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Das Beispiel Arbeitslosenrate

Die Reform des Mietrechts ist zumindest auf nächstes Jahr vertagt, in der Steuerreform macht der neue 99-Prozent-ÖVP-Chef Vizekanzler Reinhold Mitterlehner Tempo - und im nächsten Jahre stehen mehrere wichtige Urnengänge an, allen voran die Wien-Wahl. All das wirft Schatten auf den Ende nächster Woche stattfindenden SPÖ-Parteitag und bringt die Partei und ihren Frontmann, Parteichef Kanzler Werner Faymann, unter Erfolgsdruck.

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Traditionell bemisst sich der Erfolg eines Parteitags an dem Prozentsatz, mit dem der Parteichef gewählt wird. An das Ergebnis seines Koalitionspartners Mitterlehner wird Faymann hier nicht anschließen können. Ein Plus im Vergleich zum letzten Mal (83,4 Prozent im Jahr 2012) wäre symbolisch freilich gut, so der Politologe Peter Filzmaier, der die konkrete Bedeutung zugleich herunterspielt. Denn eine ernste Gefahr sei für Faymann nirgends in Sichtweite. Filzmaier sieht im Interview mit ORF.at vielmehr ein grundlegendes strategisches Problem als zentrale Herausforderung für die SPÖ - an diesem Parteitag und darüber hinaus.

ÖVP als gewohnter Lieblingsgegner

Denn die SPÖ hat seiner Ansicht nach eine entscheidende Wende noch nicht wirklich vollzogen: Aus Gewohnheit nehme, so Filzmaier, die SPÖ gerade bei Parteitagen die ÖVP als Hauptgegner ins Visier. Das sei historisch - Arbeiter- versus Wirtschaftspartei - natürlich verständlich, aber „nicht sehr sinnvoll“. Faymann und seine Partei müssten es schaffen, sich „grundsätzlich zu geben“, ohne den Koalitionspartner direkt anzugreifen und unnötig zu verärgern.

Dazu komme aber vor allem, dass die Wählerströme von der SPÖ zur ÖVP mittlerweile minimal seien, der wahre Konkurrent sei vielmehr die FPÖ. Die Distanzierung von den Freiheitlichen, was den Umgang mit den Themen Migration und Vergangenheit angeht, sei legitim, doch damit erreiche die Partei nur die Kernwähler, aber keine Wechselwähler. Die SPÖ könne die FPÖ nur durch eine direkte Konfrontation bei den Themen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik „aus dem Feld“ schlagen. Doch genau bei der Frage, wie sie das bewerkstelligen kann, sei die Sozialdemokratie nach wie vor auf der „Suche“.

Wo die SPÖ die FPÖ angreifen könnte

Zwei Themenfelder sieht Filzmaier für eine solche Auseinandersetzung als besonders geeignet an - Bildung und Gesundheit. Der Grund: Hier „schwächelt die FPÖ gewaltig“. Vor allem bei der Bildung gebe es aktuelle Ansatzpunkte, umso mehr, als mit Vizekanzler Mitterlehner die ÖVP Bewegungswillen signalisiert habe. Wichtig sei es, sich dabei nicht gegen die ÖVP zu positionieren.

Obwohl die Gefahr, die von den Freiheitlichen ausgeht, der SPÖ längst bewusst sei, gebe sich diese noch immer zu wenig Mühe, in die inhaltliche Detailauseinandersetzung einzusteigen - nämlich bei den für SPÖ-FPÖ-Wechselwähler entscheidenden Sozialthemen. Mit dem Verweis etwa auf die im EU-Vergleich niedrige Arbeitslosenrate erreiche man die Wechselwähler nicht. Filzmaier erklärt das unter Verweis auf ein Gespräch mit einem früheren höheren SPÖ-Funktionär auch damit, dass es „halt auch leichter sei“, sich gegenüber der FPÖ auf den gewohnten Bahnen zu bewegen.

Das geraubte Vergleichsargument

Faymann brauche jedenfalls eine „Neuausrichtung“, denn es gebe intern einen „tiefgehenden Verdruss“, auch wenn sich kein Spitzenfunktionär offen gegen den Parteichef stelle. Bisher habe es für Faymann parteiintern gereicht, auf den noch schlechteren Zustand der ÖVP zu verweisen. Das sei strategisch und taktisch auch vorher nicht unbedingt klug gewesen. Doch mit dem Obmannwechsel bei der Volkspartei reiche das Argument nun nicht mehr aus. Die SPÖ werde jedenfalls mit Faymann als Parteichef in das Wahljahr 2015 ziehen. Eine Veränderung erwartet Filzmaier nur, sollte die SPÖ in Wien dramatisch abstürzen.

In dem Zusammenhang sei es auch interessant, ob Faymann am Parteitag eine echte Programmdebatte zulassen werde. Einen Entwurf gebe es ja bereits, doch abzuwarten bleibe, ob der SPÖ-Chef bereit sei, in die Detaildebatten einzusteigen - oder vor dem Wahljahr 2015 mehr auf eine Demonstration der Einigkeit abziele. So wie jenes der ÖVP stamme auch das SPÖ-Parteiprogramm aus den 1990er Jahren und sei schlicht veraltet: Im Jahr des Beschlusses sei Hans-Hermann Groer noch Wiener Kardinal und nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung online gewesen, so Filzmaier zur Verdeutlichung.

„Geister, die man befriedigen muss“

Bei der Steuerreform stelle sich die Frage, ob Faymann damit nicht Geister gerufen habe, „die man nun befriedigen muss“. Faymann habe mit der Übernahme der diesbezüglichen Positionen der SPÖ-Gewerkschafter rechtzeitig Allianzen geschmiedet, um sich mit Blick auf den Parteitag die nötige Zustimmung zu sichern. „Letztlich souverän, wenn auch mit ein paar Flankentreffern“ werde Faymann daher den Parteitag als alter neuer Parteichef verlassen.

Guido Tiefenthaler, ORF.at

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