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Gift im Meer und vertrocknende Oasen

Der Abbau von Phosphaten hat in Tunesien eine über 100 Jahre alte Tradition. Nach der Revolution 2011 kann das Land die Deviseneinnahmen daraus auch besser brauchen denn je. Immer größer werdende Probleme für Mensch und Umwelt haben dabei offenbar Nachrang.

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Laut Angaben der staatlichen Compagnie des phosphates de Gafsa (CPG) produziert Tunesien heute mehr als acht Millionen Tonnen Phosphate pro Jahr. Mittlerweile wird der Großteil davon im Land von der Groupe Chimique Tunisien (GCT) verarbeitet, hauptsächlich zu Kunstdünger, aber auch Industriechemikalien, etwa Phosphorsäure. Schon die Produktpalette legt nahe: Ohne entsprechende Investitionen in Umweltschutz und Sicherheit kein sauberes Geschäft. Tatsächlich sei es ein ziemlich „schmutziges“, befand der britische „Economist“ kürzlich in einer Reportage.

Bewohner der Region um die Stadt Metlaoui (Gouvernement Gafsa) in Zentraltunesien, in der die größten Minen liegen, machten die Phosphatindustrie für massive Umweltschäden, aber auch das Auftreten von Krankheiten verantwortlich. Auch die neue Regierung unternehme, offensichtlich aus Angst vor sinkenden Profiten, nichts dagegen.

Gelbe Nebel und Geruch von faulen Eiern

Dabei machten sich die „Nebeneffekte“ des Phosphatbooms - laut CPG zählt Tunesien zu den Top fünf der Produzentenländer weltweit - mehr als deutlich bemerkbar. Rund um die Anlagen lägen ein gelber Gasnebel und der Geruch von faulen Eiern in der Luft. An der Küste, wo das „gewaschene“ Rohmaterial weiterverarbeitet wird, ließen die Raffinerien „schwarze Ströme von leicht radioaktivem Gesteinsabfall direkt ins Meer“ fließen.

Der Staub aus dem Tagebau werde - angesichts der häufigen Sandstürme in der Region nicht überraschend - kilometerweit in der Landschaft verweht. Phosphatlager enthalten sehr oft auch giftige oder radioaktive (Schwer-)Metalle, darunter Uran.

Frage nach Folgen für Mensch und Umwelt tabu

Umweltschützer und Mediziner sähen die Phosphatindustrie konkret als Verursacher einer Häufung von Fällen von Krebs, Lungenerkrankungen und Unfruchtbarkeit bei Männern in den Gouvernements Gabes und Gafsa an der Mittelmeerküste und in Zentraltunesien, berichtete der „Economist“.

Phosphatabbau in Metlaoui

Fotolia/fannyes

Tagebau in Metlaoui, dem Zentrum des tunesischen Phosphatbooms

Die Regierung habe sich die Frage nach einem möglichen Zusammenhang bisher nicht gestellt. Lokale Ärzte, die sich diese Frage laut zu stellen trauten, würden unter Druck gesetzt bzw. würden ihnen von offizieller Stelle rechtliche Schritte angedroht. Dabei sei ein Zusammenhang evident, nachdem zahlreiche Arbeiter aus dem Bergbau über schwere gesundheitliche Spätfolgen klagten.

Bergwerke graben Oasen Wasser ab

Ein weiterer Nebeneffekt des Phosphatbooms: Er gräbt den Oasen sprichwörtlich das Wasser ab. Zwar wird das (in großen Mengen) zum Waschen des mineralhaltigen Gesteins benötigte Wasser laut CPG mittlerweile wiederverwendet, aber nur zu 60 Prozent. Da Wasser in der Halbwüstenregion rar ist, vertrockneten immer mehr Felder. Die Palmenoasen von Gabes seien praktisch vom Verschwinden bedroht.

Die GCT habe versprochen, keine kontaminierten Abwässer aus den Produktionsanlagen in der Küstenstadt Sfax mehr ins Meer einzuleiten, und stattdessen Klärschlämme auf Deponien im Landesinneren zu entsorgen, aber dafür fehlt anscheinend das Geld. Einerseits sei dafür der große Wettbewerbsdruck in der Branche, etwa gegenüber dem Konkurrenten Marokko, verantwortlich.

Andererseits fehle es sowieso hinten und vorne an den notwendigen finanziellen Mitteln. Ein namentlich nicht genannter Angestellter im Hauptquartier der GCT in Tunis sagte dem britischen Wirtschaftsmagazin: Wenn sich die Menschen „in den Gouvernements Kef oder Gafsa oder Kasserine nichts zu essen leisten“ könnten, könne der Staat „nicht Geld, das er nicht hat, dazu verwenden, Gabes sauber zu machen“.

