Themenüberblick

Skandal weitet sich aus

Nach den bekanntgewordenen Misshandlungen von Flüchtlingen durch private Sicherheitsleute in mehreren deutschen Asylunterkünften wird der Ruf nach Konsequenzen laut. Vor allem der Einsatz privater Unternehmen in der Flüchtlingsbetreuung geriet in die Kritik.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Der Skandal in Nordrhein-Westfalen weitete sich am Montag weiter aus, nachdem am Wochenende bekanntgeworden war, dass in einer Notunterkunft in Burbach im Siegerland Asylbewerber von Mitarbeitern eines privaten Sicherheitsdienstes misshandelt worden sein sollen. Auf einem von der Polizei veröffentlichten Handyfoto sind zwei Sicherheitsleute sowie ein gefesselt auf dem Boden liegender Mann zu sehen. Ein Wachmann drückt dem Opfer seinen Stiefel ins Genick.

Sicherheitskräfte misshandeln Asylwerber

APA/dpa/Polizei Nordrhein-Westfalen

Die Polizei gab ein sichergestelltes Handyfoto frei

Verdächtige vorbestraft

Zudem existiert ein Video, in dem ein Mann aufgefordert wird, sich auf eine Matratze mit Erbrochenem zu legen. In mindestens drei Unterkünften soll es zu Misshandlungen gekommen sein, wie am Montag sukzessive bekanntwurde. In Burbach stieg die Zahl der beschuldigten Wachmänner von vier auf sechs, hinzu kamen Verdachtsfälle in Essen und Bad Berleburg.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung. Mindestens zwei der Verdächtigen sind demnach polizeilich bekannt und vorbestraft. Die Staatsanwaltschaft ermittelt zudem gegen mehrere weitere Sicherheitsleute wegen Verstößen gegen das Waffengesetz.

„Aus der Not wird ein Geschäft gemacht“

Die bekanntgewordenen Übergriffe sorgten am Montag für heftige Debatten. Kritiker werfen den staatlichen Aufsichtsstellen erhebliche Versäumnisse vor. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, kritisierte mit Blick auf die mutmaßlichen Misshandlungen im ZDF-„Morgenmagazin“, es sei eine „hoheitliche Aufgabe“ auf ein „gewinnorientiertes Unternehmen“ übertragen worden. Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt erklärte: „Aus der Not der Flüchtlinge wird ein Geschäft gemacht und an Sozialarbeitern gespart.“

„Es reicht eben nicht, jemanden für fünf Euro pro Stunde an eine Tür zu stellen, nur weil er Muskeln hat“, so der Bundesvorsitzende der der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, am Montag. Wer, anstatt das Hausrecht durchzusetzen, „menschenverachtende Gewalt“ anwende, müsse bestraft werden.

Von Strasser betraut

Die Firma war zwischen 2002 und 2010 auch in Österreich in der Flüchtlingsbetreuung tätig und unter anderem für das Erstaufnahmelager Traiskirchen zuständig. Beauftragt wurde das Unternehmen vom damaligen ÖVP-Innenminister Ernst Strasser. 2010 kündigte EHC den Vertrag mit dem Innenministerium, weil sich angesichts sinkender Asylwerberzahlen die Aufgabe nicht mehr gerechnet hatte.

Betreiber „betroffen und schockiert“

Die Notunterkünfte in Burbach und Essen sind Einrichtungen des Landes. Von dort werden die Flüchtlinge nach der Erstaufnahme auf die Kommunen verteilt. Betrieben werden beide Heime von der Firma European Homecare (EHC) aus Essen. EHC zeigte sich am Montag „betroffen und schockiert“. Er könne „nur um Entschuldigung bitten“, erklärte Geschäftsführer Sascha Korte. Das Unternehmen beendete nach eigenen Angaben die Zusammenarbeit mit der Wach- und Sicherheitsgesellschaft SKI bis zur Klärung der Vorwürfe in Nordrhein-Westfalen. Es will demnach zudem interne Prozesse und Strukturen überprüfen.

Das private Unternehmen führt nach eigenen Angaben seit 1989 deutschlandweit rund 40 Einrichtungen für Asylwerber und Flüchtlinge. In den Unterkünften stellt EHC Hausmeister, Küchenpersonal, Sozialbetreuer und teilweise auch medizinisches Personal. Der Sicherheitsdienst wird laut EHC grundsätzlich nicht von eigenen Mitarbeitern erbracht, sondern entweder von den Behörden direkt übernommen oder an andere Unternehmen vergeben.

„Wer Kriminelle beschäftigt, fliegt raus“

Die Bezirksregierung Arnsberg will nach eigenen Angaben EHC stärker in die Verantwortung nehmen. Das Unternehmen soll etwa belegen, dass dort nur geprüftes Sicherheitspersonal mit Führungszeugnis die Flüchtlinge schützt. „Wer Kriminelle beschäftigt, die Gewalt gegen Asylbewerber ausüben und sie drangsalieren, fliegt raus“, sagte der Präsident der Bezirksregierung Arnsberg, Gerd Bollermann in Richtung SKI.

Die gefeuerte Sicherheitsfirma sicherte Polizei und Staatsanwaltschaft am Montag ihre Unterstützung zu. Die bekanntgewordenen Fälle seien „niederträchtig“, erklärte das Unternehmen. Es seien unmittelbar arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen worden.

Steigende Asylwerberzahlen

Stark steigende Asylwerberzahlen stellen die Behörden derzeit vor Herausforderungen. Viele Einrichtungen sind überbelegt. Bis August 2014 beantragten insgesamt 99.592 Menschen in Deutschland Asyl. Im Gesamtjahr erwartet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 200.000 Bewerber.

Amnesty: Management auf den Prüfstand

Die deutsche Sektion von Amnesty International erklärte, die Behörden sollten die Vorfälle zum Anlass nehmen, um ihr gesamtes Management der Unterbringung, Versorgung und Bewachung auf den Prüfstand zu stellen. Die Amnesty-Expertin für den Schutz vor Folter und Misshandlung, Maria Scharlau, sagte: „Dass schutzsuchende Personen von dem Sicherheitspersonal, das sie bewachen soll, misshandelt und gedemütigt werden, ist ein empörender Machtmissbrauch.“

CDU beschuldigt rot-grüne Landesregierung

Die deutsche Regierung drängte am Montag auf rasche und umfassende Aufklärung der Vorwürfe. Wenn tatsächlich Flüchtlinge misshandelt und gedemütigt worden seien, „wären das widerwärtige Taten“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. In Deutschland werde die Würde des Menschen geachtet, „und genau das muss sich auch in Asylbewerberheimen und Flüchtlingsunterkünften bewahrheiten“. Seibert hob hervor, die Vorwürfe müssten von den zuständigen Stellen rasch und gründlich „aufgearbeitet und aufgeklärt werden“.

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) forderte ebenfalls eine zügige Aufklärung der Übergriffe. „Wir dulden keine Gewalt gegen Asylsuchende. Wer Menschen in Not bedroht und schikaniert, muss hart bestraft werden“, sagte er. Die nordrhein-westfälische CDU machte indes die rot-grüne Landesregierung für die Misshandlung von Flüchtlingen mitverantwortlich. „Die Regierung hat die Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen“, sagte CDU-Landeschef Armin Laschet.

Links: