Frühe Differenzierung ohne Positiveffekte
Das Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft (ibw) hat im Auftrag der Wirtschaftskammer (WKÖ) das System der Gesamtschule unter die Lupe genommen. Für die Mitte Oktober präsentierte Studie analysierte Autor Kurt Schmid unter anderem internationale Schülerleistungsstudien wie PISA, PIRLS oder TIMSS und verglich anschließend die Strukturen und Inputfaktoren wie Ausgaben oder Schüler-Lehrer-Relationen miteinander.
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Sein Fazit: Eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen bietet einen besseren strukturellen Rahmen für gute Schülerleistungen, reicht aber allein nicht aus, um diese auch tatsächlich zu erzielen. Gesamtschulländern gelinge es meist auch besser, die Ungleichheit der Schülerleistungen zu reduzieren. Empirisch abgesichert ist laut Schmid jedenfalls, dass eine frühe äußere Differenzierung keine positiven Effekte zeige und dass Gesamtschulsysteme sozioökonomische Benachteiligungen reduzieren.
Jetziges System ließe sich verbessern
„Im differenzierten System sind schon noch Ansätze drinnen, die man verbessern kann“, meinte Schmid. „Gleichzeitig gibt es aber auch Grenzen“: So kreiere die Einordnung in AHS-Unterstufe oder Hauptschule bzw. Neue Mittelschule Selbstbilder in den Jugendlichen. „Damit wird ein Stück des Weges festgelegt, den man erreichen kann. Die Einstufung bedeutet immer auch eine soziale Zuschreibung.“ Auf Lehrerseite biete das System die Möglichkeit, Schüler von der AHS in die Hauptschule abzuschieben, anstatt sie zu fördern.
Mangelnde Durchlässigkeit
Das Argument, dass das Schulsystem ohnehin durchlässig sei, stimme so nicht: „Wenn man sich die De-facto-Übertritte ansieht, gibt es eigentlich nur die von der AHS-Unterstufe in die Hauptschule, umgekehrt kaum.“
Doch auch die Gesamtschule ist kein Allheilmittel: „Sie bedeutet nicht, dass der Unterricht auch besser wird“, so Schmid. Die Gesamtschule biete lediglich ein formelles strukturelles Dach, um Probleme wie die Vererbbarkeit von Bildungsabschlüssen und die Ungleichheit der Schülerleistungen zu reduzieren.
Nicht selektieren, sondern an Potenzialen orientieren
In der Studie wird daher auch festgehalten, welche Kriterien erfolgreiche Gesamtschulsysteme ausmachen: Das seien einerseits eine leistungsfördernde Governance-Struktur mit Schulautonomie in finanziellen und personellen Angelegenheiten sowie externen Überprüfungen von Bildungsstandards, so der Leiter der bildungspolitischen Abteilung der WKÖ, Michael Landertshammer.
Außerdem müsse man weg von der Selektionsorientierung hin in Richtung einer Orientierung an den Potenzialen der Kinder. Lehrer müssten lernen, produktiv mit der Heterogenität der Schüler umzugehen und brauchten zur Unterstützung zusätzliches Personal.
Umstellung erst letzter Schritt
Die Systemumstellung solle dabei aber erst am Schluss stehen, so Landertshammer: Zunächst könne einmal das „Übergangsmanagement“ an den Schnittstellen, also etwa zwischen Volksschule und AHS-Unterstufe/Hauptschule, verbessert und die Individualisierung des Unterrichts ausgebaut werden. Dann müssten die Lehrer in Sachen Leistungsheterogenität geschult und eine sinnvolle Überprüfung der Bildungsstandards mit Rückmeldungen implementiert werden. Wenn das alles stehe, könne man dann auch die Schulautonomie einführen und am Schluss die Schulverwaltung neu gestalten.
Gesamtschule bietet etwas mehr Chancengleichheit
Die perfekte Schulwelt entsteht aber auch durch die Gesamtschule nicht. „Bestimmte Dinge wie die Risikogruppe der schlechten Schüler oder eine gewisse Vererbbarkeit von Bildungschancen kann man nicht auf null drehen“, so Schmid. „Aber man kann sie verringern.“ So seien etwa in Finnland während der Pflichtschulzeit ein Drittel der Schüler in einer längerfristigen Fördermaßnahme. Dort betrage die Risikogruppe der schlechten Schüler fünf bis acht Prozent. „Bei uns gibt es diese Form der Unterstützung nur anekdotisch - und unsere Risikogruppe ist bei 25 Prozent.“
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