Kurden wehren Angriffe noch ab
Seit Wochen wird Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) belagert. In den vergangenen Tagen wurde ein Fall der syrisch-türkischen Grenzstadt immer wahrscheinlicher. Jetzt will die Türkei den eingeschlossenen kurdischen Kämpfern zu Hilfe kommen.
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„Wir werden tun, was immer wir können, damit Kobane nicht fällt“, sagte der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu in einem Fernsehinterview am Donnerstagabend. „Wir haben unsere Arme für unsere Brüder aus Kobane ausgebreitet“, so Davutoglu. Aus Ain al-Arab und den Dutzenden umliegenden Dörfern, die alle schon von IS-Truppen erobert wurden, sind 160.000 Menschen in die Türkei geflüchtet.
Einzelheiten, wie die Türkei den IS an der Erstürmung Ain al-Arabs hindern will, blieb der türkische Ministerpräsident zunächst schuldig. Zwar gab das Parlament am Donnerstagabend grünes Licht für Einsätze des Militärs in den beiden Nachbarländern Syrien und Irak. Wann diese starten könnten, ist jedoch noch völlig offen.
Gefechtslärm und dichter Rauch
Viel Zeit dürfte der Türkei aber nicht mehr bleiben. Laut der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte rückten IS-Kämpfer bereits bis auf einige hundert Meter an die Stadtgrenze heran. Es gebe Befürchtungen, dass Ain al-Arab jeden Moment in die Hände der Dschihadisten fallen könne, sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel Rahman.

APA/EPA/Sedat Suna
IS-Truppen beschießen Ain al-Arab mit Granaten
Aus der Stadt schallte Freitagfrüh Gefechtslärm in die Türkei, dichter Rauch war zu sehen. Die kurdischen Volksschutzeinheiten wehrten nach eigenen Angaben drei Angriffe der Extremisten ab. Die Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, die IS-Kämpfer hätten seit Freitagfrüh rund 60 Granaten auf die Stadt abgefeuert. Den Kurden sei es gelungen, zwei IS-Fahrzeuge zu zerstören. Die Beobachtungsstelle widersprach zugleich Meldungen, die Extremisten seien von Süden her in die Stadt vorgestoßen.
Auch Pentagon-Sprecher John Kirby bestätigte, dass IS mit den Angriffen immer heftigeren Druck auf Ain al-Arab ausübt. „In einigen Gegenden schreiten sie sicherlich voran“, sagte Kirby dem Nachrichtensender CNN am Freitag. Andernorts werde die Terrormiliz aber von den Kurden und den irakischen Sicherheitskräften in Schach gehalten, sagte Kirby. Er verwies zugleich auf die mehr als 330 Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten gegen IS.
Kurden fordern verstärkte Luftangriffe
Die Effektivität der bisherigen Luftschläge kritisierte am Freitag die stellvertretende Vorsitzende der syrisch-kurdischen Partei der demokratischen Union (PYD), Asia Abdullah. Sie forderte von der internationalen Allianz gegen IS, die Kämpfer der Terrormiliz nun direkt an der Frontlinie in Ain al-Arab zu bombardieren. Das von den USA geführte Bündnis habe in der Nacht auf Freitag nur Ziele weit entfernt von Ain al-Arab bombardiert, so Abdullah.

AP/Burhan Ozbilici
Türkische Soldaten warten an der Grenze zu Syrien auf ihren Einsatz
Zugleich warnte Abdullah die Türkei vor einem einseitigen Eingreifen. Sollte das türkische Militär in Syrien aktiv werden, müsse das eine „internationale Entscheidung“ sein, sagte sie. Die PYD steht der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) nahe, die in der Türkei verboten ist. Sie ist zudem mit den kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG) verbunden, die Ain al-Arab seit Tagen gegen die Terrormiliz verteidigen.
Letzte kurdische Bastion in Nordsyrien
In der Stadt bereiteten sich die Volksschutzeinheiten auf Straßenkämpfe vor. Viele Menschen verließen aus Angst vor einem Massaker die Stadt. Nach Angaben des Chefs der selbst ernannten Regionalregierung von Ain al-Arab, Anwar Muslim, stellen sich 5.000 bis 6.000 Kurden den IS-Extremisten entgegen. Zudem seien noch einige tausend Zivilisten in der Stadt.
