Heftiger Widerstand von Polen
Die EU-Mitglieder haben sich Donnerstagnacht doch noch auf ein umfassendes Klima- und Energiepaket mit konkreten Zielen bis 2030 geeinigt. Das teilte EU-Gipfelchef Herman van Rompuy nach stundenlangen Verhandlungen mit. Zentraler Punkt: Der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) soll im Vergleich zu 1990 um mindestens 40 Prozent sinken.
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Damit verdopple Europa seine Anstrengungen, sagte der scheidende EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso. Der Anteil der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne soll auf mindestens 27 Prozent steigen. Auf Druck Großbritanniens und Polens schwächte der Gipfel allerdings die Zielmarke für das Energiesparen ab. Nun werden mindestens 27 Prozent statt der bisher geplanten 30 Prozent angestrebt.

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Kanzler Werner Faymann will auch Rücksicht auf die Industrie nehmen
„Faire Entscheidung“
„Es war nicht einfach, überhaupt nicht - aber wir haben es geschafft, zu einer fairen Entscheidung zu kommen“, sagte Van Rompuy nach fast neunstündigen Gipfelberatungen. Klimaschutz sei ein Schlüsselthema, letztlich gehe es ums Überleben. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte: „Mit dem Kompromiss wird Europa ein entscheidender Spieler.“
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) zeigte sich zufrieden, wenn auch nicht euphorisch über die erzielten Kompromisse: „Es ist sicher nicht alles erreicht worden - das braucht niemand erzählen. Aber wir haben etwas zustande gebracht.“ Es sei gelungen, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten einen Kompromiss zu schaffen, der auch Rücksicht auf die Industrie nehme. Österreich müsse vor allem im Bereich Verkehr Verbesserungen erzielen, wobei Faymann eine Erhöhung der Lkw-Maut als Beispiel nannte.
Mitterlehner: „Ambitioniert“, Grüne „enttäuscht“
Alle drei vom EU-Gipfel festgezurrten Klimaziele „sind ambitioniert und werden uns fordern“, sagte Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) im Ö1-Morgenjournal - mehr dazu in oe1.ORF.at. Die Grünen reagierten hingegen enttäuscht. Klubobfrau Eva Glawischnig bezeichnete das Ergebnis als „eine Zumutung für künftige Generationen“. Die Ziele seien zu wenig ambitioniert und außerdem nicht national verbindlich, so der Vorwurf der Grünen. Scharf kritisierte Glawischnig auch die Regierung. „Österreich zählte diesmal zu den Verhinderern und Blockierern.“ „Hauptprofiteur“ der Beschlüsse des Klimagipfels sei der russische Präsident Wladimir Putin, meinte die grüne Umweltsprecherin Christiane Brunner. „Ein 40-Prozent-Effizienzziel hätte die EU um mehr als 40 Prozent unabhängiger von russischen Gasimporten gemacht“, so Brunner.
Leitl warnt vor „Mehrkosten für Budget“
FPÖ-Umwelt- und -Energiesprecher Norbert Hofer stört an den Beschlüssen, dass Österreich damit von der EU „abermals zum ‚Nettozahler‘ degradiert“ werde, weil eine „Solidarabgabe“ an wirtschaftsschwache Länder in Osteuropa festgelegt worden sei. NEOS-Energiesprecher Michael Pock findet es „sehr enttäuschend“, dass das Energieeffizienzziel von 30 auf 27 Prozent reduziert wurde. „Bundeskanzler Faymann konnte in Europa offenbar nicht genügend Verbündete finden. Das ist schade“, so Pock in einer Aussendung.
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl (ÖVP) befürchtet, dass „ohne eine klare Standortgarantie in Form von bis zu 100 Prozent Gratiszuteilung an CO2-Zertifikaten im Emissionshandel für die umweltfreundlichsten Betriebe“ dringend notwendige Investitionen ausbleiben. Leitl warnte weiters davor, dass „Österreich eine Verpflichtung eingeht, die mit heute noch gar nicht abschätzbaren Mehrkosten für das Budget verbunden sein wird“.
„Kniefall vor Interessen der Industrie“
Umweltschutzverbände wie Greenpeace übten scharfe Kritik an den Beschlüssen. „Die Menschen wollen saubere Energie, aber die EU-Chefs nehmen dem boomenden Markt für erneuerbare Energien den Wind aus den Segeln“, monierte die EU-Greenpeace-Vertreterin Mahi Sideridou. „Europa kann und sollte mehr tun, um die verheerendsten Auswirkungen des Klimawandels zu stoppen.“ Die NGO sprach von einer „Blamage für die europäische Politik“.
Greenpeace sieht außerdem eine „gravierende Missbrauchsgefahr“, da Ausgleichszahlungen an die osteuropäischen Staaten in Kohle und Atomenergie statt in erneuerbare Energie und Energieeffizienz gesteckt werden könnten. Einen „Kniefall vor den Interessen der Industrie“ sieht Global 2000. Es sei ein Minimalkompromiss abgesegnet worden, der die Atom- und Kohleenergie begünstige und die Energie-Importabhängigkeit Europas auf Jahrzehnte festschreibe, kritisierte der Klima- und Energiesprecher der NGO, Johannes Wahlmüller, am Freitag in einer Aussendung.
Polen auf der Bremse
Die nun erreichte Einigung galt als Voraussetzung für einen Erfolg des Weltklimagipfels Ende 2015 in Paris. In den zähen Verhandlungen trat allerdings vor allem Polen auf die Bremse, da man erhebliche Mehrkosten wegen der neuen Energieziele fürchtete. Die neue polnische Regierungschefin Ewa Kopacz wurde deshalb zunächst von Merkel, Van Rompuy und Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande in kleiner Runde empfangen, um die Kompromisslinien auszuloten.
Beim Treffen Merkels mit Kopacz habe es im Klimastreit eine Annäherung beim geplanten neuen Topf zugunsten ärmerer Mitgliedsstaaten gegeben, berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP. Begünstigt werden sollen diejenigen EU-Staaten, die unter 60 Prozent des durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Kopf in der EU liegen. Bisher waren es 90 Prozent. Der neue Topf soll sich aus Einnahmen des Handels mit Verschmutzungsrechten speisen und für die Modernisierung beispielsweise von veralteten Kraftwerken eingesetzt werden.
Dafür werde künftig eine Reserve von 400 Millionen Zertifikaten angelegt, heißt es im Gipfelbeschluss. Bei der Verteilung der übrigen Zertifikate sollen wie bisher zehn Prozent an die Staaten gehen, deren BIP unter 90 Prozent des EU-Durchschnitts liegt. Warschau soll zudem zugestanden werden, über das Jahr 2020 hinaus im Rahmen des europäischen Emissionshandelssystems kostenlose Verschmutzungsrechte zu erhalten.
Auch Ebola auf der Agenda
Neben den Klimazielen stand auch noch die in Westafrika grassierende Ebola-Epidemie auf dem Programm der Staats- und Regierungschefs. So ernannte der Gipfel den künftigen zypriotischen EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenmanagement, Christos Stylianides, zum Ebola-Koordinator europäischer Hilfen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten haben bereits mehr als eine halbe Milliarde Euro für den Kampf gegen Ebola zugesagt. Dieser Betrag könnte auf bis zu eine Milliarde Euro verdoppelt werden, sagte Finnlands Ministerpräsident Alexander Stubb.

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Van Rompuy brachte seine Enkelkinder mit auf das Gipfelfoto
„Familienfoto“ zum Abschied
Schließlich bestätigte der Gipfel formal die neue EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker, die am Mittwoch vom EU-Parlament die Zustimmung erhielt und die nun am 1. November ihre Arbeit aufnehmen wird. Der scheidende EU-Ratschef Van Rompuy brachte mehrere Enkelkinder zu seinem letzten Gipfeltreffen mit. Die Kinder posierten am Donnerstag auch auf dem offiziellen „Familienfoto“ des Spitzentreffens der Staats- und Regierungschefs. Van Rompuy hatte in den vergangenen fünf Jahren 41 Gipfel vorbereitet und geleitet.
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