„Kann an manchen Orten frei sprechen“
Der Kontrast könnte deutlicher nicht sein: Die Frau des ehemaligen afghanischen Präsidenten, Zeenat Karzai, ist im Ausland „unsichtbare First Lady“ genannt worden. Rula Ghani hingegen, deren Mann Ashraf Ghani Ende September zum neuen Präsidenten gewählt wurde, spricht sich öffentlich für ihre Anliegen aus und legt ein neues Selbstbewusstsein an den Tag.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Gut zwei Wochen nach dem Amtsantritt ihres Mannes erklärt Ghani in einem sehr persönlichen Interview mit der BBC, dass sie als First Lady versuchen möchte, die Situation der afghanischen Frauen zu verbessern. „Ich würde gerne den Frauen da draußen den Mut und die Möglichkeit geben, etwas zu tun, um ihr Leben zu verbessern.“ Frauen sollten sich mehr Respekt verschaffen.
„Sie ist viel schlauer als ich“
Dass sie selbst den Respekt ihres Mannes genießt, zeigte dieser während des Wahlkampfes: Ashraf Ghani war der einzige Mann unter den Kandidaten, dessen Frau öffentlich auftrat und auf Wahlkampfveranstaltungen sprach. Vor der Wahl sagte er, er wolle sich während seiner Präsidentschaft Rat von seiner Ehefrau holen. „Sie ist viel schlauer, als ich es bin“, sagte er, „hoffentlich wird sie mich beraten, wie sie es in 38 Jahren Ehe getan hat.“ Indem er sie auf diese Weise erwähnt habe, habe ihr Mann genau das gezeigt, wofür sie sich einsetze, so Rula Ghani.

Reuters/Omar Sobhani
Auch Ashraf Ghani bricht mit der Tradition seines Vorgängers und schlägt sanftere Töne Richtung Westen an
Die neue First Lady füllt ihr Amt nicht nur mit neuem Selbstbewusstsein, sondern auch mit einem sehr internationalen persönlichen Background: Ghani stammt aus dem Libanon und ist Christin - in einem Land, in dem fast 99 Prozent der Bewohner muslimisch sind. Ihren Mann, den jetzigen Präsidenten, lernte sie während ihres Studiums an der Amerikanischen Universität Beirut kennen. Ein Jahr lang verbrachte sie während ihrer Studienzeit in Paris, mit ihrem Mann lebte sie danach mehrere Jahre in den USA.
Karzai: Afghanistan nicht bereit für prominente Frau
Indem Ghani bewusst das Rampenlicht wählt, bricht sie mit der Tradition afghanischer Präsidentengattinnen. Ihre Vorgängerin Zeenat Karzai war in der Öffentlichkeit kaum zu sehen und trat aus dem Schatten ihres Mannes nicht hervor. Auch sie gewährte der BBC eines ihrer seltenen Interviews. Der ausgebildeten Ärztin wurde mehrfach vorgeworfen, keine Vorbildrolle zu leben und sich zu wenig um die Rechte der Frauen in ihrem Land zu kümmern.

AP/Ahmad Massoud
Von 2001 bis 2014 die „unsichtbare“ Frau an der Spitze Afghanistans: Zeenat Karzai
„Ich weiß, mein Beitrag ist nicht offen und sichtbar in den Medien“, sagte sie in dem bereits im Vorjahr geführten Gespräch. „Aber ich habe getan, was ich konnte und wovon ich wusste, dass es unter den derzeitigen Umständen in Afghanistan möglich ist“, so Karzai. Aus ihrer Sicht war Afghanistan schlicht noch nicht bereit für eine prominente First Lady. „Ich glaube, es braucht noch mehr Zeit.“
Taliban katapultieren Rechte Jahrzehnte zurück
Die Herrschaft der radikalislamischen Taliban von 1996 bis 2001 warf das Land in puncto Frauenrechte um Jahrzehnte zurück. Mädchen war es nicht mehr erlaubt, zur Schule zu gehen, Frauen mussten sich vollverschleiern und durften nicht arbeiten. Noch heute hat sich in vielen ländlichen Gegenden das patriarchalische System gehalten. Vor der Talibanherrschaft seien Frauen viel selbstbewusster gewesen, so Ghani. Es habe ein sehr starkes Bildungssystem gegeben und Frauen konnten sich beruflich entwickeln.
Dass sie mit ihrem Anliegen in der traditionellen, patriarchalisch geprägten Gesellschaft wohl schnell auf Grenzen stößt, ist ihr bewusst: „Ich kann an manchen Orten frei sprechen, an anderen nicht.“ Sie möchte nicht die familiär geprägten Sozialstrukturen umkrempeln, so Ghani. „Wenn ich es schaffe, einen höheren Respekt für Frauen und deren Rolle in der Gesellschaft zu erreichen, wäre ich sehr glücklich. Das wäre wirklich mein größter Wunsch“, so die studierte Politwissenschaftlerin.
Links: