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„Wer war wo der wirklich Allererste“

Auch wenn sich das Wetter zum Saisonauftakt wenig um die kommerziellen Interessen geschert hat - der Wintertourismus ist und bleibt wohl auch weiterhin zentrales Standbein der heimischen Wirtschaft. Gesetzt wird auf innovative Infrastruktur. Werbewirksames Zugpferd ist seit jeher aber auch der Verweis auf die Tradition, und hier kommt heuer eine Steilvorlage von der eidgenössischen Konkurrenz.

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Geht es nach der Marketingabteilung des Schweizer Nobelskiortes St. Moritz, steht jedenfalls außer Frage, dass es eben dieses Schweizer Bergdorf war, wo vor 150 Jahren nicht weniger als der gesamte Wintertourismus aus der Taufe gehoben wurde. Mit zahllosen Veranstaltungen, darunter „Nostalgiewochen“ und „Nostalgieskirennen“, Hochglanzpublikationen und einem aufwendig produzierten Film steht der Winter 2014/15 nun ganz im Zeichen der spätestens seit den 1950er Jahren als „die Wette“ bekannten Episode, die der Legende zufolge im Sommer 1864 ihren Anfang nahm.

Historische Aufnahme von Curling auf dem Eisfeld Naehe Obersee in Arosa in der Schweiz

Switzerland Tourism/swiss-image.ch/Carl Brandt

Mit den ersten Wintergästen fand etwa auch Curling den Weg in die Alpen

Demnach war es der findige Hotelier Johannes Badrutt, der seine englischen Sommergäste mit einer Geld-zurück-Garantie zu einem Winterurlaub ins verschneite Engadin lockten konnte. Mit großer Skepsis zur Weihnachtszeit angereist, seien diese schließlich erst nach Ostern 1865 wieder heimgekehrt: „Braun gebrannt, erholt und glücklich“, und laut St.-Moritz-Website entdeckten „die ersten Wintertouristen der Alpen eine neue Welt: die weißen Winterferien“.

Die Anfänge des Wintertourismus werden im Jubiläumsbuch „Schnee, Sonne und Stars“ als „Produkt der ersten Globalisierung im späten 19. Jahrhundert“ bezeichnet und St. Moritz als das große „Vorbild für Stationen in Österreich oder in den USA“.

Davos feiert bereits seit 1885

Die touristische Pionierleistung gilt als unbestritten - die dank eines Kräuterzuckerlherstellers urschweizerisch anmutende Frage „Wer hat’s erfunden?“ lässt sich etwa aus Sicht der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) dann aber doch nicht so einfach beantworten. Auf der Suche, „wer nun wo genau der wirklich allererste Pionier war“, verliere man vielmehr schon einmal den Überblick. Das „kreative Marketing“ der Skiressorts fußt zudem auf handfesten geschäftlichen Interessen: „Tradition verkauft sich gut“ und ist laut „SZ“ auch eines der wenigen verbliebenen Mittel, „um sich irgendwie abzuheben von den gleichförmigen Angeboten“.

Historische Aufnahme eines Bobfahers in der Bobbahn in St. Moritz

ENGADIN St. Moritz/swiss-image.ch/M. Weintraub

Hoch im Kurs standen von Anfang an diverse Rodelsportarten

„Am besten, der Ort hat gleich den ganzen Wintersport erfunden. Oder zumindest das Skifahren“, so die Zeitung auch mit Verweis auf „die Wiege des Skisports“ St. Anton am Arlberg, wo laut dem Portal Arlberg-Insider sich Wintergäste ab 1885 erstmals auch als Skifahrer versuchten.

Im Schweizer Davos wurde in diesem Jahr bereits ein Jahrestag anlässlich der seit Februar 1865 bewirteten Winterkurgäste abgehalten - der unweit von St. Moritz gelegene Skiort feiert somit Anfang 2015 ebenfalls ein 150-Jahr-Jubiläum. Seit 1892 ist nach eigenen Angaben Kitzbühel im Geschäft, und geht es nach der Tiroler Wintersporthochburg kann „kein anderer Skiort in den Alpen auf eine derart lange wie erfolgreiche Skigeschichte verweisen“.

