„Normenkontrolle“ für Verurteilte möglich
Mit den letzten Beschlüssen zu einer Novelle für den Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat der Nationalrat am Mittwoch ein Gesetzespaket finalisiert, das Bürgern ab 1. Jänner den Weg zu den Verfassungsrichtern öffnen wird, wenn sie meinen, in einem Zivil- oder Strafverfahren wegen verfassungswidriger Normen verurteilt worden zu sein. Das ändert die heimische Rechtsordnung nachhaltig.
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Bisher landeten Anliegen von Bürgern de facto nur wegen (vermutet) verfassungswidriger Bescheide vor dem VfGH. Mit der Novelle erfüllt Österreich auch überfällige völkerrechtliche Verpflichtungen, als Nebeneffekt werden heimische Gerichtsurteile aber wohl auch seltener unter internationaler Beobachtung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verhandelt werden. Den einstimmigen Grundsatzbeschluss gab es bereits im Juni, nun stand das Ausführungsgesetz auf der Tagesordnung.
Heikle Themen ausgenommen
Umstritten war die Novelle unter den sechs Parlamentsparteien nur hinsichtlich der Ausnahmen, brachten die doch bedeutende Hürden im Zugang zum neuen Recht für betroffene Bürger. Es ging und geht just um einige der heikelsten rechtlichen Themenbereiche, für die der VfGH weiterhin nicht zuständig sein wird. Begründet haben das SPÖ und ÖVP damit, dass durch den langen Stillstand des Verfahrens der eigentliche Verfahrenszweck vereitelt worden wäre.
Der „Parteienantrag auf Normenkontrolle“ ist weiterhin ausgeschlossen bei Exekutions-, Besitzstörungs- und Beweissicherungsverfahren, Verfahren über die Kündigung von Mietverträgen, Rückstellungen widerrechtlich verbrachter Kinder („Kindesentführungen“), Verfahren nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und Auslieferungsverfahren. Gleich dringlich sind aber auch Verfahren nach dem Unterbringungs- und Heimaufenthaltsgesetz. Diese waren im ursprünglichen Entwurf als weitere Ausnahmen angeführt, wurden aber doch wieder gestrichen.
Koalition rechnet offenbar nicht mit Umwälzungen
Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren können sich aber ab 2015 grundsätzlich - direkt nach dem erstinstanzlichen Urteil - an den VfGH wenden, wenn sie der Auffassung sind, dass ein erstinstanzliches Urteil auf Basis eines verfassungswidrigen Gesetzes oder einer gesetzwidrigen Verordnung erfolgte. Allfällige weitere Gerichtsinstanzen sind an den Spruch des VfGH gebunden. Für die Novelle müssen die Zivilprozessordnung, die Strafprozessordnung und das Außerstreitgesetz geändert werden.
Neu ist darüber hinaus, dass auch Gerichte erster Instanz selbst beim VfGH die Aufhebung eines Gesetzes oder einer Verordnung beantragen können. Bisher dürfen das nur Gerichte höherer Instanz. Insgesamt rechnet die Regierung durch die neuen gesetzlichen Bestimmungen mit Mehrkosten von jährlich rund 500.000 Euro. Die Koalition geht also davon aus, dass die Novelle keine großen Umwälzungen in der heimischen Rechtspflege bringen wird. Damit könnte sie auch Recht haben, denn „verfassungswidrige Urteile“ selbst kann man weiterhin nicht einklagen.
Nicht jede Verfassungswidrigkeit ist einklagbar
Der „Parteienantrag auf Normenkontrolle“ ist wörtlich zu nehmen: Der VfGH darf und wird nur prüfen, ob die Norm - also das Gesetz oder die Verordnung -, aufgrund derer ein Urteil gefällt wurde, verfassungskonform ist. Selbst wenn man durch ein Urteil evident in seinen verfassungsmäßig geschützten Rechten verletzt sein sollte, ist eine Klage dann unmöglich, wenn nicht genau diese Verfassungswidrigkeit schon vom Gesetz oder der Verordnung vorgegeben ist. In anderen Worten: Es wird schwierig sein, mit einem „Parteienantrag auf Normenkontrolle“ durchzukommen.
Neben dem neuen Parteienantrag bringt die VfGH-Novelle auch interne Neuerungen: Verfassungsrichter müssen ab nun unternehmerische Beteiligungen, vor allem an Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzleien, Aufsichtsratstätigkeiten und Gutachtertätigkeiten veröffentlichen. Außerdem müssen sie selbst auf mögliche Befangenheiten aufgrund ihrer Nebenjobs hinweisen. Beide Punkte waren allerdings schon bisher gängige Praxis im VfGH und werden nunmehr lediglich gesetzlich fixiert.
Alle Parteien mit Beschluss zufrieden
Die Novelle wurde am Mittwoch einstimmig angenommen. Die Debattenbeiträge waren generell positiv. Der zuständige Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) sagte, er sei sehr froh, dass man den letzten Ausbau des Rechtsschutzes und der Rechtsstaatlichkeit nun geschafft habe, und dankte allen Fraktionen. Auch ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl bedankte sich bei allen Parteien und sprach von einem „Meilenstein in der österreichischen Bundesverfassung und für den Rechtsschutz der Österreicher“.
FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan sah in der Novelle eine Initiative seiner Partei und meinte, der Beschluss sei ein „besonders positives Beispiel dafür, dass man aus der Opposition heraus etwas erreichen kann“. Die grüne Abgeordnete Daniela Musiol sagte, der Beschluss sei ein „gutes Beispiel, wie man Reformen im Parlament gestalten kann - und wie es vielleicht auch öfter gehen könnte“. Von einem „Riesenfortschritt“ sprach Team-Stronach-Abgeordneter Georg Vetter. Und eine „ganz wichtige und umfassende Änderung des Rechtsschutzes“ sah NEOS-Mandatar Nikolaus Scherak.
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