„Warum machst Du nicht was G’scheites?“
Würden sich fünf Lehrlinge vorstellen kommen, und die wären alle „gut“, dann würde er sie gleich alle nehmen, sagt der Betriebsleiter der Schuhmanufaktur Ludwig Reiter, Damir Imsirovic. Das passiert aber nicht. Derzeit wird in dem Wiener Traditionsunternehmen nur ein Lehrling ausgebildet. Imsirovic weiß, wovon er spricht, wenn er über Lehrlinge redet, bevor er Geselle, Abteilungsleiter und schließlich Betriebsleiter wurde, war er selbst einer - der erste in dem Betrieb noch dazu.
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Das war vor 20 Jahren. Von den zwölf bis 13 Lehrlingen, die seither ausgebildet wurden, sind nur zwei oder drei tatsächlich im Betrieb geblieben, so Imsirovic im Gespräch mit ORF.at. Das ist nicht gerade das, was sich das Unternehmen wünscht. Denn dass Ludwig Reiter Lehrlinge selbst ausbildet, hat vor allem einen Grund: Der Betrieb stellt seine maßgefertigten Schuhe nach einem klassischen, sehr alten Verfahren her, das spezielle Kenntnisse erfordert: Sie werden rahmengenäht. Nicht viele Betriebe machen das noch - für Nachwuchs muss Ludwig Reiter deshalb selbst sorgen.
„Glauben viele, man hämmert vor sich hin“
Viele Lehrlinge kämen während oder nach Abschluss der Lehre drauf: „Das ist doch nichts für mich.“ Warum? Imsirovic glaubt, dass Jugendliche einfach zu früh eine Entscheidung über ihre Berufswahl treffen müssen, weil sie noch nicht die vielfältigen Möglichkeiten kennen. Er selbst hat seine Lehre erst mit 20 begonnen, und wollte davor eigentlich auch etwas anderes machen.

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Rahmennähen - das ist die Spezialität des Unternehmens Ludwig Reiter. Schon 1885 wurden Offiziersschuhe nach diesem Prinzip gefertigt. Dass die Schuhmanufaktur fast 130 Jahre nach ihrer Gründung an der Traditionsmachart festhält, zahlt sich offenbar aus: Die Nachfrage ist nach eigenen Angaben groß.
Jennifer Mühlhauser, die eigentlich Kürschnerin gelernt hat und nun Abteilungsleiterin bei Ludwig Reiter ist, hat noch eine andere Erklärung parat: Der Bezug zu dem Beruf sei nicht mehr da. „Die Leute gehen zu Deichmann und kaufen sich ihre Schuhe dort.“ Was es bedeutet; einen Schuh herzustellen, wie viel Arbeit und Detailliebe dahintersteckt, sieht man einem 20-Euro-Schuh eben nicht an. Außerdem, so glaubt sie, sei vielen die körperliche Betätigung schlicht zu anstrengend. Ähnlich sieht das Imsirovic - das Image des Schuhmacherberufs sei verfälscht. „Da glauben viele noch, man sitzt irgendwo in einem kleinen Zimmer und hämmert vor sich hin“.

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Damir Imsirovic findet, dass 14 oder 15 einfach zu jung ist, um sich für eine Berufslaufbahn zu entscheiden. Von einer Schuhmacherkarriere hat er in dem Alter auch nicht geträumt - er wollte Journalist werden.
200 bis 300 Arbeitsschritte bis zum Schuh
Schuhmacher zu sein heißt nicht nur, Sohlen auf Oberteile zu hämmern, wie bei einem Rundgang durch die Produktion klar wird. Vom Ausstanzen oder Ausschneiden des Leders, Zusammennähen der Lederteile und des Futters, dem plastischen Formen, dem Rahmennähen über das Fräsen der Sohlenkante und das Anbringen des Absatzes bis zur Endbehandlung braucht es 200 bis 300 Arbeitsschritte, erst dann ist ein handgefertigter Schuh fertig. Die Mitarbeiter in der Produktion sind fast alle auf allen Maschinen eingelernt - der Abwechslung halber wird durchgetauscht.
Nur zwölf Betriebe in ganz Österreich bilden derzeit Schuhmachernachwuchskräfte aus, das AMS bewertet die Lage auf dem Arbeitsmarkt für sie als „ungünstig“. Heimische Betriebe könnten der Konkurrenz aus dem Ausland nicht standhalten, Arbeitsplätze gingen verloren. Und das, obwohl die Nachfrage nach Maßschuhen in den Städten gestiegen ist. Die Zahl der Lehrlinge ist laut AMS jedenfalls „massiv zurückgegangen“. Weibliche Lehrlinge gebe es überhaupt nur noch vereinzelt. Ludwig Reiter fällt aus dem Muster heraus - er hätte gern so viele Lehrlinge „wie möglich“, sagt Betriebsleiter Imsirovic mit einem Schmunzeln.
Wunsch nach flexibleren Arbeitsgesetzen
Allerdings - einen guten Lehrling zu finden sei „sehr schwierig“. Das große Jammern über mangelhafte Allgemeinbildung von Lehrlingen kann Imsirovic nachvollziehen - schon Grundrechnungsarten seien oft eine Herausforderung. Dass ein Betrieb einen Lehrling, wenn er erst einmal über das Probemonat hinausgekommen ist, auch bei gröberen Problemen volle drei Jahre lang beschäftigen muss, sieht er als Nachteil - da „überlegt man es sich dreimal“, jemanden einzustellen. Er wünscht sich, dass die Regelung gelockert wird.
„Schöner Handwerksberuf“, den nur wenige lernen
Entgegen den Statistikzahlen ist der einzige Lehrling, der derzeit in dem Schuhmacherbetrieb arbeitet, eine Frau. Manuela zählt zu einer Minderheit - in den letzten Jahren war nicht einmal ein Drittel der Schuhmacherlehrlinge weiblich. Ihr erster Wunsch war es allerdings auch nicht, Schuhmacherin zu werden - eigentlich hat sie im Verkauf gelernt, das sei aber nichts für sie gewesen. Zu der Schuhmacherlehre bei Ludwig Reiter kam sie dann über das AMS. Ihren Job findet sie toll - es sei ein „schöner Handwerksberuf“.

