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Stete Suche nach der Form

Das Leopold Museum widmet sich Leben und Werk von Alberto Giacometti. Seine Skulpturen sind die teuersten aller Zeiten, und das Publikumsinteresse an dem in der Schweiz geborenen Künstler ist ungebrochen groß. Seine Arbeiten sind das Produkt eines lebenslangen Kampfes um die Form.

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Manche haben es als Künstler von Haus aus leicht. Giacometti kam 1901 als Sohn des postimpressionistischen Malers Giovanni Giacometti im italienischsprachigen Teil der Schweiz zur Welt. Schon im Gymnasium wurde der junge Alberto gefördert - man richtete ihm sogar ein eigenes Atelier in der Schule ein. Als er wenig später nach Paris ging, wo die Kunstszene brodelte, war der Bursche unverkennbar ein Bourgeois unter Bohemiens. Giacometti verhielt sich beileibe nicht wie ein Außenseiter, aber er kultivierte seinen bürgerlichen Habitus, was auf Fotos deutlich zu sehen ist.

Giacometti hätte es also leicht haben können - er machte es sich aber nicht leicht, im Gegenteil. Schon als sehr junger Künstler, noch während der Schulzeit, arbeitete er entgegen der Mode seiner Zeit gegenständlich. Einige seiner ersten Skulpturen tragen bereits die Handschrift der langgezogenen Figuren, mit denen er später - viel später - berühmt werden sollte. In Paris befand er sich im Zentrum der Kunstszene mit seinem Atelier in der Nähe von Montparnasse. Er verkehrte mit Pablo Picasso und Jean Miro. Im Leopold Museum sind auch Werke dieser beiden und anderer Weggefährten Giacomettis zu sehen, damit deutlich wird, in welchem Umfeld er sich bewegte.

Alberto Giacometti: Torso, 1925

Alberto Giacometti Estate/Bildrecht, Wien 2014

Alberto Giacometti: „Torso“, 1925

Abstraktion als Korsett

Das blieb nicht ohne Folgen: Immer mehr begann sich Giacometti für Kubismus und Surrealismus zu interessieren, was man den abstrakten Skulpturen dieser Zeit deutlich ansieht, und schließlich wurde er Teil des Kreises um Andre Breton, wo die Gegenständlichkeit verteufelt wurde: Alles musste abstrakt sein. Giacometti machte mit, lieferte Bilder, Zeichnungen und Skulpturen für legendäre Ausstellungen ab und hatte sich bald unter den Insidern der Pariser Outsider einen Namen gemacht. Es dauerte jedoch keine drei Jahre, bis ihm die verordnete „totale Freiheit von der Form“ als Korsett zu eng wurde.

Giacometti machte Naturstudien, arbeitete mit wiedererkennbaren Motiven und nahm 1935 seinen Rauswurf aus dem Montparnasse-Zirkel in Kauf. Er verlor damit nicht nur den Anschluss an die Kunstmaschinerie, die rund um Breton ins Laufen gekommen war, sondern musste miterleben, wie sich die meisten seiner Freunde von ihm abwandten. Eine zwölfjährige tiefe Schaffenskrise sollte folgen, in der Giacometti kaum ein Werk von Bedeutung schuf - bis ihm schließlich doch noch der Durchbruch mit seinen langgezogenen Skulpturen gelang.

Ein Getriebener am Werk

Aber dieser Durchbruch kam weder plötzlich, noch war er leicht verdient. Man darf sich Giacometti nicht als depressiv, einsam oder schrullig vorstellen - eher im Gegenteil, Zeitgenossen beschreiben ihn als humorvoll und gesellig, ein Eindruck, der durch einen Film, der in der Ausstellung gezeigt wird, verstärkt wird: intellektuell, nachdenklich - auf eine verschmitzte Weise. Aber er war auch ein Getriebener, der keine Kompromisse einging, am wenigsten mit sich selbst.

Alberto Giacometti beim Modellieren einer Büste seines Bruders Diego, 1960

Rene Burri/Magnum Photos

Alberto Giacometti, 1960 vom Magnum-Fotografen Rene Burri mit einer Skulpur abgelichtet, die seinen Bruder Diego zeigt

Die Skulpturen, die er ab 1947 schuf, modellierte Giacometti aus Ton. Er zog sie lang, knetete mit seinen Fingern, formte mit seinen langen Nägeln, schob Tonbatzen hin und her, arbeitete mit Werkzeug. Bei der Oberfläche, die aus der Ferne wirkt, als würde man sie unscharf sehen und die aus der Nähe für die charakteristischen und charakterbildenden Konturierungen sorgt, überließ er nichts dem Zufall.

