Hainburg und die Folgen
Es war nicht nur die Geburtsstunde der modernen Umweltbewegung in Österreich - einige Jahre nach der Verhinderung des Atomkraftwerks Zwentendorf. Bei einem Sternmarsch von rund 5.000 Umweltschützern in die Hainburger Au hat sich am 8. Dezember 1984 jene Protestbewegung formiert, die auf zivilem Weg das Kraftwerk Hainburg verhindern sollte.
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Für die damalige rot-blaue Regierung unter Bundeskanzler Fred Sinowatz (SPÖ) wurde die Auseinandersetzung um die Stopfenreuther Au zu einem Waterloo. Heute ist das ehemalige „Kriegsgebiet“ eingebettet in den Nationalpark Donau-Auen.
Der Stein des Anstoßes war der geplante Bau eines Donau-Wasserkraftwerkes in der unberührten Stopfenreuther Au rund 30 Kilometer stromabwärts von Wien entfernt. Hätte ein solches Projekt noch zehn Jahre zuvor kaum ernstlichen Widerstand seitens der Bevölkerung hervorgerufen, stieß der Plan 1984 auf einen aufkommenden grünen Zeitgeist, schreibt die Ökodatenbank Österreich.
Widerstand quer durch alle Lager
Der Widerstand ging quer durch alle politischen Lager und fand auch bei Künstlern und Schriftstellern breite Unterstützung. Gegen das Kraftwerk opponierten etwa Günther Nenning (SPÖ), Freda Meissner-Blau (damals SPÖ), Hubert Gorbach (damals FPÖ), Friedensreich Hundertwasser, Peter Turrini und Arik Brauer. Ein überparteiliches Personenkomitee wurde geschaffen, an dessen Spitze der Nobelpreisträger Konrad Lorenz stand.
Den Sprung ins Bewusstsein der Bevölkerung schafften die Opponenten mit einer fantasievoll inszenierten „Pressekonferenz der Tiere“ am 7. Mai 1984 im Presseclub Concordia. Nenning war als „roter Auhirsch“ verkleidet, der Wiener Stadtrat Jörg Mauthe (ÖVP) als Schwarzstorch, der Chef der FPÖ-Jugend und spätere Vizekanzler Gorbach als Blaukehlchen, Turrini als Rotbauchunke, Othmar Karas (ÖVP) kam damals als Kormoran.
Die Fronten zwischen Umweltschützern und Regierung blieben allerdings hart. Als der damalige niederösterreichische Umweltlandesrat Ernest Brezovsky einen Bescheid zugunsten des Kraftwerkbaus erließ, kam es zum Protest. Am 8. Dezember organisierte das „Konrad-Lorenz-Volksbegehren“ einen Sternmarsch in die winterliche Au. Auf einer Kundgebung auf der „Brückelwiese“ mit 8.000 Menschen wurde zum „gewaltfreien Widerstand“ aufgerufen. Einige Aktivisten blieben in der Au.
Als die ersten Bagger rollten
Im Morgengrauen des 10. Dezember rollten die ersten Bagger. Alle Bescheide waren vorhanden, es sollte gerodet und gebaut werden. Doch Naturschützer und Aktivisten boykottierten den Rodungsversuch. Wieder übernachteten einige in der Au. Dann gewann der zivile Ungehorsam plötzlich an Eigenbewegung. Obwohl die Regierung die Besetzer inzwischen von der Polizei vertreiben ließ, strömten immer mehr Menschen in die Au.
Die Österreichische Hochschülerschaft übernahm die Organisation: Shuttle-Dienste mit Bussen wurden eingerichtet, Schlafsäcke, Decken und Zelte zur Verfügung gestellt. Das Ausmaß der ständig in die winterliche Stopfenreuther Au strömenden Menschenmassen - zum Schluss waren es mehr als 3.500 Personen - überraschte selbst die Organisatoren, noch mehr die Politiker.
Anfangs ließ sich die Regierung davon nicht beeindrucken. Die Besetzer wurden als „Extremisten“ bezeichnet und mit Arrest sowie Geldstrafen bedroht. Am 18. Dezember drohte die Situation zu explodieren: Die Gewerkschaft Bau-Holz kündigte an, Aufmärsche von Arbeitern gegen die Naturschützer zu organisieren. In letzter Minute konnte die Regierung die Gewerkschaft davon abbringen, dafür wurde sie selber aktiv. Am 18. Dezember lautete die Parole unmissverständlich „Die Au wird geräumt“.
Eskalation am 19. Dezember
In den Morgenstunden des 19. Dezember kam es zur Eskalation: Neben der örtlichen Gendarmerie rückten Polizeieinheiten aus Wien in die Au ein. Insgesamt 2.000 Polizisten gingen nun auf teilweise brutale Weise mit Schlagstöcken und Wasserwerfern gegen die Naturschützer vor, zu rodende Waldgebiete wurden mit Stacheldrahtrollen gesichert.
Aus Protest gegen die brutale Räumung versammelten sich am Abend bis zu 40.000 Menschen aller Lager und Altersschichten auf der Wiener Ringstraße. Schließlich landeten noch Bilder von der brutalen Räumungsaktion in den Tageszeitungen. Die „Kronen Zeitung“ titelte auf Seite eins mit der Schlagzeile „Die Schande von Hainburg“, die Bildberichte schockierten das Land.
Regierung zieht die Notbremse
Die Bundesregierung zog daraufhin die Notbremse. Die Polizei wurde zurückbeordert, die Rodungen gestoppt. Drei Tage vor Weihnachten verkündete der damalige Bundeskanzler Sinowatz den „Weihnachtsfrieden“ von Hainburg. Im Jänner 1985 war das Kraftwerksprojekt endgültig gestorben. Der Verwaltungsgerichtshof hob infolge einer Beschwerde der Umweltschützer den Wasserrechtsbescheid für das Kraftwerk auf, womit der Bau die rechtliche Grundlage verlor. 1997 wurde das Gebiet in den Nationalpark Donau-Auen eingegliedert.