Ein belebendes Nebeneinander
Eine der Möglichkeiten, vom klassischen Seniorenwohnheim wegzukommen, sind generationenübergreifende Einrichtungen. Die Idee dahinter ist bestechend: Jung profitiert von Alt, Alt profitiert von Jung. Nur: Die Praxis zeigt, dass die Umsetzung nicht einfach ist.
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Betritt man das Kolpinghaus „Gemeinsam leben“, wähnt man sich in der Eingangshalle eines Hotels. Rezeption, Kaffeehausbereich mit runden Tischen und Fauteuils, dazu Säulen und insgesamt ein Hauch von Weitläufigkeit. Nur die Hotelgäste sehen nicht aus, als ob sie gerade Urlaub machen würden.
Es ist bereits das zweite Kolpinghaus, in dem verschiedene Gruppen zusammengewürfelt werden. Die Bezeichnung Generationenheim greift dabei zu kurz: 200 alte Menschen mit hohem Pflegebedarf, dazu eine Handvoll selbstständiger Senioren; einige Klienten, die noch nicht alt sind, aber Pflege brauchen; Frauen mit ihren Kindern, die momentan ohne Wohnung dastehen oder Opfer von Gewalt waren; und schließlich langzeitarbeitslose Jugendliche, die im Rahmen eines Praktikums herausfinden sollen, ob der Sozialbereich etwas für sie ist.

ORF.at/Zita Köver
Ein Herr zeigt sein kunstvolles Fotoalbum
Kein Wunder
Wunder darf man sich keine erwarten. Ein Wunder wäre es gewesen, wenn die Familien und die alten Menschen von selbst zusammengefunden hätten: Die Jungen kaufen für die Alten ein, die Alten passen am Nachmittag auf die Kinder auf. Am Abend sitzt man gemeinsam vor dem Fernseher. Es wird zusammengesessen: Die Frauen haben jemanden, mit dem sie ihr Schicksal teilen können. Die Alten haben jemanden, der ihnen zuhört, wenn sie von früher erzählen.
Aber so ist es nicht. Die Kinder sind am Nachmittag gar nicht zu Hause, sie bekommen von der öffentlichen Hand den Besuch eines städtischen Horts bezahlt. Eine Nachmittags- und Lernbetreuung gibt es im Haus selbst auch, aber die ist nicht städtisch. In ihr sind Schüler aus der Umgebung untergebracht. Die werden von ihren Betreuerinnen einmal in der Woche zum nachmittäglichen Spielen mit den alten Menschen aus dem Haus zusammengeführt. Ganz geheuer scheint ihnen das nicht, zumal manchen ihrer betagten Spielkameraden die Pflegebedürftigkeit deutlich anzumerken ist. Immerhin bedeutet es Abwechslung für die Älteren und eine wichtige Erfahrung für die Kids. Persönlich bekannt scheinen Jung und Alt einander hier jedoch nicht zu sein.

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Zwei Animateure unterhalten die Bewohner mit Rilke-Gedichten und Schlagern von Robert Stolz. Sie treten mit ihrem Publikum respektvoll in Kontakt.
„Fast schon Freunde“
Die Familien, die im Haus leben, sind auf alle Stockwerke verteilt, damit sie nicht unter sich bleiben. Es gibt hie und da spontanen Kontakt zwischen den Generationen, im Sinn von Plaudereien. Alles, was darüber hinausgeht, wird von Kolpingmitarbeitern organisiert. Feste werden gemeinsam gefeiert, es gibt eine Theatergruppe und Ausflüge. Und in den Gängen des Hauses geht es mitunter recht bunt zu. Da müssen sich die Älteren in Toleranz üben.
Herr S. hat Parkinson und sitzt im Rollstuhl. Gerne erzählt er davon, wie er 40 Jahre lang Kinder unterrichtete. Bis Juni half er noch Schülern, ihre Lesefähigkeit zu verbessern. Heuer lässt er aus, weil ihm der Weg zur Schule durch Wind und Wetter selbst mit einem Helfer zu beschwerlich wird. Aber bei der Theatergruppe macht er mit. Ansonsten liest er gerne oder plaudert mit seinen Bekannten im Heim, „fast schon Freunden eigentlich“, sagt er.

