Das Geheimwissen der Gegenkultur
Musik und Kunst sind im Lauf der Geschichte schon oft Partnerschaften eingegangen. Im MUMOK ist dieser Tage zu sehen, wie zwei obskure Welten miteinander verschmelzen: Die Band Phantom Ghost und die Künstlerin Cosima von Bonin fühlen sich wohl miteinander. An die Realität wird nur sporadisch angedockt.
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Dirk von Lowtzow betritt die Bühne. Hager, schwarzer Strickpulli mit Mottenlöchern in den Ärmeln, enge schwarze Jean, Doc Martens, das Haar zum kunstvoll verwurschtelten, fluffigen Seitenscheitel drapiert, grau melierter Bart, in Händen eine Flasche Veuve Clicquot und ein Sektglas. Drunter geht es nicht: Löcher im Gewand und Veuve Clicquot. So viel Widerspruch, so viel Unbestimmtheit muss sein. „Im Zweifel für Zerwürfnisse / Und für die Zwischenstufen“ heißt es in einem Tocotronic-Song.
Wenn Hendln auf Raketen kotzen
Aber am Mittwochabend stand Von Lowtzow nicht mit Tocotronic auf der Bühne, sondern mit Thies Mynther. Die beiden treten seit 2000 als Phantom Ghost auf, Mynther am Klavier und am Computer, Von Lowtzow singend. Ihre Show im MUMOK war Teil der seit einigen Wochen laufenden Retrospektive der deutschen Künstlerin Von Bonin. Als performativer Akt las ein Theaterwissenschaftler zu Beginn des Konzerts, auf einer Schaukel über der Bühne schwebend, einen Text vor, in dem es um Surrealismus ging - und um kopulierende Zwitterwesen unter Wasser, begleitet von entsprechenden Videobildern.

ORF.at/Zita Köver
Verkaterte Kuscheltiere, im Hintergrund Raketen
Das Konzert fand in Stockwerk Minus drei statt. Fünf Etagen höher zeigt sich ein ähnlich seltsames Panorama: Der Military-Funpark am Tag nach dem Treffen komasaufender Furries. Ein schwarzer Stoffhase liegt vollkommen erledigt auf dem Rücken, davor ein paar Cruise-Missiles, die von Pinguinen bevölkert werden. Darüber hängen Soundglocken, in denen House, Techno und Minimal laufen - die Afterparty. Im Eck eine wunderschöne, überästhetisierte Rakete, so richtig aus Metall und so richtig lang, die ein Hendl erklommen hat, dem noch die Reste vom Kotzen auf der Brust picken.
Ausstellungshinweis
„Cosima von Bonin. Hippies use side door. Das Jahr 2014 hat ein Rad ab.“ Noch bis 18. Jänner 2015. Montags von 14.00 bis 19.00 Uhr, dienstags bis sonntags von 10.00 bis 19.00 Uhr, donnerstags von 10.00 bis 21.00 Uhr.
Pack den Oberlehrer ein
Im Ausstellungstext und auf Wikipedia ist von einem „Lob der Erschöpfung“ die Rede, deren Abfeiern in der Leistungsdruckgesellschaft als widerständiger Akt begriffen werden soll. Von Lowtzow, langjähriger Freund und Kollaborateur Von Bonins, sagt hingegen im ORF.at-Interview, dass sich ihre Werke solchen eindimensionalen Erklärungen entziehen:
„Das ist eine ganz große Leistung. Über andere Sachen kann man unendlich viel sagen, weil die eine Art Referenz-Rokoko darstellen. Die streberhafte Kunst wird dadurch streberhaft, dass sie die Deutung schon mitliefert und jeder Stolz sein kann, dass er sie erkannt hat - obwohl doch alles total offensichtlich ist.“ Von Lowtzows Phantom-Ghost-Kompagnon Mynther bläst ins selbe Horn: „Es gibt eine tolle Arbeit von ihr, die heißt ‚Der Oberlehrer‘. ‚Der Oberlehrer‘ ist für sie die absolute Hassfigur. Das ist das Schöne an ihrer Kunst: Sie ignoriert alles Oberlehrerhafte völlig.“

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Dirk von Lowtzow, innerlichst auf der Bühne
Glitzerkonfetti und Rodeostimmung
Von Lowtzow auf der kleinen Bühne im MUMOK, vornübergebeugt, eine Hand zur Faust geballt, die zweite in einer Ergriffenheitsgeste nach oben hin geöffnet, als wollte er, dem Rat der Schlange folgend, einen Apfel pflücken. Es regnet Glitzerkonfetti im Garten der Künste. Mynther, lässig den Schal über die Schulter geworfen, spielt expressiv, laut und dennoch gefühlvoll, wirft hie und da eine Geste in den Raum, scherzt zwischen den Songs. Von Lowtzow greift ihm ins Klavier und streicht über die Saiten. Es ist eine Doppelconference alter Kabarettschule, die hier geboten wird.
Von Lowtzow schnippt und wippt und klatscht, blinzelt mühevoll gegen den einen grellen Scheinwerfer an oder hält die Augen gleich ganz geschlossen, wobei die Lider zucken wie jene von Kindern, die Alpträume haben. Von Bonin nimmt derweil ihre Rolle als hyperaktiver Fan außerordentlich ernst. Sie kniet vor der Bühne, um die besten Smartphone-Fotos zu ergattern, tanzt, schwingt mit, als ob es kein Morgen gäbe und schreit ein „Yeeehaaaa“, das jeden Rodeoreiter stolz machen würde.

