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Die Rettung der Welt steht in den Sternen

Christopher Nolan gilt als Garant für großes Action-Kino, für massentaugliche Blockbuster mit Anspruch. Dementsprechend groß ist die Erwartung an seinen neuesten Film „Interstellar“, in dem er ein großes Staraufgebot zur Rettung der Welt hinter den Mond schickt und dafür die Dimensionen verbiegt, was das Zeug hält.

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Wenn die Erde ausgedient hat, bleibt der Menschheit nämlich nur noch die Flucht auf einen anderen Planeten. Das ist insofern nicht ganz einfach, weil in Nolans Zukunftsgesellschaft sämtliche Raumfahrtprogramme offiziell längst aus Kostengründen eingestampft wurden und die NASA mittlerweile so etwas wie ein Geheimclub in unterirdischen Werkstätten ist.

Nolan lässt den „Dust Bowl“ blass aussehen

Die Welt braucht Bauern, keine Wissenschaftler, so lautet die Devise auf der präapokalyptischen Erde, auf der die Lebensmittelknappheit zu einem radikalen Umdenken geführt hat. Doch auch die exzessive Landbewirtschaftung erweist sich letztlich als Fluch, und in „Interstellar“ ist die Welt von Dürre und Sandstürmen bedroht, gegen die der „Dust Bowl“ in den USA der 1930er Jahre nicht viel mehr als ein Kindergeburtstag in der Sandkiste war.

Der „Dust Bowl“

Christopher Nolan hat für „Interstellar“ ein Endzeitszenario erdacht, das in vielerlei Hinsicht an eine reale Katastrophe erinnert. In den 1930er Jahren wurden weite Teile der USA von einer verheerenden Dürre geplagt, die auf eine weitreichende Umweltsünde der Menschheit zurückging. Die Folge waren scheinbar nie enden wollende Staubstürme, die Hunderttausende Menschen in den Ruin trieben - mehr dazu in Als die USA im Staub versanken.

„Früher haben wir zum Himmel hochgesehen und uns gefragt, wo unser Platz im Universum ist. Heute schauen wir auf den Boden hinab und zerbrechen uns den Kopf über unseren Platz im Dreck“, sinniert der verwitwete zweifache Vater Cooper (Matthew MacConaughey) am Beginn des Films. Früher war er als Weltraumpilot und Ingenieur tätig, inzwischen hat er sich längst damit abgefunden, dass er als Farmer ums Überleben seiner Familie kämpfen muss.

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Wie es der Zufall (oder natürlich: das Schicksal) so will, findet er aber schon kurz darauf das geheime NASA-Labor, in dem Professor Brand (Michael Caine) und seine Tochter Amelia (Anne Hathaway) an Absiedelungsplänen für die Menschheit basteln. Und genauso zufällig kommt Cooper gerade rechtzeitig, um eine Mission in entfernte Galaxien zu leiten, wo sich möglicherweise ein Ersatzlebensraum befinden könnte. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss - auch wenn das bedeutet, dass er seine Kinder womöglich nie wieder sehen wird. Oder erst in 100 Jahren.

Szene aus "Interstellar"

Warner Bros. Entertainment

Cooper (McConaughey) muss seiner Tochter erklären, dass sie ihn womöglich nie wieder sehen wird

Um die Erde zu retten, sind in Hollywood traditionell ja ein paar Grundregeln dringend zu beachten, das weiß auch Nolan. Zum einen muss da auf jeden Fall ein Raumschiff sein, das einen pathetischen Namen trägt („Endurance“), und eine Mission, deren Titel die biblische Tragik des Unterfangens ausdrückt („Lazarus“). Auf der anderen Seite braucht es ein Team, das abgesehen von der gleichmäßig verteilten Furcht- und Selbstlosigkeit, möglichst heterogen zusammengesetzt sein muss - Männer und Frauen, verschiedene Ethnien. Selbst wer das Abenteuer letztlich überleben darf, könnte man sich ausrechnen, soll man aber nicht, wenn man sich die Spannung nicht verderben lassen will.

Große Fragen verhallen in der Weite des Weltalls

Soweit das klassische Einmaleins des Save-the-World-Science-Fiction-Spektakels. Nolan, der sich mit seiner „Batman“-Trilogie und dem Traumdrama „Inception“ einen Namen für genauso massentaugliches wie ambitioniert-anspruchsvolles Kino gemacht hat, gibt sich damit erwartungsgemäß nicht zufrieden. Für sein gut 170-minütiges Epos verspinnt er sich in philosophischen Grundfragen, die er auf der fantastischen Reise durch Wurmlöcher und fremde Galaxien immer wieder in den (Welt-)Raum wirft.

Szene aus "Interstellar"

Warner Bros. Entertainment

Fragende Blicke in den Himmel

Was bedeutet es, die Menschheit zu retten? Geht es um das Überleben der eigenen Familie oder um jenes der menschlichen Rasse? Braucht es Plan A - die Umsiedlung der ums Überleben kämpfenden Erdbevölkerung? Oder Plan B, die Zucht einer neuen Menschheitskolonie im Weltall? Wenn unterschiedliche Ansichten zu diesen Fragen in der Enge eines Raumschiffs aufeinanderprallen, dann kann das gefährlich werden.

Mit Einstein durch die gekrümmte Raumzeit

Waren es bei „Inception“ verschiedene Ebenen eines Traumes, die Nolan geschickt ineinander verschachtelt hat, versucht er nun ähnliches mit den verschiedenen Dimensionen von Zeit - und das mit der wissenschaftlichen Unterstützung von Kip Thorne, einem der renommiertesten Physiker der Gegenwart. Dementsprechend groß wird auch der theoretische Unterbau im Film aufgebauscht. Die Rede ist von Quantenmechanik, Gravitationstheorie und von Krümmung der Raumzeit. Albert Einsteins Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie werden herangezogen, um zu erklären, wie es in einem kosmischen Wurmloch aussehen könnte (ganz hübsch eigentlich!) und wie man vom Schwarzen Loch aus Morsezeichen ins Kinderzimmer der Vergangenheit schicken kann.

Man braucht kein TU-Studium, um relativ problemlos erkennen zu können, dass sich hinter der Weltraummission trotz langer Formeln auf den Wandtafeln der NASA-Bodenstation haarsträubende Ungereimtheiten aneinanderreihen. Das würde man einem Science-Fiction-Film ja grundsätzlich verzeihen, doch bei „Interstellar“ fehlt es dem Plot auch sonst an Stringenz - und am Ende finden nicht alle Fäden zueinander.

Eindimensionale Frauenfiguren, humorige Roboter

Das macht es für die Besetzung des Films auch nicht immer leicht. Der Cast ist an sich gut gewählt, dass der Spacefarmer Cooper kaum besser besetzt sein könnte als mit McConaughey darf man bestimmt behaupten, dasselbe gilt auch für Hathaway und für Jessica Chastain, die Coopers erwachsene Tochter spielt. Doch gerade die beiden Frauenrollen - obwohl beides Figuren, von deren Durchsetzungskraft, Intelligenz und Ideenreichtum schließlich das Überleben der Menschen abhängen wird - bleiben ziemlich eindimensional. Schon die Tatsache, dass die wohl interessantesten und lustigsten Interaktionen zwischen Mensch (meist Cooper) und den für eine Kinoweltraummission unerlässlichen Robotern stattfinden, gibt zu denken.

Szene aus "Interstellar"

Warner Bros. Entertainment

Murph (Jessica Chastain) wartet fast 100 Jahre auf ihren Vater

Auf der anderen Seite macht Nolan gemeinsam mit Kameramann Hoyte van Hoytema das, was er richtig gut kann: Seine Inszenierung besticht durch eine berückende Bildgestaltung, die vor allem mit der Liebe zum Detail nahezu brillant ausfällt. Seien es die interstellaren Wunder, auf die Cooper und sein Team im Weltall treffen, oder die merkwürdigen Planeten, auf denen ewiges Eis oder permanente Tsunamis verdeutlichen, wie verzweifelt die Menschen einen neuen Siedlungsort suchen - egal, wie unwirtlich die Umgebung ist, Hauptsache Luft zum Atmen.

Hinweis

„Interstellar“ ist ab Donnerstag im Kino zu sehen.

Die Wucht von Bild und Musik

Nahezu kongenial mit der Bilderwucht verflochten ist dann auch die Musik, mit der der mehrfache Oscar-Preisträger Hans Zimmer einmal mehr die Macht der Tonkunst demonstriert. Feine Klaviertöne wechseln mit donnernder Dramatik und sind hier mehr als nur Untermalung. „Interstellar“ hätte das Potenzial, Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ zu beerben, hieß es vorab seitens der Produzenten. Für Nolan war der Kultfilm ohne Zweifel auch Inspiration, das wird durch eine große Anzahl an offensichtlichen und versteckten Reverenzen deutlich. Doch an das Format von „2001“ reicht „Interstellar“ nicht heran.

Bei der letzten Oscar-Verleihung war allerdings Alfonso Cuarons „Gravity“ der große Abräumer. Auf der Welle der Weltraumbegeisterung surft Nolans 165-Millionen-Dollar-Blockbuster-Spektakel sicherlich erfolgreich durch den Kinoherbst und vermutlich auch in die Filmpreissaison.

Sophia Felbermair, ORF.at

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