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Ein generationenübergreifendes „Mensch ärgere dich nicht“
Nicht jeder nimmt die Angebote der Betreuer an. Frau K. ist über 90 Jahre alt. Sie bleibt lieber für sich und verlässt nur selten ihr Zimmer. Von ihrer Familie erhalte sie Besuch, das sei schön. Ansonsten lese sie viel - und das ohne Brille. Frau K. wanderte als Jugendliche mit ihrer Familie aus Korea ein. Ihr Vater war Diplomat. Sie wohnte in einem Haus mit Garten. Später zog sie mit ihrem Mann, einem gebürtigen Wiener, in eine große Wohnung im ersten Bezirk. 60 Jahre waren die beiden verheiratet. Ihren charmanten Akzent hat sie über all die Jahre hartnäckig verteidigt.
Streit im Zimmer
Frau K. sagt, sie ist sehr zufrieden mit dem Heim. Das betont auch Herr S. Kritik übt er nur daran, wie Menschen hier zusammengewürfelt werden. Nach dem grundsätzlichen Schock, dass seine Angehörigen ihm nahegelegt haben, ins Altersheim zu gehen, folgte der nächste wegen seines Zimmergenossen. Die beiden hatten einen diametral entgegengesetzten Tag-Nacht-Rhythmus und waren sich nicht einig, was Besuche von Zimmerfremden betraf. Auch kulturell scheinen ihre Interessen weit auseinander gelegen zu sein.
Ein Segen sei es, endlich alleine in einem Zimmer zu wohnen. Einen Großteil seiner Bücher und seine Plattensammlung haben seine Verwandten zwar in Schachteln verpackt und in einer Garage endgelagert. Aber einige CDs hat er mit. Herr S. liebt neben der Literatur auch Musik über alles. In den Musikverein sei er immer so gerne gegangen und ins Konzerthaus, erzählt er mit leuchtenden Augen. Hier im Heim ist ihm das Theater ein großes Anliegen.
Ein Leben für Bücher
Herr S. würde sich wohl mit Frau W. gut verstehen. Die lebt in einer generationenübergreifenden WG der Österreichischen Jungarbeiterbewegung (ÖJAB) in Wien Meidling. Sie hat viele Jahre ihres Lebens in renommierten Erste-Bezirk-Buchhandlungen gearbeitet, bevor sie bei der ÖJAB als Altenpflegerin anfing. Seit ihrer Pensionierung betreut sie ehrenamtlich die Bibliothek eines ÖJAB-Seniorenheims. Und sie ließ sich überreden, in die neu gegründete WG einzuziehen.

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Bei Tisch in der Generationen-WG. In der Küche ist immer etwas los.
Ein großer Schritt - schließlich hatte sie viele Jahre lang mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann in einer weitläufigen Wohnung gelebt. Einer Wohnung, die großbürgerlich eingerichtet gewesen sein muss. Davon zeugen Möbel, die Frau W. der WG beigesteuert hat. So steht im gemeinsamen Aufenthaltsraum ihr Klavier. Ein paar Meter weiter hat sie Fotos von Urlauben und Festen aufgehängt, dazu Postkarten. Ein bisschen hat sie den großen Raum zu ihrem Wohnzimmer gemacht.
Der Schmäh rennt in der WG-Küche
Zu ihrem eigentlichen Zimmer gehört auch eine Toilette. Es ist das einzige Zimmer der WG mit eigenem Klo, was gleichzeitig der Grund dafür ist, warum Frau W. die einzige betagte Bewohnerin ist in einer Wohngemeinschaft mit insgesamt 29 Menschen. Für die Zukunft hat man bei der ÖJAB gelernt, dass alte Menschen als Minimum an Intimität eine eigene Toilette brauchen. Und dass 29 Bewohner zu viel sind. Und dass man bei ihrer Auswahl genauer hinschauen muss.
Denn momentan leben hauptsächlich Menschen in der WG, denen es vor allem um den billigen Wohnraum geht - Studenten, Jungfamilien, Flüchtlinge, finanzschwache Migranten. Man trifft sich in der Küche, zwischen den Studenten rennt der Schmäh, aber ein Generationenwohnen wie oben beschrieben - Stichwort „Wunder“ - ist weit und breit nicht in Sicht. Frau W. findet das schade. Und die Studenten eigentlich auch. Ohne Betreuung von außen wird das „Wunder“ also auch hier nicht wahr. Wieder keine Chance auf Kostenminimierung - dafür aber auf einen bereichernden Generationencocktail.
Simon Hadler (Text), Zita Köver (Fotos), beide ORF.at