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Zwei Hunde, ein Esel: träg und traurig
I-Aah ist traurig und faul
Betritt man ihre Ausstellung, fallen zuerst große Kuschelhunde ins Auge, die aus teuren Stoffen genäht sind und in ihrer trägen Traurigkeit an den Esel I-Aah aus „Winnie-the-Pooh“ erinnern. Einer trägt ein Disney-Lätzchen. Ohne mühsam Referenzen zu bemühen, denkt man hierbei an die Pop-Art der 60er Jahre. Alltagsgegenstände werden rekontextualisiert, routinierte Wahrnehmungsmuster durchbrochen. Es macht immer noch Spaß, das Vertraute in subversiver Verkleidung zu sehen. Und so, wie Pop-Art in einem kollaborativen Umfeld stattfand, lebt auch Von Bonin das Tocotronic-Zitat „Ich bin viele“.
Schon seit den 90er Jahren integriert sie Werke anderer Künstler in ihre Ausstellungen - und arbeitet mit Musikern zusammen, allen voran mit Von Lowtzow. Zwei Videos zeugen in der Schau davon. In einem bewegt sich der Sänger mit Hundemaske unter echten Hunden und anderen Menschen mit Hundemasken. Es geht um Unterwerfung. Erinnerungen an Andy Warhol werden wach. Die von ihm inspirierten Velvet Underground sind auch ein Grund dafür, warum es Phantom Ghost gibt.
Horror-Eskapismus und die Hamburger Schule
Denn Von Lowtzow (Jahrgang 1971) und Mynther (1968), die bereits bei Tocotronic punktuell zusammengearbeitet hatten, fanden durch ihre gemeinsame Leidenschaft für Velvet-Underground-Gründungsmitglied John Cale zueinander - und durch ihre Liebe zu Horrorfilmen, etwa dem Frühwerk von Dario Argento. So etwas verbindet, gerade wenn man sich im Umfeld der Postpunks und Postrocker der Hamburger Schule bewegt (Mynther spielt auch bei Stella und war davor bei Superpunk und Das Bierbeben). Die beiden wurden des Eskapismus bezichtigt - was ihnen umso mehr gefiel.

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Dirk von Lowtzow und Thies Mynther im ORF.at-Interview
Lieber Computerspiel als Bildungskanon
Im Interview erzählen die beiden, dass sie in Kleinstädten aufgewachsen sind, wo man als Teenager auf den Plattenversandkatalog angewiesen war. Damals musste man sich Underground noch mühsam erarbeiten. Es lag nicht alles auf YouTube und Wikipedia bereit. Sich Wissen über Abseitiges anzueignen war ein höchst aktives Gegenprojekt zur Bildung der Bildungsbürger, auf die beide nicht gut zu sprechen sind.
Von Lowtzow: „Vieles in diesem Bereich ist total beschissen. Das merkt man ja an der Schule, wo man diese ganze Schulliteratur liest. Das ist totaler Käse. Da ist es ja hundertmal besser, die Kinder spielen irgendein Computerspiel oder sitzen den ganzen Tag vorm Fernseher, als sie lesen den ganzen Tag diesen Müll. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Es geht nicht um Bildung, es geht um Wissen, geheimes Wissen. Das ist es, was mich immer angestachelt hat. Das hat etwas mit Neugier zu tun, wie bei Kindern, die in den Schubladen der Eltern kramen.“

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Phantom Ghost und Cosima von Bonin in der MUMOK-Ausstellung
Wenn Veuve Clicquot auf Martens kleckert
Zuerst spielten Von Lowtzow und Mynther Cale-Songs nach, dann folgten eigene Alben. Dürfte man nur einen einzelnen Song hervorheben, wäre das vielleicht „To Damascus“. Von Bonin gestaltete drei der Plattencover, Tocotronic und Phantom Ghost traten wiederholt im Rahmen von Ausstellungen auf. Gegenseitige Einladungen seien das, in Wahrheit aber eine moderne Form von Sklaverei, sagt Von Lowtzow scherzhaft. Er kann sich das erlauben, die Künstlerin und der Musiker sind seit vielen Jahren befreundet.
Mynther raunt hinter dem Klavier ins Mikro: „Wir bringen die Psychoanalyse nach Haus’!“ und stimmt die ersten Akkorde des Songs „Dr. Schadenfreud“ an. „Are you over-analysed, haunted by a Poltergeist?“ Ein Abend im MUMOK mit der Retrospektive Von Bonins und der Musik von Phantom Ghost - das ist, als würde man in einen Science-Fiction-Film hineinreisen, den Argento gedreht hat - so sehr verschmelzen diese beiden Welten, die an allen Ecken und Enden an die Realität andocken, sie aber nicht kommentieren oder abbilden, sondern umdeuten. Und als Filmplakat könnte man Von Lowtzows Doc Martens zeigen, die er am Mittwochabend ordentlich mit Veuve Clicquot bekleckert hat.
Simon Hadler, ORF.at
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