Ain al-Arab ist die letzte Bastion in einer Enklave, die bisher von kurdischen Verbänden kontrolliert wurde. Sie sind mit der YPG, dem syrischen Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), verbunden. IS herrscht bereits über mehr als 300 Dörfer im Umland. Bis vor ein paar Wochen hatten die Kurden ihr Territorium in Nordsyrien fast lückenlos verteidigen können. Im Zuge des Vormarsches der mit modernsten Waffen und Panzern ausgestatteten Islamisten schmolz der Widerstand bis auf Ain al-Arab zusammen, wo er nun auch einbricht.
Iran kritisiert möglichen türkischen Einsatz
Kritik an den türkischen Plänen äußerte der Iran. „Zumindest die Länder in der Region sollten nicht etwas unternehmen, was die Lage weiter eskalieren würde“, sagte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif laut iranischem Staatsfernsehen am Freitag. Man sollte verantwortungsvoll auf die derzeitige Situation reagieren und sie nicht noch komplizierter machen, sagte er demnach in einem Telefonat mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu.
Dabei wird der internationale militärische Druck auf IS immer stärker. So wird sich auch Australien an den Luftangriffen im Irak beteiligen. Nach Angaben von Ministerpräsident Tony Abbott billigte das Kabinett am Freitag den Einsatz von Kampfflugzeugen auf Bitten der irakischen Regierung. Der IS habe der Welt den Krieg erklärt, und die Welt antworte darauf, sagte Abbott. Das Kabinett stimmte zugleich der Entsendung von Spezialkräften zu. Die Soldaten sollen die Iraker beraten. Mehrere australische Kampfflugzeuge sind derzeit in den Vereinigten Arabischen Emiraten stationiert. Seit Monatsbeginn hatten australische Maschinen den Kampf gegen den IS im Irak mit Aufklärungs- und Tankflügen unterstützt.
Dringender Appell des Europarats
Der Europarat forderte am Donnerstag, die internationale Gemeinschaft solle sofort eingreifen, um in Ain al-Arab eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Die bisherigen Leistungen seien nicht ausreichend. Die Mitgliedsländer wurden aufgefordert, „ihre Hilfe für Flüchtlingslager im Irak, in Syrien, Jordanien, dem Libanon und der Türkei aufzustocken und auszuweiten“. Unter UNO-Aufsicht solle ein ausreichend finanziertes Programm auf die Beine gestellt werden, um die zerstörten Ortschaften in den betroffenen Regionen wiederaufzubauen.
Unterdessen stieg die Zahl der Opfer eines Doppelanschlags auf eine Schule der zentralsyrischen Stadt Homs weiter. Laut der Beobachtungsstelle wurden 48 Menschen getötet, darunter 41 Schulkinder. Die Schule liegt in einem überwiegend von Alawiten bewohnten Viertel - einer schiitischen Glaubensgemeinschaft, der auch Syriens Machthaber Baschar al-Assad angehört. Zu dem Anschlag bekannte sich zunächst niemand, doch ist das Viertel häufiges Ziel von Angriffen radikalislamischer Gruppierungen oder laizistischer Rebellen.
IS auch im Irak wieder auf dem Vormarsch
Die USA hatten in der vergangenen Woche ihre Luftangriffe auf IS-Kämpfer vom Irak auf Syrien ausgedehnt. Fünf arabische Staaten und mehrere europäische Länder unterstützen sie dabei. Ziel der Koalition ist es, die Terrormiliz zu zerstören. Die USA wollen dafür auch gemäßigte syrische Rebellen ausbilden, die IS und das syrische Regime in Damaskus bekämpfen. Der US-Gesandte für das internationale Bündnis, John Allen, sagte gegenüber dem Fernsehsender CNN jedoch, das „könnte Jahre dauern“.
Zuletzt hatte es danach ausgesehen, als sei das Engagement der Koalition zumindest im Irak erfolgreich. Mit Unterstützung durch Luftschläge war es kurdischen Verbänden - auch dank den aus mehreren westlichen Ländern gelieferten Waffen - zuletzt gelungen, einige Dörfer von IS zurückzuerobern. Auch im Irak konnte die Terrormiliz zuletzt aber wieder Zugewinne erzielen. Laut Angaben aus der Stadt Hit in der Landesmitte wurden am Donnerstag „90 Prozent der Stadt von den Kämpfern überrannt“.
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