Nicht nur Umweltzeitbombe tickt

Allerdings werde an der Sanierung der Umweltlasten langfristig kein Weg vorbeiführen, schon allein aus wirtschaftlichen Gründen, wie Ghzela Mhamdi, Beamtin im tunesischen Finanzministerium, gegenüber der britischen Wochenzeitschrift erklärte: „Nach der Revolution, als die Arbeiter zu streiken begannen und die Produktion zurückging, hat die ganze Wirtschaft gelitten.“ Selbst in Gafsa aufgewachsen, warnt sie davor, dass immer mehr Menschen aus der Region im Landesinneren an die Küste abwandern würden, wenn sich die Lebensbedingungen im Landesinneren nicht besserten. Das würde das Wohlstandgefälle im Land noch steiler machen - eine Verstärkung der ohnehin übersehbaren sozialen Spannungen inklusive.

Gafsa war 2008 noch lange vor der „Jasmin-Revolution“ und dem Sturz des autoritären Langzeitmachthabers Zine ben Abidine Ben Ali im Jahr 2011 Zentrum sozialer Unruhen, die von der Regierung unterdrückt wurden. 2011 kam es in der Region zu monatelangen Streiks, die die Phosphatindustrie lähmten, bei Unruhen kamen mehrere Menschen ums Leben. Die Produktion brach um die Hälfte ein.

Mittlerweile wird wieder mehr Phosphatgestein abgebaut, doch davon haben wiederum die Bewohner der betreffenden Gebiete aus ihrer Sicht nichts, die Infrastruktur ist trotz des Phosphatbooms unterentwickelt, Arbeitsplätze gibt es außerhalb des Bergbaus zu wenige. Immer wieder gab es auch Vorwürfe an die Gewerkschaften, Arbeitsplätze würden je nach Stammeszugehörigkeit vergeben.

Ein Boom mit zwei Seiten

Laut einer Reportage von Radio France Internationale vom Sommer beträgt die Arbeitslosenrate in der Stadt Metlaoui im Zentrum der Bergbauregion 23 Prozent. Für die Bewohner sei der Phosphatabbau „Quelle von Reichtum“ und „Fluch“ zugleich. Die Bevölkerung im Gafsa-Becken nördlich des großen Salzsees Chott el Djerid fühle sich angesichts ihres Beitrags zum Wohl des Landes von der Zentralregierung in Tunis vernachlässigt, hieß es in einer weiteren Reportage des Schweizer Fernsehens (SRF) vom Frühjahr. Drei Jahre nach dem Sturz Ben Alis gäre es dort auch unter der neuen Regierung immer noch ähnlich wie unter dem alten, dem ersten „Opfer“ das „arabischen Frühlings“.

Erschließung begann vor über 100 Jahren

Die Erschließung der tunesischen Phosphatlagerstätten begann bereits 1899 unter der französischen Kolonialmacht, nachdem die Vorkommen 1885 entdeckt worden waren. Zum Transport der Mineralien an die Küste nach Sfax wurde durch die Compagnie des phosphates et du chemin de fer de Gafsa eine rund 200 Kilometer lange Bahnstrecke errichtet. Laut „Economist“ erwirtschaftete die GCT im Jahr 2011 als drittgrößtes Unternehmen Tunesiens einen Jahresumsatz von rund 1,2 Mrd. Dollar (über 960 Mio. Euro).

Ausgangspunkt des „arabischen Frühlings“

Tunesien war Ausgangspunkt des „arabischen Frühlings“, in dessen weiterem Verlauf autoritäre Regime zwischen Ägypten und Libyen gestürzt wurden. Ende 2010 kam es zu Massenprotesten gegen die Regierung Ben Ali, Unruhen breiteten sich über das ganze Land aus. Nach der Verhängung des Ausnahmezustands floh Ben Ali im Jänner 2011 nach 23 Jahren an der Macht nach Saudi-Arabien.

Auslöser der Revolution waren stark gestiegene Lebensmittelpreise, die hohe Arbeitslosenrate, aber auch Wut auf das korrupte Regime. Am 7. Februar 2014 erhielt Tunesien schließlich eine neue Verfassung, in der Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Gleichstellung von Mann und Frau und vor allem die strikte Gewaltenteilung zwischen Präsident und Regierung festgeschrieben sind.

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