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Druck von EU wurde zu groß

Lange Arbeitszeiten, Überlastung, viel Bürokratie: Nicht zuletzt aufgrund dieses Alltags von Spitalsärzten hat Österreich immer mehr mit einem Ärztemangel zu kämpfen. Der nun präsentierte Entwurf zum neuen Ärztearbeitszeitgesetz könnte das ändern. Klagen und Beschwerden gibt es schon lange, doch brauchte Österreich mehr als zehn Jahre, eine EU-Richtlinie entsprechend umzusetzen.

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Denn eigentlich gibt es die EU-Arbeitszeitrichtlinie bereits seit 2003. Demnach darf die Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht überschreiten. Gerade bei Ärzten sind derzeit noch 72-Stunden-Wochen möglich. Und in manchen Fällen werden sogar diese noch überschritten, wie es von betroffenen Ärzten heißt. „Die Umsetzung der Richtlinie wurde bisher weitgehend ignoriert, weil massive Systemänderungen notwendig sind“, ist der Arzt und stellvertretende Betriebsrat im Wiener AKH, Martin Andreas, gegenüber ORF.at überzeugt.

„Österreich hinkt hier hinterher“, ist auch Udo Janßen, stellvertretender Generaldirektor des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV), im ORF.at-Interview überzeugt. Nun wurde der Druck auf Österreich offenbar zu groß. Die EU hatte mit Strafzahlungen in Millionenhöhe ab kommendem Jahr gedroht, sollte die Arbeitszeitrichtlinie nicht eingehalten werden. Die Umsetzung beschleunige sicher den notwendigen Systemwandel im Spitalswesen in Österreich, ist der gebürtige Deutsche überzeugt.

Proteste in Kärnten

Ab Anfang 2015 sollen nun die zulässigen Arbeitszeiten auch für Ärzte reduziert werden - mit Übergangsfristen bis 2021. Die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) spricht von einem „lebbaren Entwurf“. Obwohl in einigen Bundesländern die sofortige Umsetzung der verkürzten Arbeitszeit gefordert wird.

So hielten etwa am Donnerstag Ärzte in Kärnten Betriebsversammlungen aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen ab - mehr dazu in kaernten.ORF.at. Der Chef der Oberösterreichischen Ärztekammer, Peter Niedermoser, forderte im Interview mit den „Oberösterreichischen Nachrichten“ ebenfalls, auf Übergangsfristen zu verzichten und sofort die 25-Stunden-Regel - maximal 25 Stunden ununterbrochener Dienst - einzuführen. Der Wiener Spitalsbetreiber KAV möchte individuell kürzere Übergangszeiten einführen.

30 bis 40 Prozent Gehaltseinbußen

Für AKH-Arzt Andreas sind die Übergangsfristen nachvollziehbar. Er bezeichnet die Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie als „erfreuliche Notwendigkeit“, die allerdings mit einem radikalen Systemwechsel in den Spitälern einhergehen müsse. Besonders unterstreicht Andreas hier die Anhebung des Grundgehalts: „Mit der verpflichtenden Stundenreduktion würde sich das Einkommen um 30 bis 40 Prozent reduzieren. Es darf künftig nicht weniger als jetzt auf dem Gehaltszettel stehen.“

Auch für Janßen als Spitalsbetreiber, ist es „undenkbar“, dass die Änderungen ohne Anhebung des Zahlungssystems erfolgen: „Kein Arzt darf von der Umstellung belastet werden.“ Janßen rechnet damit, dass mit einem effizienteren Arbeitszeitmodell - weniger Bereitschafts- und mehr Tagdienste - auch die Kosten nicht steigen werden. Einen Mehrbedarf an Personal erwartet er nicht.

Blutdruck messen durch Ärzte

Andreas rechnet ebenfalls nicht damit, dass mehr Ärzte eingestellt werden müssen, dafür aber mehr Personal im Pflege- und Administrationsbereich. Voraussetzung für die Umsetzung der neuen Arbeitszeitregelung sei, dass die Ärzte von Dokumentations- und reinen Pflegetätigkeiten entlastet werden und sich auf ärztliche Aufgaben konzentrieren können: „Ärzte sollen nicht mehr Blutdruck messen, Infusionen anhängen und Blut abnehmen. Das ist Aufgabe des Pflegepersonals“, fordert Andreas.

Dass sich diese Pflegeaufgaben in den letzten Jahren in Richtung Ärzte verschoben hätten, liege an der Ärzteschwemme in den 90er Jahren. Andreas: „Damals waren Turnusärzte billiger als Pflegekräfte.“ Mit dem Ärztemangel müsse sich dieses System nun wieder umdrehen. Einige Bundesländer setzten es bereits um. Für Wien wurde es zumindest mit Anfang des kommenden Jahres versprochen.

Sollten die neuen Arbeitszeiten nicht mit einem veränderten Spitalsalltag einhergehen, rechnet Andreas nicht mit Protesten auf der Straße. Aber: „Die Änderungen im System müssen kommen. Sonst gehen die Ärzte ins Ausland. Der Markt reguliert sich selbst.“

Simone Leonhartsberger, ORF.at

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