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Manuela lernt die Arbeitsschritte vom Lederstanzen bis zum Zusammenbauen. Hier bereitet sie ein Oberteil für das Zusammennähen vor.
Imsirovic wünscht sich ebenso wie Lehrling Manuela, dass Schülern die Möglichkeiten von Lehrberufen besser aufgezeigt werden: durch Schulpraxistage und durch Schnupperbesuche. Es sollte auch mehr in Werbung investiert werden, findet der Betriebsleiter. Als er sich für eine Schuhmacherlehre entschieden hatte, musste er sich von seinen damaligen Kollegen anhören: „Warum machst du nicht was G’scheites?“
Die immer gleichen Berufswünsche ...
Was „G’scheites“, das ist aus der Sicht vieler Burschen eine Lehre als Metalltechniker, Elektrotechniker oder Kraftfahrzeugtechniker. Ein Drittel lernt in dem Bereich. An und für sich gäbe es ja genügend Lehrstellen - nur passen Angebot und Nachfrage nicht zusammen. Die meisten Burschen und Mädchen drängen in drei bis vier verschiedene Berufe. Da bleibt für ausgefallenere Berufsbilder naturgemäß wenig übrig. Verschärft wird das Ganze noch durch geburtenschwache Jahrgänge.
Bei den Mädchen ist es noch konzentrierter. Noch immer lernt fast die Hälfte entweder im Einzelhandel, als Bürokauffrau oder als Frisörin. Dass Metalltechnik bereits auf Platz zehn der beliebtesten „Mädchen-Lehrberufe“ steht, scheint nur bei oberflächlicher Betrachtung eine Überraschung zu sein. Denn in Wahrheit sind es nur knapp zwei Prozent, die darin tätig sind. Betriebe außerhalb dieser beliebten und vor allem bekannten Jobs tun sich naturgemäß deutlich schwerer.
Kleine mit noch größeren Herausforderungen
Und es kommt noch ein Faktor hinzu, wie Alfred Freundlinger von der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) erklärt. Für Betriebe, die in traditionellen Berufsfeldern tätig sind, sei es eher noch schwieriger, ihre Stellen zu besetzen. Der Grund sei, dass es sich dabei oft um kleinere Unternehmen handle und Lehrlinge sich erst einmal vielmehr bei größeren Firmen bewerben würden. „Wenn überhaupt Bewerber kommen, dann muss ich mich entscheiden, nehm’ ich oder nehm’ ich nicht“, so Freundlinger im Gespräch mit ORF.at. Eine Auswahl an mehreren Bewerbern habe man meist nicht.

