht werden, sagte ein Kommandant des Militärlagers in Bagram im September.
Erst im November wurde der russischstämmige Irek Hamidullin für ein Gerichtsverfahren aus Bagram in die USA überstellt. Der mutmaßliche Taliban-Kämpfer blieb aber die Ausnahme. Bei den restlichen Inhaftierten - die Nachrichtenagentur Reuters spricht von mehreren Dutzend - verfolgten die USA offensichtlich eine andere Strategie: „Im Moment bearbeiten wir gerade alle Fälle von Gefangenen aus Drittstaaten in Afghanistan und senden sie in ihre Heimatländer zurück“, sagte eine Sprecherin der US-Botschaft vergangene Woche gegenüber Reuters.
Dafür brauchen die USA allerdings die Zustimmung der Herkunftsländer. Zumindest bei zwei Inhaftierten dürfte sich Tunesien gegen die Pläne der USA gesperrt haben - und die Vereinigten Staaten damit zu einer Art Notlösung gedrängt haben. Die Gefangenen seien den afghanischen Behörden übergeben worden, so das Pentagon am Mittwoch. Bisher hatten sich die USA stets gegen diese Möglichkeit gesperrt.
Ohne Beteiligung Afghanistans
Einfacher dürften sich die Verhandlungen mit Pakistan gestaltet haben. So war vergangenes Wochenende nicht nur der scheidende Verteidigungsminister Chuck Hagel ein letztes Mal zu Besuch in Kabul. Die USA überstellten am gleichen Tag auch drei Gefangene aus Bagram nach Pakistan. Einer davon war laut pakistanischen Angaben Latif Mehsud. US-Truppen hatten den ehemaligen stellvertretenden Führer der pakistanischen Tehrik-i-Taliban (TTP) im Oktober 2013 gefangen genommen.
„TTP-Kommandant Latif Mehsud wurde gemeinsam mit seinen Leibwächtern an die pakistanischen Behörden übergeben“, sagte ein pakistanischer Sicherheitsbeamter am Sonntag. Das US-Militär bestätiget zwar, dass es am Samstag drei Gefangene an Pakistan übergeben habe, wollte deren Identität aber nicht preisgeben. Dafür hielt das US-Militär in einer Stellungnahme fest, dass Afghanistan bei der Aktion am Samstag „nicht involviert war“. Nazifullah Salarzai, der Sprecher des neuen afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani, sagte am Sonntag: „Wir versuchen, Informationen zu bekommen, wie es dazu kam.“
Verstimmung über Gefangennahme
Die USA und Pakistan mögen für die bilaterale Aktion gute Gründe gehabt haben. Sorgte die Gefangennahme Mehsuds vor einem Jahr doch für dicke Luft zwischen Afghanistan und den beiden Staaten. Ein Sprecher Karzais beschwerte sich damals gegenüber der „Washington Post“ über die US-Aktion, sei Mehsud doch mit einem Konvoi afghanischer Geheimdienstmitarbeiter zu Friedensverhandlungen unterwegs gewesen. Das wiederum sorgte für Verstimmung in Pakistan. Islamabad verdächtigte Karzai, im Geheimen die TTP in ihrem Kampf gegen die pakistanische Regierung zu unterstützen. Ebenso beschuldigte freilich auch Kabul immer wieder Pakistan, aufständische afghanische Taliban zu unterstützen.
Neues Kapitel aufgeschlagen
In jüngster Zeit wirkt die Lage zwischen den beiden Staaten allerdings deutlich entspannter. Das dürfte zu großen Teilen am neugewählten afghanischen Präsidenten Ghani liegen. Entgegen seinem Vorgänger Karzai setzt Ghani verstärkt auf die Zusammenarbeit mit dem südöstlichen Nachbarn. Er besuchte im November Islamabad, stimmte dem Training afghanischer Truppen durch Pakistan zu und kündigte an, hohe Posten im afghanischen Militär neu zu besetzen.
Pakistan ging im Gegenzug verstärkt gegen das Hakkani-Netzwerk vor - eine mit den afghanischen Taliban verbündete Extremistengruppe. Und im Nordwesten des Landes zwang Islamabad - unterstützt durch US-Drohnenangriffen und den Aufstand eines pakistanischen Stammes - Extremisten zum Rückzug. Am vergangenen Wochenende tötete das pakistanische Militär nach eigenen Angaben darüber hinaus den Al-Kaida-Kommandanten Adnan el-Shukrijumah. Er soll für einen versuchten Anschlag auf die New Yorker U-Bahn im September 2009 verantwortlich sein.
Ghani habe eine neues Kapitel zwischen Pakistan und Afghanistan eröffnet, zitiert der „Guardian“ den Analysten Zahid Hussain. „Seit er an der Macht ist, macht Kabul nicht länger Pakistan für alles verantwortlich, was schiefläuft, obwohl die Angriffe der Taliban deutlich zugenommen haben“, sagt Hussain. Über 4.500 afghanische Soldaten und Polizisten kamen allein in diesem Jahr bei Kämpfen mit und Anschlägen durch die Extremisten ums Leben. Aufseiten der internationalen Truppen waren es rund 3.500 - in 13 Jahren.
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