Briten als Abfahrtspioniere

Wintertouristische Pionierleistungen finden sich dennoch auch abseits der großen Schweizer und österreichischen Ressorts. Laut Schweiz Tourismus waren es etwa die Eisläufer, die den Wintersport einführten: „Bereits 1830 zogen Gäste und Einheimische begeistert ihre Kreise auf den zugefrorenen Seen.“ Nachdem unter anderem auch St. Moritz seine Gäste anfangs etwa mit Eislaufplätzen, Curling- und Rodelbahnen bei Laune hielt, sollte es schließlich doch die aus Norwegen stammende Technik des Skilaufs werden, mit der der Wintertourismus zu dem wurde, was er heute ist.

Historische Aufnahme eines Skifahrers in der Schweiz

Switzerland Tourism/swiss-image.ch/Muerren

Skisport entpuppte sich schließlich als Erfolgsrezept für die Massen

Wann die ersten Skitouristen nach Norwegen kamen, bleibt zwar offen - rund um das größte Skigebiet des Landes, Trysil, wähnt man sich aber sicher, zumindest den ersten Skiclub der Welt für Langlauf im Jahr 1861 gegründet zu haben. Unter den vielen norwegischen Wintersportpionieren findet sich auch der Polarforscher und Friedensnobelpreisträger Fridjof Nansen, der 1891 mit seinem Buch „Auf Schneeschuhen durch Grönland“ auch hierzulande für Furore sorgte. Das in Skandinavien eingeführte und dort populäre „Schneeschuhlaufen“ gilt heute jedenfalls als der große Vorreiter des alpinen Skisports, und es waren auch importierte norwegische Ski, die bei den Alpin-Pionieren zunächst zum Einsatz kamen.

Historische Aufnahme von Tourengehern in St. Anton am Arlberg

TVB St. Anton am Arlberg

Auch in Österreich steht beim Wintertourismus der Blick auf die Tradition hoch im Kurs: Im Bild „Tourengeher vergangener Zeiten“ in St. Anton am Arlberg

Nach und nach etablierten sich diverse Disziplinen wie Abfahrt und Slalom, wobei deren Ursprung aus Sicht des Schweizer Fernsehens (SRF) zweifelsohne in Mürren im Berner Oberland und somit erneut in der Schweiz zu finden sei. Es waren aber weder die Eidgenossen noch Österreicher, sondern wagemutige, in den Alpen urlaubende Briten, die heute als die eigentlichen Erfinder gelten.

Bei Technik zählen Innovation und Größe

Anspruch auf eine Pionierleistung kommt indes auch aus Schollach im deutschen Hochschwarzwald, wo 1909 der weltweit erste Skilift seinen Betrieb aufgenommen haben soll. Einspruchsmöglichkeit hätte Vorarlberg, wo Skifahrer bereits zwei Jahre zuvor auf dem Dornbirner Hausberg Bödele mit einem bootsähnlichen Schlitten nach oben befördert wurden. „Wer hat’s erfunden?“ wird hier auch im Kanton Graubünden gefragt, wo auf einen „Mann mit Visionen“ verwiesen wird, „der als Erster das Potenzial motorgetriebener Aufstiegshilfen erkannte“ und in Davos 1934 „den ersten Skilift der Welt“ baute.

Spätestens bei technischen Belangen hält sich das Festhalten an der Tradition aber auch wieder in Grenzen. Für die Kernaktivität Skifahren wird vielmehr auf modernste Beförderungsanlagen und nicht zuletzt immer gefinkeltere Schneekanonensysteme - und damit den Versuch, sich gegen Wetterkapriolen abzusichern - gesetzt. Mit Skifahren allein ist es aber selbst bei ausreichend Schnee häufig nicht mehr getan. Legendentauglicher Spielraum für Pioniere erscheint im Wintertourismus somit auch lange nach Ankunft der ersten Gäste weiter gegeben.

Peter Prantner, ORF.at

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