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In Robert Bazants Glaserei sind nur Männer zu sehen. Ein Mädchen hat sich bei ihm noch nie als Lehrling beworben.
Glaser - ein ganz und gar männlicher Beruf
Schon über 30 Jahre lang werden auch in der Wiener Glaserei Bazant Lehrlinge ausgebildet. 15 bis 20 junge Burschen habe man seither angelernt, erzählt Firmenchef in zweiter Generation, Robert Bazant. Ein Mädchen habe sich noch nie bei ihm beworben, der Job sei körperlich schwer. Wie schwierig es ist, an gute Lehrlinge zu kommen, beschreibt er so: Wenn er Burschen beim Vorstellungsgespräch frage, warum sie Glaser werden möchten, erhalte er als Antwort meist, „weil sie keinen Job als Mechaniker bekommen haben“.
Es liege wohl am Image des Berufs, so Bazant und fügt scherzend hinzu: Vielleicht müsse man für die Lehrausbildung etwas verlangen, „alles, was nichts kostet, ist nichts wert“. Außerdem, das habe eine Umfrage der Innung gezeigt, wüssten schon viele Erwachsene nicht, was ein Glaser eigentlich genau macht - wie sollten sich dann Jugendliche etwas darunter vorstellen können? Er findet, die Innung sollte mehr Werbung machen.
Glasscheiben für Eisbären
An Anschauungsmaterial würde es im Fall seines Betriebs eigentlich nicht fehlen. Gefertigt werden hier auch Hightech-Verglasungen. So ist die Glaserei nicht nur verantwortlich für die Sanierung des Palmenhauses, sondern auch für das neue Eisbärengehege in Schönbrunn, und viele Boutiquefassaden im „Goldenen Quartier“ des ersten Bezirks in Wien wurden von Bazant gefertigt.
Er finde seine Lehrlinge „nur über Mundpropaganda“. Sie müssten, bevor sie eingestellt werden, einen „einfachen“ Eignungstest machen. Dass dabei oft nicht einmal die wichtigsten Grundrechnungsarten beherrscht werden, führt Bazant auf die „nicht ausreichende“ Ausbildung in der Schule zurück. Aber, so Bazant, die Probleme beschränkten sich ja nicht nur auf den Lehrlingsmarkt. Es sei überhaupt schwierig, Facharbeiter zu finden. Ein Problem, das er auch auf hohe Sozialleistungen zurückführt - da sei ein „niedriger Verdienst“ oft zu wenig Anreiz.

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Alec ist sichtlich zufrieden, eine „g’scheite“ Lehrstelle bekommen zu haben. Was ihm daran gefällt, ist das präzise Arbeiten. „Es ist wichtig, dass es Handwerker gibt“, findet er.
„Nicht nur Gläser schleppen“
Derzeit ist mit Alec Slecacek ein Lehrling im Betrieb. Zu seinem Job ist er über ein Praktikum gekommen, erzählt er. Da wusste er dann gleich, was ihn erwartet - nämlich „nicht nur Gläser schleppen“, wie Alec stolz erzählt. Er ist nun schon im dritten Lehrjahr, fährt auf Montage mit und arbeitet an Reparatur- und Neuverglasungen. Besonders an seinem Job gefällt ihm das präzise Arbeiten. Anstrengend sei es an manchen Tagen schon.
In die Lehre gelockt hat Alec die Vorstellung, sein eigenes Geld verdienen zu können, außerdem hätten viele seiner Bekannten und Freunde auch eine Lehre begonnen. Und die Schule, die hat ihm nicht so wirklich getaugt. Auch wenn sein Arbeitgeber über zu wenige Lehrlinge klagt - Alec musste trotzdem monatelang suchen, bis er seine jetzige Lehrstelle gefunden hat. Und über die ist er sichtlich stolz: „Ich bin froh, dass ich eine g’scheite Stelle bekommen habe.“
Redesign für angestaubte Lehrberufe
Seit Jahren wird versucht, etwas angestaubte Berufsbilder zu überarbeiten und aufzuhübschen. Während man vonseiten der Politik versucht, mit Projekten wie Lehrlingscoachings die Zahl der Lehrstellenabbrüche zu reduzieren, wird die Ausbildung den modernen Bedürfnissen angepasst. Zum Beispiel, indem mehrere Lehrberufe zusammengefasst und eine Modulausbildung daraus gemacht wird. So wurden beispielsweise die Lehrberufe Kürschner, Säckler, Damenbekleidung, Herrenbekleidung, Modist und Hutmacher zusammengefasst - der neue Beruf heißt nun Bekleidungsgestaltung. Einen Kürschner oder Hutmacher würde es sonst gar nicht mehr geben, so Freundlinger von der WKÖ.
Der Uhrmacher wurde zum Zeitmesstechniker
Auch den Metallschleifer und Galvaniseur oder Emailleur gibt es nicht mehr - dafür kann man sich zum Oberflächentechniker ausbilden lassen. Manche Berufe werden aber auch einfach umbenannt, um ihnen einen moderneren Anstrich zu geben. Alecs Lehrberuf des Glausbautechnikers hieß vor Jahren etwa noch Glaser. Der Uhrmacher wurde zum Zeitmesstechniker, und auch ländliche Hauswirtschaft lernt man nicht mehr - stattdessen macht man eine Ausbildung im ländlichen Betriebs- und Haushaltsmanagement.
Ein neuer Name allein garantiert freilich noch keinen Interessentenansturm, wie die Lehrlingszahlen zeigen. Aber vielleicht erinnert er manche Jugendliche und Berufsberater in Schulen, dass es noch andere Lehrberufe gibt als Mechaniker und Frisörin.
Petra Fleck (Text) und Zita Köver (Fotos), ORF.at
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