Neuigkeiten, alte Schule
Rauf, runter, rauf, runter - der Aktienkurs von Apple nach der lange erwarteten Präsentation neuer Produkte des Computerkonzerns spiegelte die Ratlosigkeit der Branche wider: Sind die neuen iPhones und die Apple Watch ein Geniestreich oder der Beleg dafür, dass es mit Apple bergab geht? Egal, wer am Ende recht behalten wird - Apple zeigt mit der Taktik hinter den Neuheiten Traditionsbewusstsein.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Viel war im Vorfeld der Präsentation darüber spekuliert worden, ob Firmenchef Tim Cook mit den ersten wirklichen Neuerungen in Apples Portfolio seit dem Tod von Firmengründer Steve Jobs dessen Linie fortsetzen oder demonstrativ neue Wege gehen würde. Diese Frage ist jetzt geklärt: Cook steht knietief in Jobs’ Fußstapfen - vom zittrigen Börsenwert der Firma am „Tag danach“ bis zur Tatsache, dass die präsentierten Neuheiten in Wirklichkeit so neu gar nicht sind.
Der große Reanimator der toten Geräteklassen
Auch einige der größten Erfolge von Jobs, der postum zum dauerinnovativen Cyberheiligen verklärt wurde, waren neu verquirlte Ideen, die auch andere zuvor hatten - zuletzt das iPad. Tablets galten im Jahr 2010 als gescheiterte Produktidee, als Jobs die Apple-Variante davon vorlegte und damit ungläubiges Staunen, Gelächter über das „riesengroße iPhone“ und einige Zweifel an seiner Urteilsfähigkeit erntete. Doch die Details machten offenbar den Unterschied, Apple noch reicher und eine totgeglaubte Geräteklasse zum neuen Standard.

AP/Marcio Jose Sanchez
„Eines noch ...“: Cook stellt die Apple Watch mit Jobs’ Lieblingsphrase vor
Vier Jahre später präsentierte Cook nun größere Ausgaben seines iPhone, die Inkorporation der kontaktlosen Funkbezahltechnologie Near Field Communication (NFC) und eine hauseigene Smartwatch. Damit legte er einmal mehr Produkte vor, die bei der Konkurrenz schon Alltag sind oder sich dort als Ladenhüter erwiesen haben. Und wieder will Apple mit eigensinnigem Design, Bedienerfreundlichkeit und Verspieltheit in einem Rennen siegen, in das die Firma reichlich spät startet.
Für Leute ohne riesige Daumen und Minizeigefinger
Die neuen größeren iPhones können als Beispiel dienen. Hatte sich Apple bisher stur gegen den Trend gewehrt, steigt die Firma nun mit einem Gimmick ein, mit dem sie alle anderen Anbieter ausstechen will: Doppelklicks etwa lassen die wichtigsten Inhalte des Schirms auf die untere Hälfte zusammenschrumpfen. Damit soll das neue iPhone das einzige sein, das sich bequem auch mit nur einer Hand bedienen lässt, außer man hat zwölf Zentimeter lange Daumen an der Hand.
Die Apple Watch wiederum wartet mit einer tatsächlich einigermaßen innovativen Benutzerführung auf. Auf das für Smartphones übliche Hin- und Herwischen wird größtenteils verzichtet. Stattdessen lassen sich die meisten Funktionen der Apple Watch über eine klassisch gestaltete Uhrenkrone steuern. Damit wird ein Minus von Smartwatches der Konkurrenz vermieden, die wiederum nur mit Zeigefingern in Miniaturgröße gut zu bedienen wären.
Hauptsache, der Spieltrieb ist befriedigt
Dazu kommt, dass Apple die Uhr in verschiedenen Größen und Designvarianten anbieten will und damit offenbar verstanden hat, dass vielen Käufern einer Uhr - ob „smart“ oder nicht - das Aussehen mindestens so wichtig ist wie die Funktion. Unkenrufe, wer denn pausenlos Pulsmesserfunktionen und Höhenmeteranzeigen braucht, kann man wohl vernachlässigen: Hauptsache, der Spieltrieb wird befriedigt. Man denke nur an all die Uhren mit Taucherlünette, die höchstens beim Kontakt mit Spülwasser nass werden.

AP/Marcio Jose Sanchez
Die geladenen Gäste der Apple-Präsentation dürfen die Smartwatch bewundern
Nüchtern kalkuliert wurde allerdings die Einbindung der NFC-Technik. Gepaart mit dem Fingerabdruckscanner des iPhone soll künftig ein Tastendruck in unmittelbarer Nähe einer Kasse genügen, um über „Apple Pay“ in der realen Welt zu zahlen. Der Vorstoß lässt die Handschrift des Finanztaktikers Cook erkennen. Auch Modelle der Konkurrenz verfügen über NFC, Cook sicherte sich jedoch vorab die Unterstützung aller großen Kreditkartenfirmen und Banken und hat über iTunes ohnehin schon Millionen Kreditkartendaten gebunkert.
Was unter Cook anders ist
Trotzdem gibt es entscheidende Unterschiede zu Jobs’ Stil. Zum einen war es vor allem dessen sturer Glaube an das eigene Gespür, der die Firma zwar oft bis an die Grenze des Ruins brachte, aber letztlich zum Erfolg machte. Was aber die größeren iPhones und das teils protzige und für Apple untypische Design der hauseigenen Smartwatch angeht, folgt Cook brav den bereits vorhandenen Wünschen seiner Kundschaft und gibt vor allem in Hinblick auf den asiatischen Markt den getreuen Diener seines Herrn.

AP/Marcio Jose Sanchez
U2, seit Jahren mit Apple assoziiert, machten bei der Präsentation Hausmusik
Zum anderen achtete Jobs immer darauf, nicht auf andere angewiesen zu sein, und schuf gerade mit seiner abgeriegelten Apple-Welt aus Produkten, Apps und iTunes den Grundstein des heutigen Erfolgs. Das gibt Cook mit dem NFC-Vorstoß, der ohne Partner und entsprechende Deals mit ihnen undenkbar wäre, auf. Schon jetzt erklärten ein paar der großen US-Handelsketten, sie würden nie und nimmer „Apple Pay“ akzeptieren, da sie mit eigenen Apps nahe am Kunden sein und entsprechende Bindung schaffen wollen.
Ein Hacker im Saphirglas
So unentschieden die Börsen sind, ob Cooks Poker gelingt, so düster sehen einige Branchenauguren die Lage, und das wegen eines winzigen Details: Saphirglas. Die praktisch unzerkratzbare Oberfläche ist der letzte Schrei bei Smartphones, und Apple will seine Uhren ohnehin mit Saphirglas ausstatten. Dass es das neue iPhone - etwa in einer Luxusvariante, die noch dazu den „Ich bin etwas Besseres“-Reflex vieler Apple-Kunden befriedigen würde - nicht mit Saphirglasoberfläche geben wird, ist demnach ein unheilkündender Hacker, der Jobs nie passiert wäre.
Lukas Zimmer, ORF.at
Link: