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Schlag für russische Konjunktur

Die zweite massive Zinsanhebung in Russland binnen einer Woche hat die Talfahrt des Rubels zunächst nicht gestoppt. Im Devisenhandel an der Moskauer Börse kosteten Dollar und Euro Dienstagmittag noch einmal deutlich mehr als am Vortag, als der Rubel-Kurs um zehn Prozent eingebrochen war.

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Die Zentralbank hatte in der Nacht im Kampf gegen Währungsverfall und steigende Inflation den Leitzins um 6,5 Prozentpunkte auf 17 Prozent angehoben. In Wechselstuben kam es Medien zufolge teilweise zu Panikkäufen von Westgeld, weil viele Bürger einen kompletten Wertverfall wie in den 1990ern Jahren befürchteten. „Es schwirren Gerüchte herum, dass das Land in die Zustände des Krisenjahres 1998 zurückfallen könnte“, so Alena Afanasjewa vom Forex Club in Moskau.

Grafik zeigt Wert des Rubel in Euro-Cent seit Anfang 2014

ORF.at/APA

„Die Lage ist kritisch“

„Ohne eine politische Antwort und angesichts des sinkenden Ölpreises sind sämtliche Anstrengungen der Zentralbank, den freien Fall aufzuhalten, nutzlos“, sagte die Ökonomin Inna Muftejewa von Natixis. Regierungsschef Dimitri Medwedew setzte ein Treffen mit Ministern an. Präsident Wladimir Putin, der trotz aller Kritik des Westens in seinem Land weiter beliebt ist, äußerte sich vorerst nicht. Sein Sprecher Dimitri Peskow verwies darauf, dass die Regierung Medwedews für wirtschaftliche Fragen zuständig sei, nicht der Präsident. Putin dürfte sich aber spätestens am Donnerstag zum Rubel äußern, wenn er vor hunderten russischen und ausländischen Journalisten eine Rede hält.

„Die Lage ist kritisch“, sagt der Vizechef der Zentralbank, Sergej Schwezow, am Dienstag. Die Rubel-Krise spreche für einen massiven Vertrauensverlust der Investoren in die Wirtschaftspolitik der Regierung, klagte der frühere Finanzminister Alexej Kudrin.

„Überfällig und unzureichend“

Finanzexperten lobten den Zinsschritt als zwar „zwingend nötig“, nannten ihn aber auch überfällig und unzureichend. Unternehmer kritisierten, die Regierung rette das Finanzsystem auf Kosten der Wirtschaftsentwicklung. Zentralbank-Chefin Elwira Nabiullina sagte, dass der Zinsschritt vor allem gegen Währungsspekulanten gerichtet sei. Sie meinte, dass sich der unlängst dem freien Markt übergebene Rubel bald stabilisieren werde. Der Leitzins sei auch angehoben worden, um die Inflation zu zügeln.

Die Entscheidung der Zentralbank sei „richtig“ gewesen, meinte der frühere Finanzminister Alexej Kudrin. Der Rubel sei aber derzeit so schwach, weil insgesamt das Vertrauen in die russische Wirtschaft fehle. „Nach diesem Schritt müssen nun Entscheidungen der Regierung folgen, das Vertrauen der Investoren in die russische Ökonomie zu stärken“, sagte Kudrin.

Unternehmer kritisierten, dass der hohe Leitzins die Konkurrenzfähigkeit der russischen Wirtschaft gefährde. Für die ohnehin angeschlagene Konjunktur Russlands ist der Zinssprung ein Schlag, weil höhere Zinsen den privaten Verbrauch und die Investitionen der Unternehmen zusätzlich belasten dürften.

Ein Euro erstmals 100 Rubel wert

Nach der Zinsentscheidung hatte der Rubel Dienstagfrüh zunächst zugelegt. Im Laufe des Tages fiel der Kurs weiter. Erstmals mussten 100 Rubel für einen Euro und 80 Rubel für einen Dollar gezahlt werden. Der Verfall beschleunigte am Dienstag auch die Talfahrt an der Moskauer Börse. Der RTS-Interfax-Index brach bis zum frühen Nachmittag um 16,51 Prozent auf 599,76 Punkte ein. Schon am Vortag war es für den russischen Index um mehr als zehn Prozent bergab gegangen.

Russlands Rendite auf Zehnjahresanleihen wurde im Lauf des Dienstag immer teurer. Am Nachmittag notierten die Werte am Sekundärmarkt bereits bei 16,52 Prozent. Eine gute Stunde vorher waren es 15,55 Prozent gewesen, am Vortag noch 13,11 Prozent.

Die Zentralbank versucht seit Tagen vergeblich, mit einem Mix aus Leitzinsanhebungen und Devisenverkäufen den Rubel zu stabilisieren. Seit Anfang Dezember hat die Bank bisher knapp sechs Milliarden Dollar verkauft, um den Kurs zu stützen. Als Grund für die Rubel-Talfahrt nennen die Behörden neben Währungsspekulationen den niedrigen Ölpreis und das schlechte Investitionsklima wegen der Sanktionen des Westens gegen Russland aufgrund des Ukraine-Konflikts. Seit Jahresbeginn hat der Rubel bereits fast 60 Prozent seines Wertes zu Dollar und Euro verloren.

Putins Popularität bedroht

Der Ausblick für Russlands Wirtschaft hat sich seit dem Sommer merklich eingetrübt. Die Notenbank in Moskau schätzt, dass die Wirtschaft im kommenden Jahr um 4,5 Prozent schrumpfen dürfte, wenn der Ölpreis im Schnitt bei 60 Dollar pro Barrel (159 Liter) liegt. Auf diesem Niveau hatte sich der Preis bereits in den vergangenen Tagen bewegt.

Putin stellt die Entwicklung vor große Herausforderungen. Seine Popularität beruht nicht zuletzt auf dem Versprechen von Stabilität und Wohlstand. Die bisherigen Strafmaßnahmen des Westens schlagen aber stark auf die russische Wirtschaft durch. Die Konjunktur ist eingebrochen. Investoren ziehen Milliarden Dollar ab. Russische Firmen haben nur noch beschränkten Zugang zum internationalen Kapitalmarkt. Zudem macht Russland der um bald 50 Prozent eingebrochene Ölpreis schwer zu schaffen: Die Wirtschaft des Landes ist stark von Öl- und Gasexporten abhängig.

Neue US-Sanktionen rücken näher

In den USA dürften die Strafmaßnahmen gegen Russland demnächst verschärft werden. Laut den Plänen des US-Kongresses sollen neue Sanktionen russische Rüstungsfirmen und ausländische Investoren in der Ölindustrie treffen. Der Gesetzesentwurf liegt bei US-Präsident Barack Obama, er dürfte ihn noch diese Woche unterschreiben. Außerdem soll es grünes Licht für Waffenlieferungen in die Ukraine geben. Der US-Senat hatte am Samstagabend einstimmig den Ukraine Freedom Support Act gebilligt.

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