Rücktritt wegen Sparpolitik
Der bulgarische Wahlsieger Bojko Borissow spaltet seine Landsleute. Der 55-Jährige war zwischen 2009 und 2013 Ministerpräsident des Landes und musste wenige Wochen vor Ablauf seiner Regierungszeit nach tagelangen Protesten gegen seine Sparpolitik zurücktreten.
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Der bürgerliche Regierungschef setzte den Schwerpunkt in seinem Kabinett auf die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und die strikte Einhaltung einer strengen Finanzdisziplin. Damit erfüllte er zwar die Vorgaben aus Brüssel und drückte das Budgetdefizit unter drei Prozent, vernachlässigte jedoch die sozialen Belange der Bulgaren.
Feuerwehrmann, Leibwächter und Polizeichef
Der charismatische Parteivorsitzende und Gründungsvater ist auch acht Jahre nach der Parteigründung die wichtigste Antriebskraft der GERB. Der gelernte Feuerwehrmann und spätere Leibwächter des letzten kommunistischen Diktators in Bulgarien, Todor Schiwkow, und des Exil-Monarchen Simeon Sakskoburggotski stieg 2001 in den höchsten Polizeiposten des Landes auf, als der Ex-König republikanischer Ministerpräsident in seiner Heimat wurde.
Wegen der bis dahin beispiellosen Kampfansage an das organisierte Verbrechen wurde Borissow schnell zum Liebling der Nation. Das ebnete ihm den Weg in die große Politik - seit seinem deutlichen Sieg bei den Bürgermeisterwahlen in der bulgarischen Hauptstadt Sofia 2005 sind seine Umfragewerte nur noch gestiegen. Borissows Partei wurde seitdem bei allen Parlamentswahlen stärkste Kraft.
„Türstehermentalität“ oder „einer von uns“?
Borissow spaltet die Bulgaren seit seinem ersten Auftritt in der Politik. Für seine Kritiker ist er nur ein ungebildeter Leibwächter und ein „Muskelpaket mit Türstehermentalität“. Seine Anhänger sehen ihn aber wegen seiner lockeren Art und gern demonstrierter Volksnähe aber als „einen von uns“. Borissow trat selbst als Ministerpräsident des Landes in T-Shirt, Jeans und Jacke in der Öffentlichkeit auf und sprach gern in Umgangssprache.
Der sich selbst als Selfmademan bezeichnende Politiker führte bis zu den Winterprotesten 2013 alle Umfragen unangefochten an. Seine politischen Gegner werfen ihm vor, nur mit populistischen Botschaften punkten zu können.
Zurückrudern nach Druck aus Moskau
Politisch ist er nach wie vor äußerst umstritten. In den knapp vier Jahren seiner Amtszeit als Ministerpräsident wurde er für fehlende Kontinuität in politischen Entscheidungen bekannt. So wurde der Baustopp des umstrittenen zweiten russischen Atomkraftwerks in Bulgarien mehrmals verkündet und nach Druck aus Moskau wieder verworfen, bis das Projekt 2012 vorerst, wie es heißt endgültig, auf Eis gelegt wurde.
Und auch zum Gaspipeline-Großprojekt „South Stream“ des russischen Staatskonzerns Gasprom konnte sich Borissow lange nicht festlegen, bis er kürzlich erklärte, die Fernleitung durch Bulgarien werde unter der Bedingung gebaut, dass die EU dem Projekt zustimmt.
Vorbereitung zum Präsidentenamt?
Der sonst so redselige Borissow hielt sich während des einmonatigen Wahlkampfs auffallend zurück und mied Medienauftritte. Für den angesehenen Politikwissenschaftler Andrej Rajtschew ist das ein deutlicher Hinweis dafür, dass Borissow als sicherer Wahlsieger am 5. Oktober bereits alle Absprachen für die künftige Regierungskoalition getroffen habe, sollte seine GERB-Partei die absolute Mehrheit im Parlament verfehlen.
„Bulgarien befindet sich seit eineinhalb Jahren in einem permanenten Wahlkampf, und der Wahlausgang ist längst bekannt“, argumentierte Rajtschew. Ihm zufolge wird Borissow auf den Posten des Regierungschefs verzichten und sich auf die Präsidentschaftswahlen 2016 konzentrieren. Damit würde Bojko Borissow seinem Naturell gerecht werden. Denn würde er wieder Ministerpräsident werden, würde er die negative Assoziation der Bürger mit der Verarmung der Bulgaren während seiner Regierungszeit nicht abschütteln können.
180-Grad-Wende im Verhältnis zu DPS
Auf den richtigen Spürsinn von Borissow ist auch sein offensichtlicher Kurswechsel zur Annäherung mit der liberalen Türkenpartei DPS zurückzuführen, die in Bulgarien als „die ewige Regierungspartei“ gilt. Ein informelles Treffen zwischen Borissow und dem DPS-Parteichef Ljutwi Mestan - kurz nach den Europawahlen im Mai - gilt unter den politischen Beobachtern in Bulgarien als Wegbereiter für die jetzigen vorgezogenen Parlamentswahlen.
Borissow hatte die DPS stets als eine „Businesspartei“ kritisiert, die den Weg der Oligarchen in die große Politik erst möglich gemacht habe. Nachdem die DPS ihre Unterstützung für die Koalitionsregierung mit den Sozialisten nach deren Wahlschlappe bei der EU-Wahl abgezogen hatte, drehte sich Borissow um 180 Grad und bezeichnete die liberale Partei als die „einzige vernünftige und konstruktive“ politische Kraft im Land.
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