Vom Bruder gerettet

Giacometti arbeitete meistens nachts. Wenn er am nächsten Tag vor einer Skulptur stand, machte er weiter und fand kein Ende. Eine Skulpturengruppe, die in New York stehen sollte, stellte er sogar niemals fertig, weil er sich nicht und nicht mit dem Ergebnis zufriedengeben wollte. Das ging so weit, dass er immer wieder ganze Arbeiten zerstörte. Sein Bruder nahm ihm schließlich regelmäßig Figuren weg, wenn er sie für fertig hielt, und brachte sie in eine Gießerei, wo nach dem Tonmodell die Bronzeskulpturen, wie man sie heute kennt, hergestellt wurden.

Warum die Figuren so aussahen, wie sie aussahen, darüber machte Giacometti keine eindeutigen Aussagen. Ein aufstrebender Energiekern ziehe sie hoch. Man kann ihn verkürzt wohl so interpretieren: Er sah es als seine Aufgabe an, nicht das reale Bild des Menschen wiederzugeben, sondern das innere Bild - wenn man so will und die Esoterikanmutung des Begriffs ignoriert, stellte Giacometti das dar, was er als Individuum als die Seele seiner Modelle ansah. Er schälte die Figuren aus dem Raum heraus, bis man nichts mehr hätte weglassen können. Sammlerin Elisabeth Leopold drückt es so aus: „Giacometti machte, was er fühlte, nicht, was er sah.“

Später Weltruhm

1950 fand die erste große Ausstellung seiner neuen Arbeiten in Basel statt - und war ein Reinfall, wie er im Buche steht. Nicht einmal 300 Besucher kamen. Das Museum kaufte ihm um ein paar hundert Franken eine einzige Skulptur ab. Doch von diesem Tiefpunkt an sollte es steil bergauf gehen. Giacometti, der 1966 in Graubünden an den Folgen einer chronischen Bronchitis verstarb, erlebte seinen Weltruhm noch.

Alberto Giacometti in seinem Atelier, 1958

Inge Morath/The Inge Morath Foundation/Magnum Photos

Giacometti, fotografiert in seinem legendären Pariser Atelier von Inge Morath

Im Leopold Museum sind 87 Werke aus allen Schaffensphasen Giacomettis zu sehen, davon 36 Skulpturen, der Rest sind Arbeitsskizzen, Zeichnungen und Gemälde. Dazu kommen Fotografien von Größen wie Henri Cartier-Bresson und Inge Morath und ein Video, in dem der Künstler selbst (auf Französisch) zu Wort kommt, man in seinem chaotischen Atelier zu Gast ist und ihm beim Arbeiten zusieht.

Ausstellungshinweis

Alberto Giacometti: Pionier der Moderne. Leopold Museum im Museumsquartier Wien, 17. Oktober bis 26. Jänner 2015. Dienstag geschlossen, Donnerstag 10.00 Uhr bis 21.00 Uhr, sonst 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr.

Nur nicht stolpern

Die Ausstellung richtet sich an ein großes Publikum, ist zugänglich und durchweg „kulinarisch“ gestaltet, ohne jedoch Giacometti seiner künstlerischen Ernsthaftigkeit zu berauben. Vor allem die mehr als mannshohen Skulpturen flößen Respekt ein, wenn man vor ihnen steht. Zu weit sollten Besucher jedoch nicht zurückgehen, um die ideale Perspektive zu finden. Die Figuren stehen einander gegenüber - ohne Geländer oder sonstigen Schutz. Nur als Hinweis: Unlängst wurde eine davon für 74 Millionen Euro verkauft.

Ein Großteil der Werke sind Leihgaben aus dem Kunsthaus Zürich, wo im Gegenzug eine Egon-Schiele-Ausstellung mit Bildern aus der Sammlung Leopold stattfindet. In Wien hat man sich an Schiele ja etwas sattgesehen. So gesehen: ein wirklich guter Tausch.

Simon Hadler, ORF.at

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