Moskau: „Nur Lebensmittel“
Drei Wochen nach der ersten umstrittenen Hilfslieferung in die Ostukraine haben 220 Fahrzeuge eines zweiten russischen Konvois die Grenze passiert. Laut der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurden die Lkws weder vom ukrainischen Grenzschutz und Zollbeamten noch vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) inspiziert.
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Eine erste Gruppe von 40 Fahrzeugen sei „schnell“ von den russischen Grenzschutz- und Zolldiensten überprüft worden, so die OSZE. Die 180 weiteren Fahrzeuge seien überhaupt nicht untersucht worden. „Alle Fahrzeuge überquerten die Grenze in der Ukraine, ohne dass sie vom ukrainischen Grenzschutz und Zollbeamten oder vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) inspiziert wurden.“ Eine IKRK-Sprecherin erklärte zudem, der Konvoi werde nicht von IKRK-Angehörigen begleitet.
Laut dem russischen Ministerium für Notfallsituationen (MES), transportiere der Konvoi Richtung Lugansk „nur Lebensmittel“, so die OSZE. Zuvor war auch von der Lieferung von Medikamenten, Diesel, Stromgeneratoren und Decken die Rede.
Teil der Waffenruhevereinbarung
Moskau hatte Mitte August einen ersten Hilfskonvoi ohne Zustimmung der ukrainischen Regierung in die von prorussischen Rebellen kontrollierten Gebiete geschickt. Die Lastwagen waren tagelang an der Grenze festgesteckt und hatten erst am 22. August ihr Ziel erreicht. Die Ukraine und die Europäische Union verurteilten das eigenmächtige Vorgehen Russlands damals.
Eine Vereinbarung zwischen Kiew und den Separatisten vom vorvergangenen Freitag über eine Waffenruhe sieht vor, die notleidende Bevölkerung in Donezk und Lugansk mit humanitärer Hilfe zu versorgen. Moskau hatte nach dem Zustandekommmen der Vereinbarung angekündigt, einen neuen Hilfskonvoi in die Ostukraine zu schicken. Dass die Kontrollen dabei erneut nicht eingehalten wurden, könnte nun neuerlich den Konflikt weiter anfachen lassen.
Rauchsäule über Flughafen von Donezk
Dabei ist die gut einwöchige Waffenruhe zwischen Regierungssoldaten und Rebellen ohnedies äußerst brüchig. In der Nähe des Flughafens von Donezk war am Samstag heftiges Artilleriefeuer zu hören, und eine schwarze Rauchsäule stieg über dem Gebiet auf, wie ein Reporter berichtete. Das Militär hat den Flughafen unter Kontrolle, die Stadt ist aber in der Hand prorussischer Separatisten. Nach eigenen Angaben war die ukrainische Armee bereits in der Nacht auf Samstag am Donezker Flughafen unter Beschuss von Rebellen geraten.
Jazenjuk: Russland will Ukraine
Unterdessen warf der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk Russlands Staatschef Wladimir Putin vor, die Ukraine als unabhängigen Staat auslöschen zu wollen. Putin wolle nicht nur die Separatistenhochburgen im Osten, sondern „die ganze Ukraine einnehmen“, sagte Jazenjuk am Samstag in Kiew. Dem Kreml-Chef gehe es nicht nur um die Separatistenhochburgen Donezk und Lugansk. Putin akzeptiere die Annäherung der Ukraine an die EU nicht. „Er will die Sowjetunion wiederherstellen“, sagte Jazenjuk.
EU-Freihandel mit Ukraine verschoben
Die EU war Moskau zuvor am Freitag überraschend entgegengekommen: Die Umsetzung des von Russland scharf kritisierten Freihandelsabkommens zwischen Brüssel und Kiew wurde auf Ende nächsten Jahres verschoben, wie EU-Handelskommissar Karel de Gucht nach Gesprächen mit ukrainischen und russischen Ministern mitteilte. Die Zeit soll für Verhandlungen genutzt werden, um den russischen Einwänden gegen das Abkommen zu begegnen. Russland befürchtet durch den Zustrom von EU-Gütern über die Ukraine negative Auswirkungen auf seine Wirtschaft.
Am Freitag trat auch ein weiteres Sanktionspaket der EU in Kraft. Den russischen Konzernen Rosneft, Transneft und Gasprom sowie mehreren Rüstungsunternehmen und Banken wird die Kreditaufnahme in der EU erschwert. Betroffen sind auch 24 Einzelpersonen, die mit Einreiseverboten und Kontensperren belegt wurden. Auch die USA verschärften ihre Strafmaßnahmen.
Moskau erwägt Einfuhrverbote für technische Geräte
Moskau reagierte mit scharfer Kritik und Drohungen. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew sagte am Freitagabend, dass Einfuhrverbote für technische Geräte beschlossen werden könnten. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf der EU vor, sie habe sich offenbar bewusst entschieden, den Friedensprozess in der Ukraine „zu schädigen“. Die Sanktionen seien erlassen worden, während sich die Verhandlungen über ein Ende des Konflikts stabilisierten.
Kreml-Chef Wladimir Putin kritisierte die Strafmaßnahmen des Westens als „wenig effektiv“ und „antirussisch“. Ironisch sagte er zur Ausweitung der Reisebeschränkungen: „Je weniger unsere Beamten und Unternehmenschefs ins Ausland reisen und je mehr sie sich stattdessen um die laufenden Geschäfte kümmern, desto besser.“
Kurz gegen Kiewer Mauerpläne
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) sagte in der ZIB2, die EU sei bereit, die Sanktionen „rasch wieder zurückzunehmen“, wenn die Bereitschaft für einen dauerhaften Waffenstillstand gegeben sei. „Derjenige, der den Konflikt gestartet hat, ist Putin“, betonte der Außenminister.

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Kurz bei der Verleihung des M100 Media Awards mit Witali Klitschko und Potsdams Bürgermeister Jann Jakobs
Zugleich übte er scharfe Kritik an ukrainischen Plänen, eine 2.300 Kilometer lange Mauer zu Russland zu bauen. Das sei ein „absolut abzulehnendes Projekt“, so Kurz. Der Kiewer Bürgermeister Witali Klitschko, dem am Freitag in Potsdam der M100 Media Award verliehen wurde, hatte zuvor die Pläne verteidigt.
Es sei nachvollziehbar, dass das Land angesichts des Konflikts ein großes Bedürfnis nach Sicherheit habe, sagte Kurz bei einem ZIB2-Interview aus Potsdam, wo er für Klitschko die Laudatio hielt. Aber neue Mauern brauche man in Europa „definitiv nicht“ - mehr dazu in tvthek.ORF.at.
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